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Mein Datum : 22. Juli 2011

Die norwegische Autorin Erika Fatland über die rechtsextremistischen Anschläge auf ein Jugendcamp auf der Insel Utøya und im Osloer Regierungsviertel.

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Fotografie  :
Tine Poppe
DATUM Ausgabe Juli/August 2021

Als ich von den Anschlägen in meiner Heimat erfuhr, war ich auf Urlaub in Portugal. Über einen Fernseher verfolgte ich die Nachrichten, die immer schlimmer und schlimmer ­wurden. Die Zahlen der Todesopfer, die immer weiter stiegen. Von meiner Mutter erfuhr ich per SMS, dass sich mein Cousin Lars auf der Insel Utøya befand. Er war damals 19 Jahre alt und nahm dort am Jugendcamp der norwegischen Sozialdemo­kraten teil. Später erfuhren wir, dass Lars als einer der ersten ­angeschossen worden war, sich zwei Stunden lang im Gebüsch versteckte, bedeckt mit Erde und Gestrüpp, und im letzten Moment gerettet werden konnte.

15 Minuten länger und Lars hätte nicht überlebt. Ich selbst hatte damals soeben ein Buch über den Terroranschlag auf die Schule Nummer 1 im nordkaukasischen Beslan geschrieben. 2004 waren dort 333 Menschen getötet worden, die meisten davon Kinder. Das Buch sollte im August 2011 erscheinen, kurze Zeit nach den Anschlägen in Norwegen. Und plötzlich hatte es diese neue, völlig unerwartete Re­levanz.

Für mich fühlte es sich damals richtig an, ein weiteres Buch den Ereignissen vom 22. Juli 2011 zu widmen und zu hinterfragen, welche Nachwirkungen ein Terroranschlag mit 77 Toten mit sich bringt. 13 Monate lang reiste ich durch ganz Norwegen, bis rauf nach Spitzbergen, und sprach mit Überlebenden, Hinterbliebenen und Menschen, die an je­nem Tag zu Lebensrettern wurden. Die Erlebnisse meiner Gesprächspartner waren damals noch so frisch, ihre ­Er­inner­ungen so detailliert. Ich bekam das Gefühl, ein Dokument zu schaffen – etwas, das bleibt. Ich baute eine Art professionelle Distanz auf.

Als ich mit Müttern und Vätern sprach, die ihr Kind verloren hatten – da konnte ich doch nicht diejenige sein, die in Tränen ausbrach. Jetzt, zehn Jahre später, ist das anders. Ich werde seltener mit den damaligen Ereignissen konfrontiert, und wenn doch, dann reagiere ich sehr emo­tio­nal. Ich war auch noch nie im Museum, das in Gedenken an die Opfer ­eröffnet wurde. Ich konnte es bisher noch nicht.

In Norwegen gab es zu ­Be­ginn die Hoffnung auf ein ­Zusammenrücken der Gesellschaft. Heute sehe ich aller­dings, dass diese Anschläge auch Konflikte und Hass her­vor­riefen. Manche Überlebende ­erhalten Hassnachrichten, und auch über ein Denkmal wurde bis zuletzt heftig gestritten. Langfristige Folgen der Anschläge wird man erst später sehen. Und manche Dinge wird man nie wissen, zum Beispiel: Welche Politiker wird unser Land nie haben, weil sie damals ihr Leben ließen? Man darf nicht vergessen, dass an diesem Camp auf Utøya einige der talentiertesten jungen Menschen unseres Landes ­teilnahmen.

Ich selbst brauchte nach meinem zweiten Buch erst einmal eine Pause vom Thema Terror. Heute schreibe ich andere ­Bücher, vor allem Reisebücher. Es ist schön, wenn ich mein ­Publikum bei Lesungen nicht mehr zum Weinen, sondern zum Lachen bringe. •

Zur Person:
Für ihr zweites Buch › Die Tage danach – Erzählungen aus Utøya ‹ reiste die Autorin Erika Fatland 13 Monate lang durch Norwegen und sprach mit Überlebenden und Hinterbliebenen.