Hochgezockt

Sie nennen sich › Aqua‹ oder ›Eldos‹ und werden minderjährig zu Millionären. Wie schafft man das – mit Videospielen Geld zu verdienen ?

DATUM Ausgabe März 2021

Im Juli 2019 durchzieht das Arthur-Ashe-Stadion in New York ein lauter Jubelschrei. Konfetti regnet von der Decke der größten Tennisarena der Welt, unterhalb der Tribünen warten zwei Pokale auf die Gewinner. Statt eines Tennisnetzes sind am Center Court jedoch Computer aufgebaut. Haufenweise Computer. Mittendrin springen zwei Teenager von ihren Gaming-Sesseln auf und fallen sich in die Arme. Sie nennen sich › Acqua ‹ und › Nyhrox ‹, sind gerade zusammen Weltmeister geworden und um jeweils 1,5 Millionen US-Dollar reicher.

Acqua heißt in der analogen Welt David Wang, kommt aus Klagenfurt und ist professioneller E-Sportler. Sein Triumph rückte schlagartig eine ganze Branche ins Rampenlicht der österreichischen Öffentlichkeit, der bis zu diesem Zeitpunkt der Ruf eines Kinderspiels oder bestenfalls einer Nischen-Community anhaftete. Tatsächlich wurde durch Wangs Sieg ein Industriezweig sichtbar, der sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem millionenschweren Business entwickelt hat. Hersteller verdienen ein Vermögen, Spiele begründen Jugendkulturen, und E-Sportler werden zu Stars. Doch wie schafft man es, mit kompetitiven Computer- und Konsolenspielen professionell Geld zu verdienen ? Warum sind Unternehmen und Entwickler bereit, Millionen in den E-Sport zu investieren ? Und wie steht die österreichische Szene im internationalen Vergleich da ?

Zum Zeitpunkt seines großen Durchbruchs ist David Wang gerade einmal 17 Jahre alt. Was sich nach Ausnahme anhört, ist im E-Sport oft die Regel. Gerade bei Spielen, die eine hohe Konzentrationsfähigkeit und eine enorme Reaktionsgeschwindigkeit verlangen, gibt es viele E-Sportler im Teenageralter. Wangs Triumph, verbunden mit dem hohen Preisgeld, bringt seinen Namen in nahezu alle österreichische Medien, er gibt dem Boom hierzulande erstmals ein Gesicht. Selbst darüber sprechen möchte er nicht. Er sei zwar sonst keineswegs introvertiert, sagt seine Mutter Claudia Wang, aber : ›Er möchte ausschließlich spielen, besser werden und an Turnieren teilnehmen. Dem medialen Drumherum schenkt er kein Interesse. ‹

Wangs Geschichte entspricht so manchem Klischee. In seiner Kindheit spielt er mit Begeisterung Fußball, doch je älter er wird, desto seltener verlässt er das Haus. Stattdessen kauft er sich von seinem Ersparten einen Computer und beginnt zu spielen. Er wechselt mehrfach die Schule, nach neun Pflichtschuljahren ist Schluss. Während er erfolgslos nach einer Lehrstelle sucht, spielt er immer exzessiver, teilweise sechs bis acht Stunden pro Tag. Zu Beginn des Jahres 2019 bittet er seine Mutter, für ihn eine Rechnung zu schreiben : Er hat erstmals Preisgeld bei einem Turnier gewonnen. Claudia Wang bleibt zunächst skeptisch. Als das Geld tatsächlich am Konto eintrifft, beginnt sie sich mit der Szene auseinanderzusetzen, in die ihr Sohn bereits eingetaucht ist : › Das ist eine komplett andere Welt. Für mich war am Anfang kein Sinn dahinter. ‹

Das Verständnis wächst erst, als David eine Einladung von seinem Team nach Paris erhält. In einem Trainingscamp begegnet er dort zum ersten Mal im echten Leben › Nyhrox ‹, einem gleichaltrigen Norweger, den er bisher nur vom gemeinsamen Online-Spielen kennt. Drei Monate später werden sie gemeinsam die WM gewinnen. David bleibt insgesamt zwei Wochen in Frankreich. ›Da hat er sein Ziel geradlinig verfolgt und stand plötzlich im Leben ‹, erinnert sich seine Mutter. David qualifiziert sich für das Turnier in New York und wird zu einem E-Sport-Star.

Wang ist öffentlichkeitsscheu, viele andere E-Sportler suchen hingegen gezielt die Öffentlichkeit und bauen sich über mehrere Jahre mittels Social Media eine Community auf. Sie werden zu E-Sport-Influencern. Das Mittel der Wahl sind dabei Streams, also die Live-Übertragung ihrer Spiele oder das Kommentieren der Spiele anderer. Auch wenn die Gamer die einzige Person in ihrem Zimmer sein mögen – allein sind sie deswegen noch lange nicht, über YouTube und insbesondere Twitch verfolgen Hunderttausende ihre Streams. Für Jugendliche werden sie zu Idolen, durch die Streams nehmen sowohl Identifikation als auch Interaktion zu. Man stelle sich vor, man könnte mit dem Fußballer Cristiano Ronaldo chatten – während er am Platz steht.

Den WM-Titel hat Wang im Teambewerb des Videospiels › Fortnite ‹ gewonnen. Es handelt sich dabei um keinen bloßen Kriegs-Ego-Shooter, aber schluss­endlich geht es doch darum, Gegner zu eliminieren. Von einem Flugzeug springen bis zu hundert Teilnehmer auf eine Insel ab, die sich über die Spieldauer stetig verkleinert. Nicht nur Waffen, son-
dern auch Gegenstände können eingesammelt werden, um sich selbst Schutz zu bauen oder eine bessere Position zu verschaffen. Wer am Ende übrigbleibt, hat die Runde für sich entschieden. Insgesamt wurde bei der WM ein Preisgeld von 30 Millionen Dollar ausgeschüttet. Im Mai vergangenen Jahres verkündete der Hersteller Epic Games, dass es weltweit mittlerweile 350 Millionen registrierte Accounts gebe. Das Spiel an sich ist zwar gratis, durch sogenannte In-Game-Käufe verdient Epic aber ein Vermögen. Insgesamt verbuchte Fortnite 2019 einen Umsatz von 1,8 Milliarden Dollar.

Mit der Branche ist aber auch die ­Palette an Spielerpersönlichkeiten gewachsen. Während Wang aufgrund seiner Nachtaktivität seinen Tag meistens erst gegen 14 Uhr beginnt, enden die Streams von Eldin › Eldos ‹ Todorovac an Sonntagen eher früh als spät. Er muss am nächsten Tag in einem HAK-Klassenzimmer sitzen. Der Wiener wurde vergangenen September mit nur 16 Jahren vom deutschen Traditionsverein Borussia Dortmund verpflichtet. Seine Tricks führt er auf Knopfdruck aus, seine Fähigkeiten hat er in unzähligen Matches und Turnieren unter Beweis gestellt. Den Grundstein für seinen Vertrag hat er jedoch nicht beim Spielen mit Freunden in den berühmten Wiener Käfigen gelegt, sondern in seinem Kinderzimmer. Todorovac ist professioneller FIFA-Spieler und hat sich damit den Traum unzähliger Jugendlicher erfüllt. Er wird dafür bezahlt, die weltweit bekannteste und beliebteste Fußballsimulation zu spielen.

Eldin Todorovac ist 16 Jahre alt, aber er sieht jünger aus. Auch seine Stimme klingt höher als bei vielen Gleichaltrigen. Er sagt Dinge wie : › Ich weiß, dass ich eine Verantwortung habe gegenüber meiner Community und bemühe mich, ein Vorbild zu sein ‹, ohne dabei verkrampft zu wirken. In seiner Kindheit ist Todorovac noch für einen Bundesliga-Klub am echten Rasen aktiv, doch als er sich wiederholt an Arm und Ellbogen verletzt, beschließt der Wiener aufzuhören. Der Weg zu FIFA war für ihn vorgezeichnet : › Wenn du Fußball liebst, liebst du eigentlich auch FIFA. ‹ Die zuvor durch Fußballtraining verplante Zeit widmet er fortan seiner digitalen Passion. Als er online immer öfter immer bessere Gegner besiegt, merkt er : › Da geht noch mehr ‹.

Er bittet seine Eltern, ihm einen neu­en Computer samt Streaming-Equipment zu kaufen, sein Wunsch wird erfüllt. Todorovac zieht schnell Aufmerksamkeit in der Szene auf sich, immer mehr Menschen verfolgen seine Streams. Während Wang zumeist Spiel-Clips hochlädt, nimmt Todorovac seine Fans via VLog mit zur Vertragsunterzeichnung ins Ruhrgebiet. In seinen Streams chattet und plaudert er mit seinen Anhängern über Schule, FIFA und Fußball – das Leben eben.

Seine Follower werden in den Videos von Todorovac zumeist als › Freunde ‹ angesprochen. Er verkörpert den charismatischen Kumpeltyp, mit dem man ei­ne Runde im Park kicken gehen möchte. › Viele denken, du spielst da ein bisschen, aber eine Community aufzubau­en, das kommt nicht von alleine und ist  harte Arbeit ‹, sagt er. Durch Erfolg schon in jungen Jahren steigert er nicht nur seine FIFA-Fähigkeiten, sondern auch seine Reichweite und damit seinen Marktwert. Eine solche Präsenz ist der Grund, warum immer mehr namhafte Unternehmen bereit sind, große Summen in den E-Sport zu investieren. Bei einem stark besetzten Turnier gelingt Todorovac schließlich im April 2019 der Durchbruch. Er setzt sich mit nur 15 Jahren gegen Profis durch und gewinnt. Anschließend unterschreibt er bei einer international tätigen E-Sport-Beratungsagentur. Als er 16 wird, kann er zwischen mehreren Angeboten wählen. Er entscheidet sich für die Offerte des börsennotierten Weltklubs aus Dortmund, der gerade dabei ist, ein E-Sport-Team aufzubauen. Der große Trumpf des E-Sports ist seine Niederschwelligkeit verbunden mit geringen Eintrittsbar­rieren. Handy, Playstation, Computer – zum Gamer wird man schnell. Besonders unter Jugendlichen findet sich rasch jemand im Freundeskreis, der gerade ein bestimmtes Videospiel zockt. Von der Sport-Simulation über den Ego­shooter bis zum Strategie-Sammelkartenspiel – die Spiele sind ähnlich divers wie ihre Spieler. So etwas wie Platzmiete gibt es nicht, die elektronische Ausrüstung kann verhältnismäßig lange verwendet werden.

Der bescheidene Bekanntheitsgrad von E-Sport in Österreich zeigte sich allerdings nach Wangs WM-Titel bei Anfragen an die Pressestelle des heimischen E-Sport-Verbandes Österreich (ESVÖ). Neben zahlreichen Interviewwünschen lautete die meistgestellte Frage : Was ist E-Sport eigentlich ? Die Vorläufer des E-Sports waren in Österreich sogenannte LAN-Partys, also Treffen von Computerspielern an einem gemeinsamen Ort, was aufgrund des langsamen und unbeständigen Internets noch notwendig war. Einer der Veranstalter war Stefan Baloh. Er hat die Entwicklung hierzulande von Beginn an mitgestaltet, war 2007 Gründungsmitglied des ESVÖ und ist seit jeher dessen Präsident. Eigentlich sollte diesen Posten ein gut vernetzter Politiker oder Wirtschaftstreibender übernehmen, doch : › Die Angst der Politiker und Manager, sich auf etwas einzulassen, mit dem sie sich selbst noch nicht identifizieren konnten, war zu groß ‹, erzählt Baloh. Mittlerweile haben sich sowohl die gesellschaftliche Akzeptanz als auch das grundsätzliche Verständnis erhöht, was auch daran liegt, dass die erste Generation von Gamern heute selbst in Führungspositionen zu finden ist. Ein prominenter Präsident hat sich allerdings immer noch nicht gefunden.

Ein erster kleiner E-Sport-Hype endete in Österreich mit der Finanzkrise und ihren weitreichenden wirtschaft­lichen Folgen. Nachhaltige Strukturen waren nicht vorhanden, Sponsoren verringerten ihr Engagement oder zogen sich komplett zurück. Der E-Sport verschwand zwar nicht, wuchs aber in Österreich im globalen Vergleich wesentlich langsamer. 2017 läutete den Beginn für den zweiten Frühling ein. Immer mehr zahlungskräftige Konzerne entschlossen sich zu breit angelegten Sponsorings. Die österreichische Szene startete in ein Zeitalter der Professionalisierung und Kommerzialisierung. Die größte E-Sport-Liga in Österreich wird heute von A1 gesponsert, das Finale 2019 wurde in Kooperation mit Red Bull ausgetragen, zu gewinnen gab es insgesamt ein Preisgeld von 30.000 Euro. Auch eine eigene virtuelle Fußball-Bundesliga gibt es. Baloh geht von mittlerweile etwa 15 Österreichern aus, die von E-Sport als Spieler oder Trainer tatsächlich leben können. Eine Zahl, die angesichts der voranschreitenden Professionalisierung und der vor allem international stetig steigenden Preisgelder in Zukunft weiter steigen dürfte. Auch das Offline-Geschäft boomt : Was mit LAN-Partys begonnen hat, ist zu gut besuchten E-Sport-Events geworden, Konzerte und Live-Übertragung inklusive. Über das ganze Land verteilt gibt es mittlerweile eigene Trainingsstätten und E-Sport-Lokale. Und die Hochschule für angewandtes Management in der Seestadt Aspern bietet seit Kurzem einen eigenen Bachelorstudiengang zum Thema E-Sport-Management an.

› Der E-Sport ist gekommen, um zu bleiben ‹ sagt Urim Bajrami. Der 33-jährige Rechtsanwalt hat sich auf E-Sport spezialisiert und vertritt österreichische Größen wie Wang und Todorovac. Dass er selbst begeisterter Gamer ist, merkt man schnell, so groß ist sein Enthusiasmus, wenn er über seine Leidenschaft spricht : › Ich bin mit Gaming aufgewachsen und kann deswegen mit den Spielern ganz anders umgehen. Ich bin Wirtschaftsanwalt, da denken sich die meisten : Was geht denn hier ab ? ‹ In einem Strategiespiel hat Bajrami es sogar bis ins Finalturnier nach Baku und zum Vize-Weltmeister gebracht. Für seine spielenden Klienten hat er mittlerweile auch die Rolle des Beraters eingenommen. Seit Jahren kämpft er für die rechtliche Anerkennung von E-Sport in Österreich.

Denn an der Diskussion, ob Computerspielen tatsächlich als Sport bezeichnet werden kann, kommen die Akteure nicht vorbei. Der Trainingsaufwand der Spitzenleute spricht klar dafür. Das Klischee vom Nerd, der den ganzen Tag nur vor seinem Laptop sitzt und sich von Fast Food ernährt, hat mit der Realität wenig zu tun. Auch E-Sportler haben heute strikte Trainingspläne und Ernährungsberater. FIFA-Spieler unterziehen ihre Partien, wie im herkömmlichen Fußball, einer Videoanalyse. Teilweise ist die Herzfrequenz eines E-Sportlers nur unwesentlich niedriger als jene eines Formel-1-Piloten. Schließlich kann es zu über 200 Bewegungen pro Minute kommen, eine erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit ist somit bei vielen Games unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg. Kurz gesagt : Ein guter E-Sportler muss körperlich und geistig fit sein. › Im E-Sport müssen Menschen hochkonzentriert spielen und Bewegungsprozesse perfekt und ohne Schwächen abrufen. Ich würde es vom Strategieeffekt und der Komplexität mit Schach vergleichen, nur auf der digitalen Ebene ‹, beantwortet Daniel Koller die Gretchenfrage. Für den Standard hat er den E-Sport jahrelang in Österreich journalistisch begleitet. Der Olympische Rat Asiens (OCA) hat seine Entscheidung bereits getroffen. Alle vier Jahre veranstaltet der OCA die Asienspiele, eine kontinentale Version der Olympischen Spiele. 2022 wird erstmals auch im E-Sport um Medaillen gespielt werden. In den USA und auch in europäischen Staaten wie Frankreich, den Niederlanden, Dänemark oder Schweden ist E-Sport seit einigen Jahren von staatlicher Seite als Sportart anerkannt.

Doch dem ESVÖ, für den auch Bajra­mi tätig ist, geht es primär um juris­tische Grundsatzfragen : › Es herrscht noch eine Wild-West-Mentalität in der Community, weil vieles eine rechtliche Grauzone ist ‹, bemängelt der Anwalt. Steuerrecht, Vereinsrecht, Veranstaltungsrecht – all diese Bereiche sind für Spieler und Vereine entscheidend und bei Weitem noch nicht ausjudiziert. Im türkis-grünen Koalitionsprogramm wird E-Sport erstmals erwähnt. Viel konkreter als mit einem Plan zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe wird man dort allerdings auch nicht. Aus dem Sportministerium heißt es dazu auf DATUM-Nachfrage, dass die Arbeitsgruppe im zweiten Quartal dieses Jahres eingerichtet werde.
Daniel Koller ist jedoch pessimistisch, was die tatsächliche Anerkennung betrifft : › Ich spüre kein wirkliches Bestreben der Politik, in die Gänge zu kommen. ‹ Zusätzlich sieht sich der E-Sport dem Widerstand von etablierten Sportverbänden wie ÖFB und ÖSV ausgesetzt. Auch wenn sich die heimischen Verbände noch sträuben, macht der Trend vor Vereinen aus traditionellen Sportarten nicht Halt. Mit dem SK Rapid Wien leistet sich auch der mit Abstand populärste Fußballklub Österreichs inzwischen eine Mannschaft auf dem virtuellen Rasen. Zum Vergleich : Zu einer Frauenmannschaft auf dem realen Fußballplatz konnte sich der Rekordmeister noch immer nicht durchringen. •

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