Irrtümer der … Mobilität

E-Autos sind besonders umweltfreundlich!

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Ilustration:
Francesco Ciccolella
DATUM Ausgabe Mai 2018

Er glaube an das Pferd, das Auto sei nur eine vor­übergehende Erscheinung, soll der deutsche Kaiser Wilhelm II. gesagt haben. Ein Blick auf unsere Straßen reicht aus, um zu sehen, wie falsch er damit lag. Die vollkommene Durchmotorisierung der Gesellschaft hat Folgen: Etwa 8.200 Menschen sterben jährlich allein in Österreich vorzeitig infolge der Luftverschmutzung. Ein Viertel der Treibhausemissionen gehen auf die Kappe des Kfz-Verkehr. Seit einigen Jahren gibt es ein Fahrzeug, das verspricht, diese Probleme zu lösen – das E-Auto. Jeder der eleganten, lautlosen Pkw ist eine Art Appell an den Einzelnen, es besser zu machen.

Der weltweite Absatz von Elektrofahrzeugen stieg allein im dritten Quartal 2017 um 63 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Es wird erwartet, dass bis 2030 jeder dritte Neuwagen zumindest in der EU vollelektrisch angetrieben wird. E-Fahrzeuge sind, realistischen Einschätzungen zufolge, aus dem zukünftigen Straßenbild nicht mehr wegzudenken. Der Appell hat also gefruchtet.

Selbst wenn das E-Auto mit Ökostrom betrieben wird, bleiben die Emissionen aus der Produktion.

Doch lässt sich das Heilsversprechen einlösen? Sind Elektrofahrzeuge wirklich die umweltfreundliche Variante zum Motorantrieb? Es stimmt: Fährt ein Fahrzeug mit reinem elektrischen Strom, entstehen keine Abgas­emissionen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. So muss bei der Bewertung der Umweltfreundlichkeit eines Fahrzeuges die ›Lebenszyklus- oder Ökobilanz‹ mitberücksichtigt werden. Sie inkludiert die Umweltbelastung, die abseits der Nutzung, etwa in der Produktion eines Fahrzeuges, entsteht. Insbesondere für das Elektroauto wird hier das Bild vom emissionsfreien Elektrofahrzeug rasch widerlegt. Um flotte, neue Elektroautos bauen zu können, brauchen Unternehmen nämlich andere Rohstoffe als bisher. Neben Lithium zählen besonders Kobalt, Nickel, Mangan und seltene Erden zu den Zukunftsrohstoffen für die Automobilindustrie. Diese werden meist in Schwellenländern wie Bolivien, China oder afrikanischen Staaten unter teils menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen gewonnen. Menschenrechtsorganisationen warnen vor den unhaltbaren Zuständen in den Abbaustätten; in vielen der Minen arbeiten Kinder. Dazu kommen die oft irreparablen Umweltschäden. In der Umgebung solcher Minen sind Böden und Gewässer häufig verseucht, Wälder müssen weichen, um Platz für den Bergbau zu machen. Umweltverträglichkeitsprüfungen? Die sind, wenn überhaupt, nur auf dem Papier vorhanden.

Die Produktion des E-Autos ist das eine Problem. Die zweite Frage ist jene nach der Herkunft der Elektrizität, die den elektrisch betriebenen Pkw zum Starten bringt. Mag dieser noch so umweltfreundlich fahren, der Strom muss es nicht sein. Bei der Stromerzeugung entstehen ebenso Emissionen, da fossile Brennstoffe noch immer den Großteil unseres Energiebedarfs abdecken. Auch wenn der Anteil der erneuerbaren Energiequellen in der EU steigt, stammte 2015 immer noch knapp die Hälfte der gesamten erzeugten Elektrizität aus fossilen Brennstoffen wie Erdöl, Erdgas und Kohle und gut ein Viertel aus Kernkraftwerken.

Wirft man einen genaueren Blick auf die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, werden die großen Unterschiede im Strommix deutlich. Dazu kommt: Der Strom aus der Steckdose stammt nie aus nur einer Quelle, sondern wird aus einem Mix verschiedener Energieträger erzeugt.

In Polen ist beispielsweise der Anteil von Kohlekraftwerken an der Energiegewinnung mit etwa 85 Prozent in der EU nach wie vor besonders hoch, Länder wie Schweden oder Österreich haben bereits einen beträchtlichen Anteil an erneuerbaren Energien. Kommen also große Teile des erzeugten Stroms für ein Elektroauto aus einem alten Braunkohlekraftwerk, liegt die CO₂-Bilanz des E-Autos gegenüber dem Verbrennungsmotor nur marginal besser. Aber es gilt auch: Selbst wenn das E-Auto mit reinem Ökostrom betrieben wird, bleiben immer noch die Emissionen bei der Herstellung. Die sind momentan so hoch, dass sich ein Elektroauto, je nach Fahrzeuggröße, meist erst nach einer Fahrdistanz von rund 100.000 km ökologisch rentiert.

Nicht zuletzt: Autos brauchen Platz, egal, ob sie elektrisch oder mit fossilem Brennstoff betrieben werden. Der Individualverkehr konsumiert öffentlichen Raum im großen Stil. Um umweltfreundlich und sozial verträglich von A nach B zu gelangen, wird es nicht ausreichen, lediglich vom Benziner zum E-Auto umzusteigen. Eine vielseitige Form der Mobilität, zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit modernem öffentlichen Verkehr, mit Sharing-Konzepten, ist hier eine adäquate Lösung. Damit auch das E-Auto nicht nur eine vorübergehende Erscheinung bleibt.