Irrtümer der Ernährung

Regional ist das neue Bio.

DATUM Ausgabe Juli/August 2018

Das lachende Huhn auf der Verpackung von Hubers Landhendl-Schnitzel hält eine Österreichfahne in der Hand – es wurde schließlich hierzulande geboren und aufgezogen. So wird der lokale Bezug hergestellt, das Vertrauen zwischen Erzeuger und Verbraucher aufgebaut und das Bild vom Hühnerstall in österreichischer Berglandschaft in den Köpfen der Kunden verankert. Dass das Hendl zum Schlachten nach Bayern geführt wurde, steht nur im Kleingedruckten. Zahlreiche Konsumentenbefragungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz ergeben, dass Käufer zunehmend Wert auf regionale Produkte legen. Sieht man sich den wöchentlichen Warenkorb eines durchschnittlichen Kunden an, so hat der Anteil der ›regionalen‹ Produkte mit 20 Prozent jenen der ›Bio-Produkte‹ bereits überholt, der etwa bei zehn Prozent liegt. ›Genussregion Österreich‹, ›Gutes vom Bauernhof‹, ›Aus Liebe zur Heimat‹ oder ›AMA Gütesiegel‹ – ohne diese Produktmarken käme der Einzelhandel nicht aus. Er braucht sie, um die Kunden nicht an einen der zunehmend beliebten Wochenmärkte oder den Direktvermarkter mit Bauernladen zu verlieren. Regional, das ist der emotionale Zuckerguss im Supermarktregal.

Aber was heißt regional? Eine klare Definition fehlt ebenso wie eindeutige gesetzliche Regelungen. Den Heimatbezug können Produzenten beliebig herstellen. Ob etwas ›Made in Austria‹ ist oder nicht, bestimmt nicht die Herkunft der Rohstoffe, sondern wo die Produkte hauptsächlich verarbeitet werden. So schwammig die Bestimmungen bei ›regionalen‹ Produkten sind, so streng sind die Produktvorschriften bei Bio-Erzeugnissen. ›Bio repräsentiert ein gänzlich anderes Prinzip als die Regionalität. Nicht die Herkunft, sondern die Qualität der Produktion am Herkunftsort ist entscheidend. Die Produktionsunterschiede zwischen konventionell und Bio sind groß. Viel größer, als man glauben machen will‹, sagt Reinhard Geßl vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau. Wer Bio und Regional gegenüberstellt, vergleicht Äpfel mit Birnen.

Obst und Gemüse vom Bodensee statt aus Übersee! Wer will denn da etwas dagegen haben? Wer die österreichischen Bauern unterstützen möchte, ist gut mit dieser Wahl beraten. Umweltfreundlich kann aber anders ausschauen: Da das Obst und Gemüse das ganze Jahr frisch und knackig sein sollte, muss es aufwendig gelagert, gekühlt und feucht besprüht werden. Das benötigt viel Energie und schraubt den CO2-Ausstoß nach oben. Mitunter sogar so hoch, dass die Ökobilanz des Apfels aus Übersee besser ausfällt als die des heimischen. Genauso kann auch die Kirschtomate, die 2.000 Kilometer aus Sizilien angekarrt wurde, bei vollgepackter Ladung des LKWs eine bessere CO2-Bilanz vorweisen als jene, die individuell mit dem Kleintransporter ins nächste Dorf geführt wurde. Und wer zum Einkaufen das eigene Auto 30 Kilometer zum nächsten Wochenmarkt oder bäuerlichen Hofladen fährt, der hat die Klimabilanz sowieso schon versaut.

Die Tomate aus Sizilien hat mitunter eine bessere Klimabilanz als jene vom Wochenmarkt.

Dann also doch Bio, wenn’s ums Klima geht! Aber halt! Weil die Klimabilanz von Lebensmitteln von sehr vielen Faktoren abhängt und je nach Anbauform oder Lebensmittelgruppe verschieden ist, kann nicht automatisch von der Formel  ›Bio ist gleich besser‹ ausgegangen werden. Metastudien zeigen, dass einige biologische Anbauformen geringere Folgen für die Umwelt haben als konventionelle, andere womöglich von Nachteil für die Umwelt sind. In der Regel haben biologische Anbauformen positive Auswirkungen auf die Umwelt pro Flächeneinheit, nicht jedoch zwangsläufig pro Produkteinheit – sie haben zwar einen geringeren Energiebedarf, erfordern dafür aber einen höheren Flächenbedarf, weil die Erträge geringer ausfallen. Nichtsdestotrotz gilt: Konventionelle Landwirtschaft ist oft auf hohe Ertragsleistungen ausgerichtet, die Umweltbelastungen oder artgerechte Tierhaltung in nur geringem Maße berücksichtigt. Vorzüge der Bio-Landwirtschaft sind hingegen eine tendenziell größere Artenvielfalt, die geringere ökologische Belastung pro Fläche und der kleinere Energieverbrauch. Laut Reinhard Geßl könnte bei einem Umstieg der österreichischen Landwirtschaft auf 100 Prozent Bioanbau ›alleine durch den Verzicht auf mineralische Stickstoffdünger eine Million Tonnen CO2 beziehungsweise zwölf Prozent der landwirtschaftlichen Treibhausgase eingespart werden‹. Die Lösung könnte in der Kombination von ›lokal‹ und ›bio‹ liegen, das heißt, wenn ›bio‹ den geschlossenen regionalen Wirtschaftskreislauf der kurzen Wege berücksichtigt. Auch der Konsum saisonaler Produkte und die Verringerung des Fleischkonsums wirken sich am ehesten positiv für die Tierhaltung sowie die Umwelt- und Klimabilanz aus.