Steh auf, Weibchen!

Resilienz ist ein hehres Ziel – solange es nicht das einzige bleibt.

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Fotografie:
Albert Winkler
DATUM Ausgabe April 2021

Es geht um die Herausforderung als Menschheit, das Ego (Mars) und die Gemeinschaft (Ura­nus) in Harmonie zu vereinen ‹, schreibt die Astrologin am Anfang des zweiten Pandemiejahres in eine große Facebook-Gruppe von Wiener Frau­en. › Zu verstehen, dass es uns als Individuum nur dann gut geht, wenn wir in einer funktionierenden Gemeinschaft leben. ‹ Sie hat auch einen Rat, wie das gelingen kann : › Mehr denn je ist jetzt Resilienz hilfreich, um sich nicht in die negativen Stru­del anderer hineinziehen zu lassen – ganz gleich, ob sie politischer, gesundheitlicher, humaner oder finanzieller Natur sind. ‹

Dass selbst Horoskope nicht mehr ohne Verweis auf Resilienz auskommen, lässt erahnen, wie omnipräsent dieser naturwissenschaftliche Begriff in unserem Alltag ge­worden ist. Ursprünglich aus der Werkstoffkun­de stammend, bezeichnet er die Eigenschaft elastischer Mate-rialien wie Gummi, nach starker Verformung in ihren Ausgangszustand zurückzukehren. Über die Psychologie, die damit die Fähigkeit beschrieb, Krisen ohne dauerhaften Schaden zu überstehen, schwappte das Konzept in nahezu alle anderen Lebensbereiche über : Egal, ob wir über Ökosysteme, Banken oder unsere Mundschleimhaut sprechen – Resilienz ist zu einem, vielleicht sogar dem Ideal in Krisenzeiten geworden.

Schon bevor das Sars-CoV-2-Virus eine weitere weltweite Krise auslöste, zeigte sich, dass der Begriff genau jene Anpassungsfähigkeit besitzt, die er beschreibt. So fand das Streben nach Resilienz nicht nur in verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen Anklang, sondern wurde auch zum Thema in Illustrierten, der Werbung und auf Social Media. Es zeigte sich, dass Resilienz in Form von hübsch illustrierten Sätzen wie › When Life Gives You Lemons, Trade them for Coffee ‹ durchaus erfolgreiche Instagram-Posts ergeben kann.
Je prominenter die Resilienz, desto lauter wurde aber auch die Kritik an ihr. Als der deutsche Soziologe Ulrich Bröckling das Wort 2017 zu einem › Schlüsselbegriff ‹ der Gegenwart erklärte, hielt er auch fest, dass ebensolche › selten rein deskriptiv ‹ seien : › Sie bündeln die Herausforderungen, denen sich ei­ne Epoche ausgesetzt sieht, und geben zugleich an, wie diesen zu begegnen wäre. ‹ Bröckling sah in der Resilienzförderung eine Strategie der Entpolitisierung. › Das resiliente Selbst ‹, schrieb er, › ist ein virtuoser Emotions- und Kognitionsmanager, der seine Aufmerksamkeit aufs Höchste konzentrieren und dann wieder alles loslassen kann. ‹ Nur eines käme ihm offensichtlich nicht in den Sinn : sich gegen das zu wehren, was es auszuhalten gelernt hat.

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