›Man kann schon von einer Zwei-Klassen-Justiz sprechen‹
Name: Maria Nazari-Montazer, 47
Beruf: Familien- und Sozialrichterin
Warum sind Sie Richterin geworden?
Weil mir Gerechtigkeit ein großes Anliegen ist. Schon als Kind konnte ich es nicht ausstehen, wenn Leute beim Spielen geschummelt haben. Ich habe dann Jus studiert, die Gerichtspraxis gemacht und mich für die Übernahme in den Richterstand gemeldet. Ich schaffte die Übernahme im ersten Anlauf nicht und arbeitete drei Jahre in einer Anwaltskanzlei. Nach meiner Anwaltsprüfung ergab sich durch Zufall die Möglichkeit zum Quereinstieg in die Justiz.
Wie sieht der Alltag einer Richterin aus?
Ich habe elektronische Akten, über die ich mir jeden Morgen einmal einen Überblick verschaffe. Ich muss Verhandlungen ausschreiben, vorbereiten und durchführen – und am Ende Urteile schreiben.
Was ist das Schlimmste an Ihrem Beruf?
Wenn ich die Wahrheit nicht finde (lacht). Nein, selbst dann kann ich mich an die Prozessordnung halten und klar vorgehen. Es gibt Beweislastregeln. Wenn eine Partei nicht belegen kann, worauf sie ihren Anspruch stützt, dann verliert sie.
Wie gehen Sie mit Sympathie vor Gericht um?
Ich versuche, sie mir bewusst zu machen und nicht in die Entscheidung einfließen zu lassen. Genauso bei Abneigung. Logischerweise passiert beides, ich bin ein Mensch.
Mussten Sie schon einmal Urteile fällen, die Sie für ungerecht halten?
Ja. Wir haben ein sehr striktes Pensionsrecht in Sachen Arbeitsfähigkeit. Wenn dann Reinigungskräfte vor mir sitzen, die weder ihre Arme über den Kopf heben noch beschwerdefrei gehen können und ich ihnen die Invaliditätspension nicht gewähren kann, fällt mir das schwer. Aber mein Job ist, das Gesetz anzuwenden. Und insgesamt finde ich das System fair.
Spielt es eine Rolle, welchen Richter man vor sich hat?
Im Idealfall sollte das Gesetz klar genug sein, sodass es keine Rolle spielt. In der Praxis gibt es Rechtsgebiete, in denen ein gewisses Ermessen möglich ist – aber auch da muss alles fair ablaufen. Wenn doch jemand zu streng ist, haben Beschwerdeführer gute Chancen.
Haben Sie schon einmal ein Fehlurteil gesprochen?
Ja, bestimmt. Ich kann nie sicher sein, ob das, was ich im Urteil feststelle, auch tatsächlich so passiert ist. Ich war ja nicht dabei. In einem Fall habe ich kürzlich auch die Kostenentscheidung darüber vergessen, wie viel der Unterlegene dem Gewinner für die Anwaltskosten zahlen muss. Der betroffene Anwalt hat angerufen und darauf hingewiesen. Ich habe das dann ergänzt.
Was ist das Absurdeste, das in Ihrem Gericht passiert ist?
Bei einem Kollegen hat sich einmal ein Dolmetscher nackt ausgezogen, um gegen das Verfahren zu protestieren. Die erste Reaktion des Richters war, pflichtbewusst weiter zu protokollieren. Der entkleidete Dolmetscher wurde danach auf den Gang begleitet. Das Verfahren konnte nicht fortgesetzt werden, denn es fehlte ja dann ein Dolmetscher.
Wie viel verdienen Sie als Richterin?
Ich bekomme 4.500 Euro netto im Monat. Das Einkommen ist gesetzlich geregelt. Für einiges an Dienstjahren und etwa 50 Stunden pro Woche finde ich das angemessen.
Haben wir eine Zwei-Klassen-Justiz?
Mit viel Geld kann man viele Rechtsanwälte beschäftigen. Insofern kann man schon von einer Zwei-Klassen-Justiz sprechen. Aber das sollte nichts am Ergebnis des Verfahrens ändern.
Diskutieren Ihre Kollegen und Sie die Angriffe auf die Justiz?
Ja. Wer die Justiz so attackiert, wie es vonseiten mancher Politiker geschah, schadet dem Rechtsstaat allgemein. Denn man erschüttert das Vertrauen in die obersten Institutionen der Demokratie. •
Zahlen und Daten
In Österreich arbeiten rund 2.000 Richterinnen und Richter an verschiedenen Stellen – vom Bundesministerium für Justiz bis zu den Bezirksgerichten. Außerdem gibt es 180 Anwärterinnen und Anwärter auf das Richteramt.
Quelle: Justizministerium