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Uns-rifiziert

Über die patriotische Hoffnung, zum Nationalfeiertag eine heimische Besessenheit loszuwerden.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Oktober 2025

Wer zum Nationalfeiertag patriotisch reflektiert die Seele baumeln lassen will, dem sei der neue Film von Olga Kosanović wärmstens empfohlen. In ›Noch lange keine Lipizzaner‹ dokumentiert sie die Odyssee jener, die Österreicher werden wollen, auch anhand der eigenen Geschichte. Geboren und aufgewachsen in Österreich, als Tochter serbischer Eltern, wollte Kosanović nach dem Studium die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen. Ging nicht. Sie war aufgrund zu vieler Urlaube, ihres Auslandsstudiums in Deutschland und eines Austauschsemesters in Prag 58 Tage zu viel im Ausland gewesen, um sie zu bekommen. Sie musste als ›Fremde‹, wie es im Magistratsschreiben hieß, den gesamten Einbürgerungsprozess von vorne beginnen. Kosanović machte ihren Fall publik. Das kommentierte ein anonymer User online mit den Worten: ›Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner.‹

Vergleiche mit Tieren, letztklassig, würden einige meinen. Minderwertigkeitsgefühle deluxe, sich selbst mit einem stolzen Pferd zu vergleichen und die andere als streunende Katze zu degradieren. Unterste Schublade.

Manche werden widersprechen. Der Konsens in Österreich ist doch ein anderer. Er lautet: Werde zum Lipizzaner! Du musst es werden! Du musst es auch werden wollen! 

Zuletzt eindrücklich demonstriert im viel diskutierten Falter-Interview mit dem mittlerweile verstorbenen Publizisten und Lehrer Niki Glattauer, der sich für assistierten Suizid entschied. ›Berührend‹ fanden viele die letzten Worte dieses ›gescheiten‹ Menschen. Mich haben sie bestätigt und traurig gemacht. Ich stellte mir die Frage, warum ein Mensch in seinen letzten Wochen das unbedingte Bedürfnis hat, noch einmal dieser einen österreichischen Besessenheit nachzugeben. Noch einmal heftig auszuholen und auf all jene zu schlagen, die für ihn zu viel geworden sind in diesem Land. ­Warum es keinen öffentlichen Aufschrei gab – vermutlich aus vermeintlichen Pietätsgründen –, wenn er davon spricht, dass Familien ›austrifiziert‹ werden müssen und man diesen Ausdruck allen Ernstes als Interviewende so stehen lässt, weil der schwerkranke Interviewte ein ›Das klingt jetzt schrecklich, aber es ist so‹ nachschießt und außerdem ›ein Linker‹ ist. Ebenso war es mir schleierhaft, wie zu wenige zu stören scheint, dass für ihn ein würdiges Sterben mit einem nicht Deutsch sprechenden Krankenhauspersonal unvereinbar ist: ›Und dann sprechen sie auch noch nicht Deutsch, weil sie aus dem Ausland kommen, weil wir Pflegepersonal aus dem Ausland nehmen, weil es billiger ist und weil es die Österreicher nicht mehr machen. Ist das ein würdiges Sterben?‹ Offenbar hängt neuerdings auch die Würde des Einzelnen in Österreich von den Deutschkenntnissen einer anderen Person ab.

Es ist so bitter und beschämend, wie man dieser Berufsgruppe der­maßen den Respekt verweigern kann. Sie nimmt es in ihrem gebrochenen Deutsch mit Fassung. 

Wie immer. Sie kennt die Leier.

Ein Teil dieser Gesellschaft hört sie seit Jahrzehnten. Sie hat sich gewöhnt daran und hat resigniert, immer wieder darauf hinzuweisen, ob sich eine Mehrheit beim Aussprechen, Weghören oder Applaudieren für der­artige Aussagen – um die es jetzt doch wahrlich in diesem berührenden Gespräch nicht primär ging, wie kleinlich kann man bitte sein! –  noch wirklich spürt. 

Sind Sie austrifiziert? Sind es Ihre Kinder? Wollen Sie es sein? Sie müssen! Sie müssen Lipizzaner sein wollen, schon vergessen?

Vielleicht ist es meine Hoffnung, gar eine Art Patriotismus, dass sich doch mehr in diesem Land spüren, als auf den ersten Blick manchmal erkennbar ist. In diesem Sinne: happy Nationalfeiertag, voller Würde, liebes Österreich. •

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