Vom Gleichgewicht der Stimmen
13 Forderungen für mehr europäische Demokratie.
Anfang September deponierte eine Gruppe deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen eine Petition im Bundestag: ›Macht’s uns europäisch – Für mehr europäische Demokratie!‹ Die Organisatoren sammeln nun 50.000 Unterschriften, um ihr Anliegen im Erfolgsfall im Petitionsausschuss vorzutragen. Konkret fordert die Initiative die Mitglieder der deutschen Bundesregierung auf, ›entschiedenes Engagement in den Bereichen Wahlrecht, Reform der EU-Institutionen, Sicherung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Transparenz‹ zu zeigen.
Die Initiative birgt Potenzial. Erstens, weil jeder Schritt zu einer möglichen Weiterentwicklung der EU gegenwärtig über die Hauptstädte – am besten über Allianzen – getan werden muss, weil die EU mit dem Lissaboner Vertrag stärker auf das Interessensspiel der Mitgliedstaaten als auf die Impulse der Europäischen Kommission und des Parlaments aufbaut. Zweitens, einige der insgesamt 13 Forderungen zählen zu den unangenehmen, aber letztlich machbaren Aufgaben einer EU, die mit dem Brexit-Votum einen unüberhörbaren Schuss vor den Bug erhalten hat und sich dringend bürgernäher und zukunftsfähig aufstellen muss.
Wie könnte diese Bürgernähe aussehen? Der Petition zufolge hieße dies zuallererst, das Europäische Wahlrecht zu stärken. Durch den Brexit etwa werden die 73 Sitze der britischen Abgeordneten im Europäischen Parlament frei. Der Bundestag solle sich dafür einsetzen, dass diese in einer europaweiten Wahl vergeben werden. ›Alle wahlberechtigten Europäerinnen und Europäer sollen dabei eine gleichwertige Stimme haben‹, heißt es in der Petition. Dies könne zukunftsweisend für künftige Europawahlen sein; bisher ist die Stimme jedes Europäers entsprechend der Anzahl der Parlamentssitze und der Einwohnerzahl seines Landes gewichtet. Das neue Prinzip der Stimmgleichheit für die Europawahlen könnte sich auch insgesamt durchsetzen.
Zweitens fordern die Petitionsinitiatoren die noch in diesem Monat neu in den Bundestag zu wählenden Volksvertreterinnen und -vertreter auf, sich ›für die Verlegung aller Aktivitäten des Europäischen Parlaments an einen Ort einzusetzen‹ – damit das Parlament in Brüssel und Straßburg nicht doppelt geführt wird.
Drittens soll sich der Bundestag laut Petition dafür einsetzen, Standards für Demokratie und Rechtsstaat in allen EU-Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Entscheidungen über Sanktionen sollen nicht bloß in der Runde der Staats- und Regierungschefs getroffen werden. Wenn Mitgliedstaaten Grundwerte der EU verletzen, soll auch der Europäische Gerichtshof einschreiten können.
Weiters mögen deutsche Abgeordnete sich dafür einsetzen, ›dass durch geeignete Programme die Handlungsfähigkeit der Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten gestärkt wird. Zivilgesellschaftliches Engagement ist ein Eckpfeiler für die Demokratie und den Rechtsstaat in jedem Land.‹ Dahinter steckt im Grunde die Frage, die wir angesichts von Spaltung, Erosion von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten diskutieren müssen – gerade auch in reichen EU-Ländern wie Österreich: Wieviel sind uns der Schutz und die Weiterentwicklung der Demokratie – samt Bildung, Medien und Zivilgesellschaft – unterm Strich wert?
Die europäische Initiative der deutschen Zivilgesellschaft hat das Fundament im Blick. Wer es ernst meint mit der EU-Kritik, steckt auch in Österreich dem Parlament einen Forderungskatalog in den Briefkasten, bevor das Land schon bald, im zweiten Halbjahr 2018, den Ratsvorsitz übernimmt.