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„Unnötige Geräusche empören mich“

Der designierte Staatsoperndirektor Bogdan Roščić über Kinder, Kettensägen und Lehrgeld.

Interview:
Nicola Löwenstein
·
Foto:
Lalo Jodlbauer
DATUM Ausgabe Juni 2020

„Schimpfen geht auf Serbokroatisch unvergleichlich gut. Das sind einige der kreativsten, derbsten und leider auch vulgärsten Flüche überhaupt.“

„Beim Fluchen muss man sich in jeder Sprache ein ordentliches Repertoire aufbauen.“

„Über sich selbst spricht man viel zu gerne.“

„Es ist sehr schwierig, über sich selbst zu sprechen und etwas für andere Interessantes zu sagen.“

„Über sich selbst zu sprechen beinhaltet immer die Gefahr, bei zu kleinen Dingen und Themen stecken zu bleiben.“

„Als ordentlicher Vater muss man ja seine Kinder angeblich ermutigen, ständig über sich selbst zu sprechen und über ihre Befindlichkeiten nachzudenken. Ich halte das für völlig verkehrt.“

„Von Heimito Doderer habe ich den Satz gelernt: »Die Tiefe ist außen.« Von 1.000 Menschen würden wahrscheinlich 999 diesen Satz heute für falsch halten. Denn die Tiefe, die zunehmend interessiert, ist ausschließlich innen.“

„Faszinierend bei Fragen an meine Kinder ist, wie verblüffend schwierig es ist, auch nur das Geringste von ihnen zu erfahren.“

„Man ist letztlich minimal lernfähig.“

„Bei der Erziehung wollen Eltern manchmal ihre Kinder gerne wie einen Kühlschrank aufmachen, und sich herausholen, was ihnen gerade schmecken täte. Das machen Kinder aber nicht mit.“

„Homeschooling ist eine weitere Quelle latent schlechten Gewissens.“

„In der Krise hat sich all das, was in diesem seltsamen Job gleichzeitig zu bewältigen ist, natürlich potenziert.“

„Meine jetzt fast achtjährige Tochter hat immer noch nicht ganz akzeptiert, dass sie seit Wochen zuhause ist, aber sich dauernd so verhalten soll, als wäre sie in der Schule.“

„Ich bin für meine Kinder immer ein fürchterlicher Lehrer. Ungeduldig, zu viel selbst sprechend, erstaunlich unfähig, Inhalte, die mir selbst eigentlich sonnenklar sind, irgendwie überzeugend zu vermitteln.“

„Wenn ich versuche, meinen Kindern irgendeine Weisheit unterzujubeln, muss ich meistens hilflos zusehen, wie die vielen Worte wie tote Fliegen zu Boden fallen. Nicht unbedingt deswegen, weil sie auf Desinteresse stoßen, sondern weil ich es objektiv schlecht ‘rüberbringe.“

„Die einzige Strategie, die mir geblieben ist, um mit meinen Kindern sinnvoll zu sprechen, ist es, mit ihnen genauso wie mit Erwachsenen zu reden. Aber das schaffe ich auch nur ausnahmsweise.“

„Es tut gut, sich vor einem wirklich komplexen Problem einzugestehen, dass alle überfordert sind. Danach kommt man besser voran.“

„In Gesprächen mit Kindern darf man nicht versuchen, irgendeinen bestimmten Effekt zu erzielen. Man muss einen Wurf machen, und dann fällt der Stein auf den Boden des Sees und man muss sehen, was eventuell daraus wird.“

„Der größte Fehler in Gesprächen ist immer, etwas bewirken zu wollen.“

„Hat man das Gefühl, das Gesagte hat bei den eigenen Kindern noch nichts bewirkt, bombardiert man sie mit immer neueren Versionen der gleichen Botschaft. Das darf man nicht tun.“

„Wir halten uns alle für unglaublich frei, selbstbestimmt und die Schöpfer unserer eigenen Welt. Tatsächlich sind wir oft prädeterminiert durch jahrzehntelanges unreflektiertes Übernehmen von Dingen, die wir gehört, gesehen, erlebt haben.“

„Als Vater denkt man sich irgendwann »Ich klinge ja wie meine eigenen Eltern.« Und dann kommt man in das Alter, wo man sich sagt »Ja und was ist daran so schlimm?«“

„Ich habe eine früh entstandene, echte Lärm-Aversion. Unnötige Geräusche empören mich.“

„Es gibt ja keine verlässliche Stille mehr. Man kann stehen, in welchem Wald man will, irgendwo ist immer ein Flugzeug, eine Kettensäge oder eine Autobahn, bei der der Wind gerade so steht, dass man dieses bösartige Fauchen und Brausen hört, wie von einer Bestie, die nach einem greift.“

„Ich bin nicht der Typ, der unbedingt im Urwald mentale Gesundheitswochen mit Ayurveda-Massagen unter Verwendung von Fairtrade-Ölen verbringen muss.“

„Heimat ist erstens eine viel missbrauchte politische Kategorie. Zweitens nicht ganz so eng und eindeutig, wie es oft gesehen wird. Und drittens für mich prinzipiell alles, wo man jene Dinge wiederfindet, die einem im Leben zentral sind.“

„Ich glaube tatsächlich, dass ein Buch oder eine Symphonie Heimat sein können, geradeso gut wie ein Land oder eine Stadt.“

„Ich bin ja kein digital native, sondern im Umgang mit den sogenannten sozialen Medien ein grantiger alter Sack. Dadurch erspart man sich einiges.“

„Ich bin ein ganz schlechter Radiohörer.“

„Seitdem ich zurück bin in Wien, gerate ich manchmal zufällig, zum Beispiel im Auto, in ein gewisses Radioprogramm, höre irgendeinen Unsinn oder irgendwelche handwerklichen Fehler, bekomme ein Flashback aus den 90er Jahren, greife schon zum Telefon, um im Sender anzurufen und den Moderator fertigzumachen, natürlich ganz sachlich und konstruktiv, erschrecke aber rechtzeitig und wache sozusagen auf.  Dann weiß ich, es ist Zeit, den Kanal zu wechseln.“

„Es klingt schrecklich, wenn ich singe. Ich selbst ertrage es jedenfalls nicht und würde es niemals anderen zumuten.“

„Ein Moment des puren Glücks: Ein Sommertag in Berlin, meine Frau kommt vom Einkaufen zurück, macht den Kofferraumdeckel auf, man hört, wie drinnen im Auto „Let It Go“ läuft und meine Tochter mit ihrem glasklaren, sehr schön intonierenden Sopran aus voller Kehle begeistert mitgröhlt. Das werde ich nie vergessen, so lange ich lebe.“

„Glück ist wahrscheinlich nichts anderes als die Summe jener Momente, in denen wir geliebt haben, also imstande waren, uns selbst für diesen Moment loszuwerden. “

„Fotos erinnern mich daran, wie viele Momente unwiederbringlich verloren sind. Das ist eine Qual.“

„Wenn ich die tausenden, auf irgendeinem Computer abgespeicherten Handyphotos sehe, denke ich mir »Das ist ja mein Leben. Was ist, wenn diese Daten mal verloren gehen?« Ungelöste Probleme, Teil 713.“

„Ich fühle mich eigentlich die ganze Zeit ziemlich frei.“

„In allen Momenten, in denen man sich unfrei fühlt, in denen man sich einbildet, dies oder das unbedingt wollen oder unter Kontrolle bringen zu müssen, hat man die Möglichkeit, sich in der nächsten Sekunde zu entscheiden, von all diesen Einbildungen vollkommen frei zu sein. Das zu verstehen, ist der Zweck des erwachsenen Lebens, aber als Dauerzustand leider nicht zu halten.“

„Es ist möglich, auch seine eigene Dummheit loszuwerden. Eine ungeheure Erfahrung, schade, dass man sie nicht zuverlässig und auf Dauer machen kann.“

„Alleine die wunderbaren Tagebücher von Doderer hätten gereicht, ihn in den allerhöchsten Rang der Literatur zu heben. Etwa im Vergleich mit der peinlichen Ruhm-Buchhaltung in den Tagebüchern von Thomas Mann.“

„Bis zu einem gewissen Alter denkt man, das meiste kommt von außen. »Wenn ich das hätte, wenn ich da schon wäre, wenn ich das könnte…« Irgendwann kommt man drauf, dass man sich auch so in die Tasche lügt weil das Leben so nicht funktioniert.“

„Die vergangenen Wochen waren eine relativ erkenntnisfreie Zeit. Jetzt sind eher Fertigkeiten und Geschicklichkeiten gefragt.“

„Die Gefahr dieser Situation gerade ist, dass die Ermöglichung eines künstlerischen Programms vollkommen untergeht zugunsten der Bewirtschaftung diverser Notlagen. “

„Die Kultur darf nicht der Ort werden, an dem die Corona-Heuchelei ihre letzten Festspiele feiert, während überall sonst alles eigentlich wieder so ist wie immer.“

„Ich habe in meinem Kalender schon Premieren-Termine für Juni 2024 eingetragen.“

„Ich bin in der seltsamen Situation, demnächst vier der fünf Spielzeiten, für die ich bestellt bin, fertig geplant zu haben. Dabei habe ich noch nicht einmal mein Büro bezogen.“

„Man kann Künstler nicht buchen, wie man einen Kaffee bestellt.“

„Die Frage ist nicht nur, wie man den Fisch an Land zieht, sondern wie man ihn überhaupt findet.“

„Manchmal findet man neue Talente auch auf YouTube.“

„Backstage in der Oper geht es nicht immer zivilisiert, aber meistens doch geordnet zu, das ist nicht wie bei einem Open-Air.“

„Das Programm eines Theaters lässt sich nicht als Komitee-Projekt erstellen. Man muss schon sagen, was man will, und zwar sehr deutlich. Aber kommandieren gibt es nicht mehr, das war einmal, auch am Theater.“

„Selbstverständlich gibt es Werke, die man einfach nicht aushält; so geht es allen im Opernbetrieb.“

„Mit meiner Gesundheit gehe ich fast genauso verantwortungslos um wie die zwei Ärzte, die mich gezeugt haben. Das habe ich gründlich gelernt.“

„Ausgewandert von Belgrad nach Linz bin ich im Oldschool-Gastarbeitermodus in einem beeindruckend beladenen VW-Käfer und unterstützt von zwei hilfsbereiten Verwandten.“

„Ich bereue nicht, mir Bilder gekauft zu haben, die ich mir eigentlich nicht leisten kann.“

„Kunst wird natürlich auch ausgemistet. Man zahlt auch auf diesem Gebiet Lehrgeld. Bilder, die man vor ein paar Jahren unbedingt haben musste, sagen einem plötzlich nichts me

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