Medien, ’s ischt Zeit!
Es war eine schöne, doch etwas aus der Zeit gefallene Szene: Am Abend des 25. April zogen einige hundert Demonstranten durch die kopfsteinbepflasterten Gassen der Wiener Innenstadt, um gegen das Ende der fast 320 Jahre alten Wiener Zeitung als täglich gedrucktes Medium zu demonstrieren. ›Abonnieren statt abmontieren‹, skandierten sie im Chor. Aber ganz ehrlich: Wer hätte vor zwanzig Jahren darauf gewettet, dass es 2023 immer noch alle Tageszeitungen (mit Ausnahme des WirtschaftsBlatts) in ihrer täglich gedruckten Form geben würde, und Menschen für den Erhalt einer Tageszeitung auf die Straße gehen?
Es gebe ja viel, wofür oder wogegen sich im Hinblick auf Österreichs Medienpolitik demonstrieren ließe. Dass es ausgerechnet das von der Regierung aller Kritik zum Trotz durchgepeitschte ›Bundesgesetz über die Wiener Zeitung GmbH und Einrichtung einer elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes‹, kurz WZEVI-Gesetz, schafft, die Zivilgesellschaft auf die Straße zu bringen, ist berührend österreichisch einerseits, andererseits auch irgendwie prototypisch für das Gemurkse, das sich hierzulande ›medienpolitische Debatte‹ nennt.
Weitere Beispiele für diesen kaputten Diskurs gefällig? Medienministerin Susanne Raab trägt im Vorfeld einer notwendigen Reform der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das sinnbefreite, aber boulevardtaugliche Mantra vom ›ORF-Rabatt‹ vor sich her und verweigert jede halbwegs ernsthafte öffentliche Debatte, um dann erst recht vom Boulevard für die neue ›ORF-Steuer für alle‹ medial abgewatscht zu werden. Oder: Die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger setzt der berechtigten und von Expertinnen und Experten einhellig und vehement vorgetragenen Kritik an der geplanten großflächigen Journalistenausbildung im Bundeskanzleramt (!) allen Ernstes das Argument entgegen, auch Lehrerinnen und Lehrer würden ja vom Staat ausgebildet. Und schließlich: Alexander Mitteräcker, der sonst besonnene Vorstand des Standard, tituliert den ORF angesichts möglicher neuer digitaler Ausspielkanäle gleich einmal als ›mediale Massenvernichtungswaffe‹. Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner?
Die Medienkrise schlägt Wellen, auch weit über die Branche hinaus. Tageszeitungen wie Kurier oder Kleine Zeitung bauen journalistisches Personal ab, und das ist wohl erst der Anfang. Es gibt viele Gründe dafür, dass es klassischen Medien wirtschaftlich schlecht geht, einige davon liegen auf der Hand: Schrumpfende Erlöse aus Werbung, die nur ansatzweise durch immer neue Fördertöpfe kompensiert werden, eine explosionsartige Zunahme an Konkurrenz im digitalen Raum, völlig veränderte Nutzungsgewohnheiten und zuletzt besonders dramatisch: rasant steigende Personal-, Papier- und Druckkosten. Als wäre das alles nicht schon dramatisch genug, gesellt sich in Österreich eine Summe an Korruptionsaffären dazu, die ein katastrophales Licht auf das Verhältnis zwischen manchen politischen Entscheidungsträgern und einigen Medien, besonders den Boulevardmedien werfen. Das befeuert einen schleichenden Vertrauensverlust, mit dem alle Medien zu kämpfen haben.
Das ist die brutale Realität der Medienwelt, und sie führt einen über Jahrzehnte verdrängten, demnach überfälligen und schmerzhaften Strukturwandel herbei. Was wir dabei aber nicht vergessen dürfen: Es gibt heute mehr Qualitätsjournalismus als je zuvor in diesem Land, egal ob gedruckt, digital oder im Fernsehen. Es gibt einen zunehmenden Bedarf an dieser gesellschaftlichen Dienstleistung, das erleben wir mit Freude auch bei DATUM. Dieser Umstand darf, ja muss allen Medienschaffenden Mut machen, dieser neuen Realität ins Auge zu blicken. •
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit den Seiten der Zeit!
Ihr Sebastian Loudon
sebastian.loudon@datum.at