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Verhütung für den Planeten?

Jeder neue Mensch verschärft den ­Klimawandel. Ist das ein Grund, auf Kinder zu verzichten?

DATUM Ausgabe Mai 2019

Vorab drei Fragen: Haben Sie dieses Jahr ein Kind bekommen? Haben Sie darüber nachgedacht? Und hatten Sie dabei ein schlechtes Gewissen?  

Walter Berglund, der Held im Roman ›Freiheit‹ des renommierten Autors Jonathan Franzen formulierte es einmal – nicht allzu dezent – so: ›WE ARE A CANCER ON THE PLANET!‹ Wir, die Gewinner, würden auf den Toten der Menschheitsgeschichte herumtrampeln und gleichzeitig auch noch auf die gefährdeten Arten dieser Welt vergessen. Für ihn Grund genug, eine Kampagne gegen Überbevölkerung zu starten. Berglunds Aussagen mögen Fiktion sein, doch dieselben Gedanken liegen auch der Bewegung ›Birthstrike‹ zugrunde. ›Wir deklarieren hiermit unsere Entscheidung, keine Kinder zu gebären‹, heißt es auf der Homepage der Gruppierung rund um 250 Frauen und (einige wenige) Männer in Großbritannien, die beschlossen haben, kinderfrei zu bleiben. Zu unsicher sei die Zukunft im Angesicht einer drohenden Klimakatastrophe, zu wenig würde vonseiten der Politik dafür getan, um sie abzuwenden.  

Ich hätte da eigentlich mitmachen können. Ich habe keine Kinder, einen Job, der nicht gerade für seine Sicherheit bekannt ist, und bin nach Selbsteinschätzung gut informiert und sehr besorgt über den fortschreitenden Klimawandel. Kein Fleisch zu konsumieren fällt mir leicht, lange Zugfahrten finde ich entspannend. Doch beim Gedanken daran, die Erfahrungen des Kinderkriegens nicht teilen zu können, meldet sich ein ungutes Gefühl in mir und wehrt sich gegen jeglichen rationalen Zweifel. Keine unförmigen Ultraschallbilder; kein stolzes Handy-Herumreichen; kein ›ganz die Mama‹; kein Emil, keine Rosa. 

Soweit wir es wissen, gibt es außer uns Menschen keine Lebewesen, die über ihr eigenes Ende nachdenken. Fragen nach der Überbevölkerung scheinen der Elefant im Raum, oder noch treffender die Herde an Elefanten zu sein, über die niemand sprechen möchte. Es ist die Ursache und gleichzeitig der Dreh- und Angelpunkt für eine Lösung all unserer Probleme. Der Verzicht auf Kinder scheint die persönlichste Maßnahme zu sein, deren Abstraktion jegliche Vorstellungskraft übertrifft. Kann es sein, dass wir zu viele sind? Dass ein Kondom das wirksamste Mittel gegen die globale Erwärmung sein könnte, und die Entscheidung für ein Kind mittlerweile schon moralisch untragbar ist? 

Ich telefoniere mit Blythe Pepino. Sie ist die Gründerin von Birthstrike, 33 Jahre alt – und hat seit einem Jahr Kinderwunsch. Seither fühle sie sich so, als würde jedes Kind die Arme nach ihr ausstrecken. ›Das ist die emotionale Seite. Aber wenn ich rational über den Stand der Dinge nachdenke, fühlt es sich nicht so an, als würde ich durch meine Entscheidung ein Opfer bringen. Ich habe das Gefühl, gerade alles für den Kampf gegen den Klima­wandel geben zu müssen.‹ Ihre Bewegung machte Schlagzeilen, von vielen Seiten wurde ihre Argumentation ins Lächerliche gezogen. Der konservative US-amerikanische Fernsehsender FOX News attackierte sie vor laufender Kamera. Das Hauptargument? Ihre Gruppe hätte antinatalistische Züge, wünsche sich also im Grunde das Aus­sterben der Menschheit. ›Wir sagen den Leuten aber nicht, dass sie aufhören sollten, Kinder zu bekommen. Uns geht es darum, unsere privaten Entscheidungen als Druckmittel für politische Maßnahmen zu nehmen, die geschehen müssen.‹ 

Doch bewahrt man ein Kind vor Schaden, indem man es nicht zeugt? ›Stellen wir uns vor, du erzeugst Person A und kannst dir sicher sein, dass er oder sie ein großartiges Leben haben wird. Aber solange A nur eine »mögliche« Person ist, macht es für sie keinen Unterschied, ob du sie erzeugst oder nicht.‹ So argumentiert Jake Earl. Er ist Bioethiker und beschäftigt sich schon länger mit Fragen rund um die Moral des Kinderkriegens. Wenn wir davon ausgehen, dass mehr Menschen zu zeugen gleichzeitig bedeutet, dass mehr Gutes existiert, führt das zu einer paradoxen Situation. Um das zu illustrieren, bittet er mich, mir zwei Welten vorzustellen: In der einen gibt es vier Milliarden Menschen. Alle haben genug Essen, fundamentale Rechte und sind zufrieden. In der zweiten Welt leben 15 Milliarden Menschen, die gerade so über die Runden kommen. ›Der Logik nach müsste man diese zweite Welt wählen, weil in ihr mehr Menschen existieren. Ich tendiere deshalb dazu zu sagen, dass nicht-exis­tierende Menschen nicht von Bedeutung für unsere Entscheidungen sind.‹

Auch wenn wir sagen, dass wir jemandem ›das Leben schenken‹, ist ein Kind zu bekommen bekanntlich nicht nur ein selbstloser Akt. Ich beschließe also, mit der Person darüber zu sprechen, die vor mehr als 25 Jahren vor dieser Frage stand: meiner Mutter. Sie kann das Verhalten von Birthstrike nicht nachvollziehen, nennt deren Entscheidung sogar egoistisch. Wenn man sein Kind verantwortungsvoll erziehe, könnte es ja wiederum einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben, meint sie. Wer weiß, vielleicht sogar die nächste Greta Thunberg werden. Dem stimmt auch Jake Earl zu. Für das Kind selbst mache es vor seiner Zeugung vielleicht keinen Unterschied, ob es existiert. Die Leute rundherum könne es aber sehr wohl positiv beeinflussen. Doch fragt man Blythe Pepino, hat auch dieses Argument für sie keine Bedeutung. Wir hätten keine Zeit mehr, auf die Ideen unserer Kinder zu hoffen. ›Frauen werden egoistisch genannt, wenn sie nicht die nächste Generation erzeugen, die uns retten könnte. Das ist ein komplett irrationales Argument.‹ Das ergibt Sinn. Es sollte nicht die Aufgabe unserer Kinder sein, nach Lösungen zu suchen. Denn im Grunde macht man so nur das, was vorherige Generationen mit uns gemacht haben: Probleme weiterreichen. 

Es scheint also, als würden sich die Rechte der Menschen, die heute existieren, nicht mit den Konflikten vertragen, die für eine zukünftige Generation von Bedeutung sein werden. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es bis ins Jahr 2050 rund 9,6 Milliarden, bis 2100 sogar rund elf Milliarden Menschen geben wird. Die Be­völkerung wächst so schnell wie nie. 14 Prozent aller Menschen, die jemals existiert haben, leben in diesem Moment auf der Erde. Eine kleinere Erdpopulation würde es einfacher machen, die ökologischen Auswirkungen auf unsere Umwelt zu minimieren. 

Die Umweltauswirkungen, die man mit einem Kind weniger vermeiden würde, werden in der Literatur ›offspring effect‹ genannt. Die Wissenschaftler Paul Murtaugh und Michael Schlax betrachteten verschiedene Maßnahmen: einen energiesparenden Kühlschrank zu kaufen gleicht durchschnittlich 19 Tonnen weniger CO2, zurückgelegte Autostrecken zu halbieren 147. Und ein Kind weniger? Zwischen 562 und 9.440 Tonnen. Das sei mehr als Recycling, Radfahren, Wärmedämmung und so weiter kombiniert. Folgt man dieser Logik, kommt man zu einem klaren Schluss: Radikale Klimaschützer sollten kein Kind mehr bekommen. Allerdings: Individuelle Taten tragen vielleicht zu einem allgemeingültigen Wertesystem bei (man vergleiche es mit dem inhärenten Pflichtbewusstsein, wählen zu gehen), doch ein Märtyrerleben ergibt ohne Bemühungen auf einer höheren Ebene kaum Sinn. Sollte der Staat also auch in Reproduktionsfragen eingreifen? 

Versuche einer Geburtenkontrolle sind nicht neu. Schon im späten 18. Jahrhundert dachte der britische Ökonom Thomas Robert Malthus über diese Frage nach. Die Bevölkerung wachse exponentiell, die Lebensmittelversorgung jedoch linear. Eine Katastrophe, die die Menschheit wieder auf ein niedrigeres, nachhaltigeres Level drücken würde, sei unausweichlich. Einzig wirksam sei sexuelle Zurückhaltung. Es ist kein Wunder, dass seine Gedanken heute nicht Teil der gängigen Lehrmeinung sind – nicht nur, weil er aufgrund seiner eigenen 14 Kinder den Spott seiner Gegner abbekam. Seine Prognosen waren falsch, die Be­völkerung Europas wuchs deutlich langsamer. Außerdem folgten gefährliche Irrwege: Heiratsbeschränkungen gab es mancherorts bis in die 1920er-Jahre; Zwangssterilisationen in Indien und auch Chinas Einkindpolitik (die prinzipiell schon widersprüchlich ist, da Marxisten wie Mao Malthus stets kritisierten) stehen nicht gerade als Positivbeispiele in den Lehrbüchern. Trotzdem sei seine Theorie immer noch relevant, so Professor Robert Mayhew, der sich an der Universität Bristol mit den modernen Interpretationen des Malthusianismus auseinandersetzt. Man müsse seine Theorien anpassen: ›Die Frage ist nicht, wie wir sieben Milliarden Menschen ernähren – denn das könnten wir mit der richtigen Verteilung. Es geht darum, ob wir sie ernähren können, ohne das Ökosystem zu zerstören.‹

Man könnte nun argumentieren, dass es wenig sinnvoll ist, in einem Land wie Österreich mit einer Geburtenrate von 1,5 Kindern pro Frau über dieses Phänomen zu diskutieren. Ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man sich die Geburtenrate im globalen Süden ansieht. Doch man muss bedenken, dass die Populationszunahme in Industrieländern schwerer ins Gewicht fällt: Ein Kind, das in Großbritannien geboren wird, benötigt 22-mal mehr Ressourcen als ein Kind in Malawi. Paul Ehrlich, der in den 60er-Jahren mit seinem Buch ›Die Populationsbombe‹ bekannt wurde, nannte uns deshalb Superkonsumenten. Bald erreichte ihn feministische Kritik, die ihm eine autoritäre Sichtweise auf weibliche Körper vorwarf. Seither würden die Leute nicht mehr gern über Populationskontrolle reden, meint Mayhew. Sie fänden es zu unangenehm und würden sich auf Auswirkungen statt Ursachen konzentrieren. ›Ich denke, viele Punkte der Kritik an Malthus und den Neo-Malthusianern wie Ehrlich, sind auch noch heute zulässig: Wer sollte diese reproduktiven Entscheidungen bestimmen – das Indivi­duum, die Gesellschaft, der Staat?‹ Ab wann ist der öko­logische Fußabdruck eines Menschen nicht mehr Privatangelegenheit? 

›Die Frage ist nicht, wie wir sieben Milliarden Menschen ernähren – denn das könnten wir mit der richtigen Verteilung. Es geht darum, ob wir sie ernähren können, ohne das Ökosystem zu zerstören‹, sagt Professor Mayhew.

Anstatt hart durchzugreifen, könnte man auch die pro-natalistische Politik einschränken und auf weichere Methoden setzen, sagt Tim Meijers, der sich im Rahmen des ›Fair Limits‹-Projekts der Universität Utrecht mit der Frage beschäftigt, ob gewisse Menschen zu viel von einer Ressource besitzen – in diesem Fall an Nachwuchs. ›So wie der Staat steuerlich oft jetzt schon jenen steuerliche Erleichterungen verschafft, die viele Kinder haben, könn­­te man auch das Gegenteil bewerkstelligen.‹ Putin erklärte die Unterstützung für Mutterschaft und Familien mit multiplen Kindern zur nationalen Priorität; die ›Do it for Denmark‹ Kampagne schaffte es 2014 erfolgreich, die Geburtenrate zu steigern. Wieso also nicht diejenigen belohnen, die weniger Kinder bekommen? Doch die Sache ist meist ein bisschen komplizierter. Kinderlosigkeit in einer bereits überalterten Gesellschaft zu fördern wäre nicht gerade vorteilhaft für die Aufrechterhaltung des herrschenden Wirtschafts- und Sozialsystems. Außerdem zeigten zwei Forscherinnen der Österreich­ischen Akademie der Wissenschaften erst kürzlich, dass Frauen im Durchschnitt statt den zwei Kindern, die sie sich wünschten, nur ›1,7‹ Kinder bekamen. Menschen haben weniger Sex, in Japan werden sogar mehr Erwachsenen- als Babywindeln verkauft, so die Tokyo Times. Kinderwünsche kann man nicht so leicht in Exceltabellen eintragen, die Entscheidung bleibt meist nicht auf der rationalen Ebene. Zum Glück, müsste ich als ›Unfall‹ zweier Studierender sagen. Und dann ist da noch das ungute Gefühl, dass solche Maßnahmen gerade diejenigen treffen könnten, die generell schon diskriminiert werden und womöglich sogar weniger Kinder wollen, als sie haben.

›Ich denke schon, dass es auf gewisse Weise eine nachhaltige Pflicht ist, weniger Kinder zu haben‹, sagt Meijers. ›Aber ich denke nicht, dass wir die Leute auffordern können, gar keine Kinder mehr zu bekommen.‹ Ohne aus Erfahrung zu sprechen, scheint es mir logisch, dass Kinder uns einen Teil des Lebens erschließen, der uns sonst kaum zugänglich wäre. Sie können für manche sinnstiftend sein, ebenso wie es für andere vielleicht das Leben ohne Kinder sein mag. Und selbst, wenn wir ein ideales Modell finden würden, um niedrigere Geburtenraten zu installieren, bleibt die Frage, ob diese Maßnahmen auch wirksam wären. Corey Bradshaw und Barry Brook von der University of Adelaide berechneten ein entsprechendes Modell für das Jahr 2100. Die Ergebnisse: Auch wenn wir alle am gleichen Strang einer gemeinsamen Fruchtbarkeitspolitik ziehen würden, könnte das unsere Auswirkungen auf die Umwelt – inklusive des Klimawandels – nicht kompensieren. Selbst wenn ein Asteroid einschlagen (ein Supervulkan ausbrechen, die Pest zurückkehren – hier können Sie Ihr eigenes Horrorszenario einsetzen) und zwei Milliarden Menschen umbringen würde, dann wären im Jahre 2100 immer noch achteinhalb Milliarden Menschen auf dieser Erde unterwegs. 

Langfristig muss das Bevölkerungswachstum zurückgehen, doch eine radikale Lösung scheint nichts zu bringen. Seit einigen Jahrzehnten sinkt die Geburtenrate ohnehin schon: In den letzten 50 Jahren ist die Geburtenrate in Entwicklungsländern von durchschnittlich sechs auf 2,7 Kinder pro Frau gesunken, so die UNO. 215 Millionen Menschen weltweit wünschen sich moderne Verhütungsmethoden, haben sie jedoch nicht, heißt es im Worldwatch Report. Das bedeutet 50 bis 70 Millionen ungewollte Schwangerschaften pro Jahr. Das Zaubermittel? Effektive Familienplanung und Bildungsprogramme vor allem für Frauen, die auch positive Effekte wie die Reduktion von Armut, weniger Abtreibungen, Fehlgeburten und eine niedrigere Müttersterblichkeit bringen können. 

Sehr wohl sollten wir aber über den Einfluss steigender Bevölkerungszahlen auf den Verlauf der Mensch­heitsgeschichte nachdenken. Der richtige Fokus ist dabei so banal wie er gleichzeitig entscheidend ist: Wichtiger als eine Reduktion der Population sind soziale und technologische Ziele für einen kleineren globalen Fußabdruck, Konsumreduktion statt Geburtenkontrolle. Neben systemischen Veränderungen bleibe einem selbst nur eines, so Meijers: ›Ich kann als Individuum beschließen, statt drei nur zwei, statt zwei nur ein Kind zu haben.‹ Eine Art Kleinfamilien-Ethik. Denn selbst, wenn wir denken, dass Kinder Teil eines sinnstiftenden Lebens sind, können wir uns fragen, wieso das so ist, welchen Unterschied adoptierte Kinder machen würden und ob dieser Sinn durch eine Vielzahl an Nachwuchs gesteigert werden würde. Ein Kind zu haben, kann einen mit der Welt versöhnen, lässt einen ihre Schönheit womöglich erst begreifen. Und wenn man sie begreift, ja, dann bleibt die Hoffnung, dass man sie auch schützen möchte. •