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›Ich muss Tieren auch wehtun können‹

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Fotografie:
Ursula Röck
DATUM Ausgabe Juni 2022

Name : Dr. Michaela Ludwig, 53

Beruf : Tierärztin 

 

Warum sind Sie Tierärztin geworden?

Es war immer mein Traumberuf. Im Kindergarten habe ich Kaulquappen gesammelt, in meiner Jausenbox heimgebracht und aufgezogen. 

Was macht eine gute Tierärztin aus?

Ich muss nicht nur mit Tieren umgehen können, sondern brauche auch eine gute Menschenkenntnis. Die Besitzer sollten mir vertrauen, sonst nehmen sie meine Ratschläge nicht ernst.

Wie hat sich die Pandemie auf Haustiere ausgewirkt?

Die Menschen haben sich intensiver mit ihnen beschäftigt und früher bemerkt, wenn etwas nicht stimmt. Das hat mir die Arbeit erleichtert. Viele Hunde haben aber Probleme mit dem Alleinsein, seit ihre Besitzer nicht mehr im Homeoffice sind. Katzen sind dicker geworden, weil sie mehr Leckerlis bekommen haben. Hunde nicht, weil die gleichzeitig mehr rausgekommen sind. 

Behandeln Sie manchmal auch exotische Tiere?

Besitzer von Chamäleons oder Schlangen rufen meist an und fragen, ob ich diese Tiere behandle. Ich überweise sie dann an einen Spezialisten. Einmal ist jemand mit einer Vogelspinne zu mir gekommen, weil sie Haarausfall hatte. Ich habe ihr Vitaminpräparate verschrieben.

Wie ähnlich sind sich Tier und Mensch?

Die Charaktere sind bei Tieren genauso unterschiedlich wie beim Menschen: Es gibt ruhige, hektische, faule, aufgeweckte. Viele Haustiere übernehmen Verhaltensmuster von ihren Besitzern. Leben Tier und Besitzer lang zusammen, ähneln sie sich manchmal sogar in der Optik. 

Wie viel verdienen Sie netto?

Als Selbstständige variiert das. In schlechten Monaten 1.000 Euro, in guten 4.000. Normalerweise sind es um die 2.000 Euro. 

Warum schwankt das so enorm?

Mein Einkommen hängt von der Finanzkraft der Besitzer ab. Wenn am Jahresende die Rechnungen zu zahlen sind, ist bei manchen kein Geld für einen Tierarztbesuch da. Wenn sie gerade ihr Urlaubsgeld bekommen haben, schon. 

Was, wenn ein Haustier krank ist und der Besitzer nicht zahlen kann?

Ich lasse ein Tier wegen Geld nicht sterben und mich im Notfall auf Ratenzahlungen ein. Das funktioniert meistens, aber nicht immer.

Tierarzt ist der Traumberuf vieler Kinder. Reicht Tierliebe aus?

Oft schauen Kinder Tierarztserien und glauben, sie können ihr Leben lang Hunde und Katzen streicheln. Manche realisieren erst im Studium, dass der Job ein anderer ist. Als Tierärztin muss ich Tieren manchmal auch wehtun können, das ist am Anfang schwer.

Wie viele Tiere haben Sie in 20 Jahren Berufsleben eingeschläfert?

Mindestens 600. 

Ist das für Sie immer noch schwierig?

Einschläferungen sind leider manchmal notwendig und immer traurig, besonders wenn Kinder dabei sind. Vor Kurzem musste ich eine Katze einschläfern, und die Familie wollte ein Andenken an sie. Wir haben die Pfote mit Druckertinte eingeschmiert und einen Abdruck gemacht. Solche Abschiede sind sehr emotional. 

In vielen westlichen Ländern gibt es unter Tierärzten eine vergleichsweise hohe Suizidrate. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Der Job ist eine psychische Belastung. Wir sind manchmal Herr über Leben und Tod, das setzt unter Druck. Viele Besitzer haben hohe Ansprüche, und manche Kollegen sind rund um die Uhr für sie erreichbar. Im Team ist das machbar, als Einzelkämpferin kann ich leider keine Nachtdienste anbieten. •

 

 

Ende 2021 gab es in Österreich 3.350 Tierärzte, darunter 2.161 Selbstständige. Während bei den Selbstständigen das Geschlechterverhältnis halbwegs ausgeglichen war, befanden sich unter den Angestellten 216 Männer und 973 Frauen. 

Etwa ein Drittel der Veterinärmediziner arbeitet in Nutztier- und Gemischtpraxen. Österreichweit ist der Großteil der Nutztierärzte vor allem in Rinderbetrieben tätig. Nur wenige Tierärzte sind auf Geflügel, Schafe und Ziegen spezialisiert. 

Quelle: Österreichische Tierärztekammer