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Datum Talente

Unter die Haut

Mittels Biohacking optimieren immer mehr Menschen ihren Körper, die Palette reicht von der Antenne im Kopf bis zum implantierten Autoschlüssel. Ist das Fortschritt oder Fahrlässigkeit?

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Illustration:
Ūla Šveikauskaitė
DATUM Ausgabe September 2025

Mit einer beiläufigen Bewegung legt Thomas Urbanek die linke Hand an die Türsäule seines Tesla. Ein leises Klicken, die Tür entriegelt. Kein Schlüssel, keine Karte, kein Code – nur ein winziger Chip unter der Haut. Fünf davon trägt er inzwischen: drei in der linken, zwei in der rechten Hand. Sie öffnen Türen, starten das Auto, ersetzen Bankomatkarten. Einer ist aktuell leer, kann aber nach Belieben und per App befüllt werden. In der Vergangenheit hatte der 34-jährige Unternehmer zeitweise seine Fitness-Studiokarte darauf gespeichert. Die Chips ließ er sich zwischen 2020 und 2024 implantieren.

Urbanek ist schlank, trägt den dunklen Bart akkurat gestutzt und einen markanten silbernen Nasenring. Tom, wie ihn sein Umfeld nennt, ist Buchautor, Gründer und passenderweise CEO einer Sicherheitsfirma mit Sitz in Wien-Penzing. Denn Urbanek trägt einen diebstahlsicheren Schlüssel für Wohnungstür, Garage und Büro immer bei sich. Ein kurzes Handauflegen genügt und ›Sesam, öffne dich‹ wird vom Märchen zur Realität. Die Bewegung ist so selbstverständlich geworden, dass er manchmal vergisst, wie ungewöhnlich sie für andere wirken kann.

Wie 2023, als er bei einem Kebab-Stand die Hand ans Bezahl-Terminal hält. ›Der Beleg ist gleich rausgekommen, aber der hat mir das trotzdem nicht geglaubt, hat gedacht, ich will ihn betrügen. Ich habe ihm dann tatsächlich fünf Euro in die Hand gedrückt, um die Diskussion zu beenden‹, erzählt er.

Und auch in Urbaneks engstem Umfeld zog er anfangs skeptische Blicke auf sich. ›Meine Mama war am Anfang schon so: »Bist du deppert, das tust du dir nicht an.« Dann habe ich mit ihr geredet und ihr erklärt, dass das Risiko einer Infektion oder dass der Körper den Chip abstößt, extrem gering ist. Seitdem findet sie es eigentlich spannend, vor allem, wenn es um medizinische Anwendungen geht.‹ 

Was andere anfangs so abschreckte, ist für Menschen wie Urbanek ganz normal. Mit seinen Modifizierungen betreibt er eine Form des Biohackings, die umgangssprachlich auch Cyborg-Biohacking genannt wird. Darunter versteht man gezielte technische Eingriffe in den eigenen Körper. Der Begriff Biohacking als solcher bedeutet, den eigenen Körper und Geist gezielt zu verändern oder zu optimieren – oft mit einfachen Mitteln wie Ernährung, Nahrungsergänzungsmitteln, Schlaf, Bewegung oder mentalem Training. Manche nutzen dafür eben auch Technik. Ziel ist immer, die eigene Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden oder die Kontrolle über den eigenen Körper zu steigern.

Warum aber wollen sich Menschen zu Cy­borgs operieren lassen? Welche Risiken gehen sie – und vielleicht sogar wir als Gesellschaft – damit ein? Und wie funktioniert so ein Chip überhaupt?

Ein kleiner, grell ausgeleuchteter Raum. Auf dem Tisch liegt ein grünes OP-Tuch, daneben ein Skalpell. Davor: ein Stuhl, auf dem Thomas Urbanek Platz genommen hat. 

Genau dort, in seinem Büro, streckt er im Frühjahr 2023 die rechte Hand nach vorne, legt sie ruhig auf das OP-Tuch, die Handfläche nach unten, der Ellbogen ist aufgestützt. Dutzende Fotos belegen jeden einzelnen Schritt, von der Vorbereitung bis zur Implantation. Kein Krankenhaus, keine Klinik – sondern die eigenen Firmenräumlichkeiten. Hier, unter Neonlicht und mit stoischer Ruhe, lässt sich Tom einen NFC-Chip implantieren – von einem befreundeten Piercer, unter Einhaltung strengster Hygieneregeln. Reiskorngroß, in Hartglas eingeschlossen. Direkt unter die Haut am Handrücken, nahe dem Übergang zum Unterarm. 

Ein solcher Eingriff bewegt sich in Österreich juristisch in einem Graubereich. Ärzte dürften ihn zwar durchführen, tun das aber selten – es fehlt an Erfahrung, erzählt Urbanek, der mit mehreren Ärzten darüber gesprochen habe. ›Die Personen, die es wirklich können, sind spezialisierte Piercer, sogenannte Body-Modification-Artists‹, sagt er. Ein Arzt, bei dem er den Eingriff später begutachten ließ, bestätigte ihm, dass er medizinisch einwandfrei gemacht worden sei.

Wie viele Menschen solche Implantate tatsächlich tragen, weiß niemand genau. Schätzungen schwanken stark, offizielle Register gibt es nicht. Klar ist nur: Es handelt sich um eine Nische. In Schweden, das als Vorreiterland gilt, sollen sich inzwischen mehr als 3.000 Menschen Chips in die Hand setzen haben lassen – vor allem, um Züge oder Türen zu öffnen. In Deutschland gehen Fachleute wie Sven Becker, Gründer von ›I am Robot‹ von zwei- bis dreieinhalbtausend Trägern aus. Eine Zahl, die das Unternehmen, das sich gerne als Pionier in puncto Cyborg-Bodyhacking darstellt, aufgrund eigener Verkaufszahlen angibt. Weltweit liegt die Zahl nach Schätzungen des Anbieters Digiwell bei rund 50.000. Für Österreich gibt es keine Erhebungen; hier sind es mutmaßlich nur einige Dutzend bis wenige hundert Träger.

Ihnen gegenüber stehen Kritiker des Biohackings. Zum Beispiel der Neurowissenschaftler und Ethiker Anil Seth, Direktor am Centre for Consciousness Science der University of Sussex. Er äußert sich insbesondere zurückhaltend zur fortschreitenden Entwicklung invasiver Brain-Machine-Interfaces. Zwar betont er das medizinische Potential, warnt aber eindringlich vor hohen Risiken, unklarer Forschungstransparenz und ethischer Nicht-Nachvollziehbarkeit bei kognitiver Erweiterung. Am Ende könne es die Autonomie im Kopf sein, die auf dem Spiel stehe, sagte er im Jahr 2024 in einem Gespräch mit The Guardian. Auch bei nichtneuralen Eingriffen warnen verschiedene Einrichtungen, wie zum Beispiel das Christian Bioethics & Human Dignity Institute in den Vereinigten Staaten davor, den eigenen Körper zum Experimentierfeld zu machen. Viele sogenannte ›Grinder‹ oder Eigenbau-Implanteure operierten außerhalb medizinischer Standards. 

Parallel dazu boomt global der Markt für Selbstoptimierung: Nahrungsergänzungsmittel, Nootropika, also Gehirndoping, und personalisierte Gesundheits-Apps setzen weltweit Milliarden um. Laut einem Report von Grand View Research wurde die Größe des globalen Biohacking-Marktes im Jahr 2024 auf 24,81 Milliarden US-Dollar geschätzt. Von 2025 bis 2030 soll dieser mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von fast 19 Prozent weiterwachsen.

Lange vor diesem weltweiten Boom rund um Biohacking allgemein und dem sogenannten Cyborg-Biohacking im Speziellen hat der britische Avantgardekünstler Neil Harbisson als erster anerkannter Cyborg für Schlagzeilen gesorgt. Er ist ein Mann mit einer Antenne – und damit der weltweit erste Mensch, dessen technisches Implantat offiziell als Teil seines Körpers anerkannt wurde. Geboren 1982 in London, aufgewachsen in Katalonien, leidet Harbisson seit seiner Kindheit an Achromatopsie – einer seltenen Form völliger Farbblindheit. Er sieht die Welt in Graustufen. Oder besser: Er sah sie in Graustufen.

Im Jahr 2004 ließ sich Harbisson nämlich ein Gerät implantieren, das Farben in Töne übersetzt. Seine Antenne, fest im Schädel verankert, sendet Lichtfrequenzen als Vibrationen über den Schädelknochen direkt in sein Innenohr. Das Ergebnis: Er hört Farben, auch solche, die das menschliche Auge gar nicht erfassen kann, etwa Infrarot oder Ultraviolett.

›Jede Farbe hat ihre eigene Frequenz, sendet Schwingungen aus und wird in meinem Inneren zu einem Ton‹, erklärt Harbisson seither immer wieder in diversen Interviews. Was für andere Science-Fiction ist, ist für ihn Alltag. Supermärkte klingen wie Techno-Clubs, Kleidung summt. Menschen klingen unterschiedlich, je nach Hautpigment.

Die Antenne ist nicht abnehmbar, nicht abschaltbar und schon gar nicht nur symbolisch. Sie ist funktional. Als Harbisson 2004 seinen britischen Pass erneuern wollte, verweigerte das Amt zunächst ein Passfoto mit Antenne. Erst nach einem medizinischen Gutachten wurde sie als Körperteil anerkannt und damit zu einem weltweiten Präzedenzfall.

Für Urbanek sind seine Implantate vor allem eines: Kontrolle im Alltag. ›Ich sehe mich da nicht als Cyborg. Ich bin schon noch Mensch – vielleicht halt ein Mensch mit Upgrade‹, sagt er im Gespräch mit DATUM. Der Begriff ›Cy­borg‹ sei ihm zu groß, zu überladen. ›Das klingt nach Science-Fiction und nach Selbstinszenierung. Ich will einfach Technik nutzen, wenn sie Sinn macht.‹

Der Wiener Richard Staudner hingegen sieht in dem Thema etwas noch viel Größeres: Für ihn geht es nicht nur um Optimierung – sondern um nichts Geringeres als die Zukunft des Menschen.

Angefangen hat alles mit Omega-3-Kapseln und Kälteduschen. Heute zählt Staudner zu den bekanntesten Biohacking-Coaches im deutschsprachigen Raum. Er betreut Spitzensportler, schreibt Bücher und berät Unternehmen. Sein Weg in die Szene begann als Selbstexperiment: ›Ich war übergewichtig, gestresst und unfit – irgendwann musste ich was ändern‹, erzählt er. Und auch die angeborene Herzkrankheit seines Sohnes treibt ihn an.

Seither betreibt Staudner ›medizinisches Biohacking‹, wie er es nennt – fundiert, datenbasiert, präventiv. Er spricht über Saunagänge gegen genetische Risikoprofile und über Checklisten für die Zellgesundheit.

Im Cyborg-Biohacking sieht Staudner kein Risiko per se, sondern eine logische Konsequenz der technologischen Entwicklung. Die NFC-Chips von Urbanek sind für ihn ein Einstieg, nicht das Ziel. ›Ich bin sicher: In 20, 30 Jahren wird das Alltag sein. Transhumanismus wird zum Mainstream.‹ Sein Denken ist beeinflusst von Persönlichkeiten wie Ray Kurzweil oder Aubrey de Grey. Für sie ist der Mensch nicht das Ende der Evolution – sondern nur die Vorstufe zum Cyborg. Künstliche Organe, Gehirnimplantate, radikale Lebensverlängerung: für Staudner realistische Szenarien.

Er verweist auf ›andere Länder‹, in denen Körper-Technologien schneller alltagsnah erprobt werden als im deutschsprachigen Raum. Abgesehen von Skandinavien sind das vor allem die USA, wo 2017 mit der Chip-Party beim Tech-Unternehmen ›Three Square Market‹ in Wisconsin das erste Mal Angestellten freiwillig Implantate eingesetzt wurden, um Zutritte und Käufe zu erleichtern. Die gesellschaftliche Akzeptanz kommt, meint Staudner. Er plädiert für Selbstverantwortung statt Regulierung und für Aufklärung statt Angst.

Und Urbanek? Der plant aktuell keinen sechsten Eingriff, dagegen einzuwenden hätte er aber prinzipiell nichts, wenn es sich aus seiner Sicht lohnt. Für den technikaffinen jungen Mann sind die Implantate längst mehr als nur Spielerei: sie sind ein Stück Hoffnung. Denn Urbanek leidet, wie sein 17 Jahre älterer Bruder, an einer unheilbaren Augenkrankheit. ›Ich weiß, dass ich irgendwann in meinem Leben vollständig erblinden werde‹, sagt er. Eine Tatsache, die den werdenden Vater unermüdlich antreibt. In Kombination mit Biohacking durch Supplements und Eiweißpräparaten versucht er, das Fortschreiten seiner Erkrankung durch Zellregeneration so gut wie möglich hinauszuzögern. Und schließlich setzt er seine Hoffnungen auch in die Technik.

›Wenn es eine Linse gäbe, mit der ich mein Augenlicht behalten könnte – ich würde es sofort machen!‹, sagt er. Schluss wäre für ihn erst, wenn er die Kontrolle über seinen Körper aus der Hand geben müsste, weil die Technik ihn nicht mehr er selbst sein ließe. •

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