Tiroler Tetschn

Warum das Ergebnis der Landtagswahl alle großen Parteien nachdenklich stimmen sollte.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Oktober 2022

Mander, war das eine Freude! In Tirol feierte der Spitzenkandidat der ÖVP bei der Landtagswahl, Anton Mattle, die Niederlage der Partei und die Abwahl der Tiroler Koalition mit den Grünen so fröhlich und ausgelassen, als hätte die ÖVP das beste und nicht das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Ein Minus für die Partei von 9,6 Prozentpunkten und für die schwarz-grüne Landesregierung von über 11 Prozentpunkten waren ja wahrlich ein Grund für Fröhlichkeit und Feiern – gemessen an den Erwartungen. 

Mattles Vorgänger Günther Platter konnte man aufgekratzt sehen, als hätte er nie auf parteischädigende Weise seinen Abgang inszeniert. Er hatte tatsächlich Grund zur Freude: Die krachende ›Tetschn‹ (© Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Walser), die Mattle einstecken musste, hat er sich erspart. 

Selbstbetrug, dein Name ist an diesem Abend ÖVP. Das Wahlergebnis war nicht so verheerend wie die Umfragen davor, deshalb wurde aus einem Absturz in den Köpfen der ÖVP-Politiker ein Siegeszug. Die Tiroler ÖVP ist dabei sehr traditionsbewusst: Die Selbsttäuschung; die Ichbezogenheit; das Hemd, das immer näher ist als der Rock (der Gesamtpartei); der Machterhalt, der mehr zählt als der politische Inhalt, das alles gilt seit Jahren.

Wäre es anders, hätte man am Abend des 25. September besorgte Gesichter bei der ÖVP sehen müssen. Denn die Koalitionsvariante des ›Besten aus beiden Welten‹ ist durch den Mega-Verlust der ÖVP abgewählt worden. Und dies wird Auswirkungen auf die Koalition in Salzburg bei der Wahl im kommenden Jahr und auf die Bundesregierung haben. 

In Tirol war das ›Beste‹ jedenfalls nicht zu finden. So reißt das Debakel der Tiroler Schwarzen nicht nur die Grünen mit, sondern zerstört auch die Illusion einer innovativ-stabilen Regierungsform. Der Rücktritt des Sprechers der Grünen in Salzburg, Landeshauptmann-Stellvertreter Heinrich Schellhorn, nach dem Pflegeskandal in einem Seniorenheim, trägt auch nicht zur Festigung der Regierungsfähigkeit der Grünen bei.

Fehlt nur noch, dass die Basis der Grünen den Rest ihrer Selbstachtung in einem Aufstand gegen die Parteispitzen im Bund retten will. Sollte sich in ihrem Lager Panik breit machen, wird das Mantra ihres Chefs Werner Kogler, ›Wir haben die FPÖ verhindert‹, auch nicht mehr wirken – schon gar nicht, seit die Freiheitlichen in Tirol die SPÖ von der zweiten Position verdrängt haben. 

Und es sind Gefolgsleute von Rabiat-Obmann Herbert Kickl, die da einen zweischneidigen Sieg errungen haben. Er kann als Bestätigung des Kickl-Kurses gesehen werden und deshalb auch als Hindernis auf dem Weg aus der Isolation. Sollten sich die Grünen fragen, was ihnen eine Regierungsbeteiligung nützt, wenn sie laufend Stimmen verlieren, so können die Freiheitlichen sinnieren, was ihnen Stimmengewinne nützen, wenn sie nicht mitregieren können. 

Unterdessen freuen sich die ÖVP-Politiker in Tirol über den Machterhalt und ersparen sich wieder einmal jede Selbsterkenntnis. •

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