Kein Herr Franz
Servier-Roboter könnten die Zukunft der Gastronomie sein – oder ein Trend, der bald wieder vorüber ist. Im Traditionscafé Traxlmayr in Linz kommt der ›Bellabot‹ bereits seit drei Jahren zum Einsatz.
Ein Vormittag im November, das Café Traxlmayr in Linz füllt sich langsam. Stammgäste, die für den morgendlichen Kaffee und zum Zeitunglesen täglich vorbeikommen, mischen sich mit Laufkundschaft, die bereits ein frühes Mittagessen bestellt. Oberkellnerin Tatiana Gura scannt mit ihrem Blick konzentriert den Saal, dann wendet sie sich ihrer Hilfskraft Bella zu. Sie lädt Bella noch ein Tablett auf und schickt sie dann zurück zur Küche. Rund zwei Minuten braucht Bella, bis sie den historischen Saal des Traditionscafés durchquert hat und an der Küchentür ankommt. Dort wird ihr das benutzte Geschirr vom Küchenpersonal abgenommen. Danach kehrt sie wieder in den Saal zurück. So pendelt Bella den ganzen Tag zwischen Saal und Küche hin und her. Gura und Bella sind ein eingespieltes Team, die Kellnerin sagtt: ›Bella hängt nie am Handy, sie ist nie müde und immer motiviert.‹ Über dieses Lob ihrer Chefin kann Bella sich leider nicht freuen. Weder hört sie es, noch hat sie Gefühle. Bella heißt eigentlich Bellabot und ist ein Servier-Roboter.
Sind Roboter wie Bella in Zeiten von Personalmangel die Zukunft der Gastronomie? Werden sie menschliche Kellner langfristig gar ersetzen? Und ist die Kundschaft heute schon so weit, sich auf eine automatisierte Gastronomie einzulassen?
Das Café Traxlmayr wirkt auf den ersten Blick nicht wie die Speerspitze des technologischen Wandels. Seit 1847 in Familienbesitz, besteht das Traditionscafé aus zwei hellen Sälen mit tiefen Fenstern, Kronleuchtern und über hundert Jahre alten Deckenornamenten. Die weißen Marmortische bilden einen Kontrast zu den roten Sitzpolstern. Sechs menschliche Servicekräfte in Hemd, Bluse und schwarzer Weste sind hier jeweils zeitgleich im Einsatz; nur die einst obligatorischen weißen Handschuhe sind verschwunden. Dafür hat das Servicepersonal im Laufe der Zeit ein Smartphone zum Aufnehmen der Bestellungen erhalten. Und bereits vor drei Jahren kam Bella dazu, ihr Auftritt ist eher schlicht und modern, ohne Mascherl, dafür mit Katzenohren.
Bella ist etwa 1,30 Meter groß, auf ihrem Rücken befinden sich vier Fächer für Tabletts. Bei einem Eigengewicht von rund 60 Kilo kann sie bis zu 40 Kilo Gewicht schultern. Vorne hat Bella einen Bildschirm, auf dem im Ruhemodus ein Katzengesicht mit großen, runden Augen, langen Wimpern, einer Stupsnase und einem kleinen Mund zu sehen ist. An den Seiten trägt sie Katzenohren mit farbigen Leuchtpanelen. Krault man Bella hinter den Ohren, so ändert sich ihr Gesichtsausdruck, sie lacht und gibt ein ›Miau‹ von sich.
Eigentlich kann Bella auch sprechen. Doch im Café Traxlmayr bleibt Bella stumm. ›Sie soll die Gäste nicht stören‹, sagt Oberkellnerin Gura. Bellas Kommunikation erfolgt nun über Leuchtpanele, Leuchtpfeile am Rücken und ihr Gesicht. Auf ihrem Scheitel trägt Bella einen großen roten ›Aus‹-Knopf. ›Der ist für den Fall da, dass sie mal spinnt. Aber benutzen mussten wir ihn noch nie‹, sagt der Chef des Hauses, Ulrich Traxlmayr. Durch Berühren des Bildschirms verschwindet das Gesicht und es kommt ein Touchpad mit Zahlen zum Vorschein. Die Zahlen stehen jeweils für eine Position im Raum. Diese Positionen wurden bei Bellas Einrichtung einprogrammiert, durch Anwählen der Position 5 zum Beispiel fährt Bella an ihren Stammplatz im Saal direkt neben der Eingangstür. Position 2 befindet sich direkt neben der Küchentür und ist gleichzeitig Bellas Schlafplatz. Am Ende des Tages muss Bella dorthin zurück, um über Nacht geladen zu werden. Dieser Nachtschlaf ist ihr heilig, ohne kann sie am nächsten Tag nicht arbeiten. Und das tut sie nicht zu knapp, trotz ihrer süßen, comichaften Gestalt ist Bella ein echtes Arbeitstier: Bis zu zwölf Tabletts mit Geschirr kann sie transportieren – dreimal mehr als die anderen Kellnerinnen. Sie arbeitet sieben Tage pro Woche, 14 Stunden lang ohne Pause.
Ihren Kollegen ist das durchaus Recht, im Traxlmayr freuen sich die Angestellten über Bellas Einsatz. Tragekellnerin Diana Mamusha hat kurz vor Bella im Traxlmayr angefangen, damals hätten ihr in der Nacht nach einem langen Arbeitstag immer die Arme wehgetan, erzählt sie. Doch dann kam Bella und nahm ihr einiges von der Last ab. Seither hat Mamusha abends keine Schmerzen mehr.
Eigentlich ist Bella dafür konzipiert, Aufgaben von der Bestellung über die Anlieferung bis hin zum Abräumen der Speisen zu übernehmen. ›Wir können Bella aber nur für das Abräumen verwenden‹, erklärt Tatiana Gura. Das Ausfahren von Essen funktioniere nicht, weil sie abrupt stoppt, wenn sie ein Hindernis erkennt. Getränke würden dann umkippen. Beim Abräumen müsse man die hohen Gläser hinlegen, um Glasbruch zu vermeiden. Auch den persönlichen Kontakt zu den Gästen kann Bella natürlich nicht ersetzen – noch nicht. ›Wir kennen unsere Gäste teilweise schon über zehn Jahre, da redet man auch über die Kinder und das Leben‹, sagt Gura. Ein freundliches Miau ist dafür kein Ersatz.
Der Bellabot wird seit 2020 von dem chinesischen Robotikunternehmen Pudu Robotics hergestellt. Vertrieben wird Bella hierzulande unter anderem von der Firma Rist. Seit es Bella gibt, hat man bei Rist etwa 250 Exemplare verkauft, sagt Thomas Strini, Leiter der Abteilung Robotik bei Rist. Für das nächste Jahr sind bereits 250 Bellas vorbestellt, das liege an einem Großkunden mit mehreren bundesweiten Standorten. Generell wüchsen die Vertriebszahlen stetig, sagt Strini. Insgesamt schätzt er die Zahl der Bellas in Österreich auf etwa 500 – offizielle Zahlen existieren nicht, da der Einsatz von Servier-Robotern keiner Meldepflicht bei einer staatlichen Stelle unterliegt. ›Bella hat mit dem Katzengesicht und ihrem Charme ganz massiv dazu beigetragen, die Robotik in Europa in der Gastronomie salonfähig zu machen‹, sagt Strini stolz. Obwohl es inzwischen günstigere Alternativen gebe, ›wird immer noch die Bella gekauft, weil sie so niedlich ist‹, sagt Strini.
Im Café Traxlmayr sind die Meinungen über Bellas gewinnendes Wesen gemischt. Ein pensionierter Kunsthistoriker, der seit 45 Jahren jeden Morgen hierher kommt, hat sich rasch an das neue Gegenüber gewöhnt. ›Ich bemerke sie nur beim Reingehen, ein bisschen wie ein Haustier‹, sagt er. Ein Ehepaar mittleren Alters, ebenfalls seit Jahrzehnten Stammgäste, sieht Bellas Anwesenheit dagegen kritisch. ›Die Bella kann eben kein Herr Franz sein‹, sagt der Mann. Wenn Bella noch weiter zu den Tischen vorfahren würde oder gar in die Bedienung involviert wäre, würden sie sich ein anderes Kaffeehaus suchen. ›Es wäre dann ein Selbstbedienungs-Restaurant, kein Altwiener Kaffeehaus mehr.‹ Eine honorige Professorin, die das Traxlmayr wöchentlich aufsucht, findet Bella hingegen ›einfach entzückend. Ich liebe Katzen. Mich würde es nicht stören, wenn Bella vorfahren würde und ich mir das Tablett selbst nehmen müsste‹, sagt sie. Am Vortag habe sie beobachten können, wie das Personal an einem sehr vollen Nachmittag durch Bella sichtlich entlastet wurde.
Die Entscheidung für den Kauf des Servier-Roboters fiel bei Ulrich Traxlmayr kurz nach der Corona-Pandemie, weil ihm der zunehmende Personalmangel zu schaffen machte. Dieses Problem kennt Fridolin Wenny, Leiter des Büros für digitale Agenden der AK Wien. Er bestätigt, dass in vielen Betrieben, besonders in touristischen Regionen wie Tirol oder Salzburg, die Arbeitskräfte in der Gastronomie nach wie vor fehlen. ›Viele Saisonarbeiter aus Osteuropa sind während der Corona-Pandemie in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt – und kommen nun nicht mehr zurück‹, erklärt Wenny. Der Grund liege nicht nur in der Pandemie, sondern auch in den oft unattraktiven Arbeitsbedingungen und der saisonalen Unsicherheit.
Die Folgen spüren die Betriebe deutlich: Zahlreiche Wirte müssen zusätzliche Schließtage einführen, obwohl die Nachfrage nach wie vor hoch sei. ›Die Wirte müssen kreativ werden‹, so Wenny. Automatisierung könne Teil der Lösung sein, sei aber auch immer eine Frage der Akzeptanz bei den Beschäftigten. Gerade bei repetitiven und körperlich anstrengenden Aufgaben seien die menschlichen Arbeitskräfte aber oft froh über Unterstützung.
Derzeit verfügt das Traxlmayr über ausreichend menschliche Arbeitskraft, denn momentan arbeiten acht Ukrainerinnen und Ukrainer im Betrieb. Sollte der Krieg jedoch enden und ein Teil des Personals in die Heimat zurückkehren, würde das eine Lücke in das Team reißen. In diesem Fall müsste Bella laut Traxlmayr umfassender eingesetzt werden, etwa beim Ausfahren der Speisen an die Tische. Erst wenn das Potential des Roboters vollständig ausgeschöpft sei, würde sich die Anschaffung eines zweiten Geräts lohnen. Derzeit kostet Bella rund 16.000 Euro. Im Café Traxlmayr ersetzt sie pro Tag etwa ein Drittel einer Arbeitskraft. Sie kann zwar schwere Lasten tragen, ist jedoch in ihren Fähigkeiten eingeschränkt. Dafür benötigt sie keinen Urlaub und ist von ihrer nächtlichen Ladepause abgesehen rund um die Uhr einsatzbereit. Reparaturbedarf bestand laut Traxlmayr bislang wenig, nur die Räder nützen sich mit der Zeit ab und müssen getauscht werden. Für den Cafetier hat sich die Anschaffung deshalb bereits nach rund eineinhalb Jahren amortisiert. Im Unterschied zu menschlichen Angestellten fallen für Bella ja keine Lohn- oder Lohnnebenkosten an. Ein vollbeschäftigter Tragekellner kostet den Arbeitgeber im Durchschnitt etwa 25.000 Euro pro Jahr.
Am Nachmittag ist fast jeder Tisch im Café Traxlmayr besetzt. Einige Gäste tippen konzentriert auf ihren Laptops, andere plaudern. Hinten sitzen fünf ältere Herren und spielen Karten. Aus allen Ecken mischen sich Gesprächsfetzen mit dem Klirren von Besteck und Tassen. Bella steht auf Position 5, das Personal stellt Tablett um Tablett auf ihren Rücken. Als Oberkellnerin Gura Position 2 auswählt, rollt Bella über das historische Fischgrätenparkett Richtung Küche. Doch nach wenigen Metern bleibt sie stehen und dreht sich suchend im Halbkreis hin und her. Die Leuchtstreifen an Rücken und Ohren blinken durcheinander. Bella hat ein Problem. Eine Kellnerin entdeckt den Grund: ein herabhängender Jackenärmel blockiert den Weg. Sie hebt ihn an, Bella fährt weiter. Kaum hat Bella die Küche erreicht, tritt sie wieder den Rückweg an. Doch erneut stoppt sie: Ein Corgi versperrt ihr den Weg. Wieder führt sie ihr Halbkreistänzchen auf und blinkt. Der Hund starrt sie überrascht an, sie blickt mit großen, ausdruckslosen Augen zurück, bis er unter den Tisch flüchtet. Eine Tragekellnerin schiebt Bella schließlich wie einen Einkaufswagen zur Küchentür zurück. Es ist einfach zu voll; Bella muss eine Pause einlegen. Etwa 15 Minuten später hat sich das Café etwas geleert und Bella ist wieder unterwegs.
Laut Gregor Bitschnau, Pressesprecher des AMS, bleiben zur Zeit etwa 5.000 Stellen in der Gastronomie unbesetzt. Gleichzeitig sind aber auch rund 25.000 Arbeitnehmer in der Gastronomie als arbeitssuchend gemeldet. Die Gründe für diesen scheinbaren Widerspruch sind vielfältig und unterscheiden sich je nach Region. Eine bessere Vermittlung wird das Problem also nicht lösen, es braucht andere Strategien.
Gerold Royda, Sprecher der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in der Wirtschaftskammer Oberösterreich, glaubt trotzdem nicht, dass Serviceroboter den Personalmangel in der Gastronomie beheben werden. Aus seiner Sicht handelt es sich eher um ein vorübergehendes Modephänomen. ›In der Praxis höre ich oft, dass die Roboter zu langsam sind und ihre Installation zu aufwendig ist‹, sagt er. Damit ein Roboter überhaupt reibungslos funktioniert, müssten etwa die Gänge breit genug und die Böden vollkommen eben sein. Viele Betriebe stünden daher vor technischen Hürden. Royda sieht den Trend vor allem als Imagefrage: ›Die Wirte wollen modern wirken, sie wollen en vogue sein.‹
Auch Michael Nell, Geschäftsführer des Hotels Schwarzer Bär in Linz, durfte den Servier-Roboter bereits testen. Für ihn war er jedoch zu teuer für den Nutzen, den er daraus ziehen konnte. Die Gänge im Bistro seines Hotels waren zu eng, Bella konnte nicht nah genug an die Tische heranfahren. Nell sieht Bellas Platz in großen Einrichtungen beim Abtransport von Geschirr aus dem Saal in die Küche. ›Die Entwicklung finde ich aber positiv‹, sagt Nell. ›Bella legt den Grundstein für weitere Fortschritte.‹ Demnächst wolle er sich einen Reinigungsroboter zulegen, das sei sehr nützlich. Auch Strini von der Firma Rist sagt: ›Reinigungsroboter ziehen gerade extrem an, sie sind ein heiß umkämpfter Markt.‹ Aktuell werden jedoch noch mehr Serviceroboter verkauft.
Traxlmayr gibt zu, für ihn hat auch die Imagefrage eine Rolle gespielt: ›Wir müssen weg vom dem alt und historisch‹, sagt er. Technische Neuerungen einzuführen, ist für ihn nichts Ungewöhnliches. Ulrich Traxlmayr hat den Familienbetrieb 2009 mit Mitte 50 übernommen, vorher war er als Physiker in Wien tätig. Damals führte er als erste Neuerung Wlan ein. Daraufhin habe er wütende Beschwerden von Stammgästen bekommen, die Handys im Café verbieten wollten, statt auch noch Wlan einzurichten. Doch Traxlmayr findet, dass Technik und Fortschritt in sein Kaffeehaus gehören. Auch bei Bellas Einführung hätten sich die Gäste beschwert. ›Bella gehört nicht hierher, haben Gäste gesagt‹, bestätigt auch Tatiana Gura. Doch mittlerweile sei die Kritik verstummt und das Café immer noch voll. Vor zwei Monaten hatte Bella ein Problem mit den Rädern und fiel aus, das sei sofort spürbar gewesen.
Etwa alle zwei Wochen braucht Bella ein Update, das signalisiert sie, indem sie bei der Arbeit abstürzt. Dann bleibt sie mitten im Traxlmayr stehen und muss hinter eine schwere Tür aus dunklem Holz in die Telefonzelle gebracht werden. Die Telefonzelle ist bereits über hundert Jahre alt. Macht man die Tür auf, kommt man in einen mit hellgrünem Samt ausgekleideten kleinen Raum. Vier Löcher in der Wand erinnern an das dort einst befindliche Münztelefon. In den 2000ern stellte Ulrich Traxlmayr einen PC hinein, damit Gäste ihre E-Mails checken konnten. Heute nutzt Bella diesen PC für ihre Updates.
Wenn Oberkellnerin Gura zusperrt, ist Bellas letzte Fahrt des Tages die zum Billardtisch, diesmal mit den eingesammelten Zeitungen. Dort nimmt Gura dann die Zeitungen des vergangenen Tages aus den Zeitungsspannern, sodass am nächsten Tag die neuen eingespannt werden können. Nach ihrer letzten Mission fährt Bella wieder auf Position 2 neben die Küchentür zurück und wird an den Strom angeschlossen. Nun beginnt die fünf Stunden lange Ladephase. Der Bildschirm wird dunkel, wieder erscheint das Katzengesicht. Diesmal sind die Augen geschlossen und haben sich in zwei Striche verwandelt, aus Bellas Mund kommt ein ›zzzz‹ in einer angedeuteten Sprechblase.
›Wir waren vom ersten Tag an Freunde‹, sagt Gura. Vielleicht ist Bella doch der Beginn einer neuen Ära der autonomisierten Gastronomie. Aber jetzt muss sie erst einmal ausschlafen. •