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Vučićs großer Bruder

Mit China hat Serbien in der Coronakrise einen mächtigen Partner gefunden. Was bedeutet das für die EU?

DATUM Ausgabe Mai 2020

Starke Männer lieben große Gesten und prächtige Kulissen. Aleksandar Vučić, Präsident seit 2017 und der starke Mann Serbiens, liebt sie auch. Am 21. März landete am Belgrader Flughafen die erste Maschine von Air Serbia voll mit medizinischer Schutzausrüstung aus China und chinesischen Experten für die Bekämpfung von Covid-19. Die chinesische und serbische Fahne wehten aus dem Cockpit. Vor dem Flugzeug stand die ganze Ministerriege mit dem zu Tränen gerühr­ten Präsidenten Vučić an der Spitze, um die Hilfe in Empfang zu nehmen. › Sagen Sie dem chinesischen Volk ‹, so Vučić, › wie sehr wir es lieben und wie sehr wir den Bruder Xi (Anm. den chinesischen Präsidenten) schätzen. Eiserne Freunde sind wir, Serben und Chinesen. ‹ Das größte, ­regierungsnahe Boulevardblatt Informer wartete nicht lange und pflasterte die Hauptverkehrsadern von Belgrad mit › Danke, Bruder Xi ‹-Reklameflächen zu.

Nur ein paar Tage später hat sich die Miene von Vučić verdüstert. Da richtete er Ursula von der Leyen und der EU aus, dass die europäische Solidarität ein schönes Märchen war und nicht existiere. Zuvor war die Ausfuhr medizinischer Schutzausrüstung aus der EU verboten worden. So vollzog Vučić in wenigen Tagen die Wende von der EU zu China, vom demokratischen zum neuen autoritären Rollenmodell. Der Unterschied ist nur, dass Serbien weiterhin mit der EU über die Mitgliedschaft verhandelt und zuletzt ausgerechnet von der EU die meisten Hilfen bekam. Vučić ist bewusst, dass eine radikale und demonstrative Abkehr von der EU weder politisch noch wirtschaftlich klug ist und möglich wäre. Im Verlauf der Coronakrise verstärkte sich der Eindruck, dass Vučić mit seiner Hinwendung zu China das altbewährte geopolitische Doppel- und Dreifachspiel Serbiens zwischen der EU, Russland und China auch diesmal ausnutzt, um Brüssel unter Druck zu setzen und den eigenen kurzfristigen Gewinn zu maximieren.

Die Bruderliebe zu Xi ist aber nicht die einzige Folge von Covid-19. Das › lächerlichste Virus der Geschichte ‹, wie das Coronavirus von Dr. Nestorović, einem der medizinischen Berater des Präsidenten, bei einer Pressekonferenz mit Vučić Ende Februar getauft wurde, hat innerhalb weniger Wochen alle strukturellen Merkmale der Herrschaft von Vučić verstärkt. Mit Vučić an der Spitze befindet sich Serbien im freien demokra­tischen Fall. Vor dem Ausbruch hat das unabhängige US-Institut › Freedom House ‹ festgehalten, dass Serbien – zusammen mit etwa Ungarn und der Türkei – in den letzten zehn Jahren den stärksten Demokratierückgang verzeichnet hat. Aleksandar Vučić und seine Serbische Fortschrittspartei beherrschen alle Bereiche des politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens. Das Tempo in der Justiz, im Parlament und allen anderen Institutionen bestimmt der › Chef ‹, wie der eigentlich nur mit repräsentativen Funktionen ausgestattete serbische Präsident von der Regierungschefin, Ana Brnabić, bezeichnet wird. Freie Medien sind unter Druck, ebenso kritische Stimmen in Öffentlichkeit oder Wissenschaft.

Der Weg vom › lächerlichsten Virus der Geschichte ‹ zu ernsten Mienen und dem allseits getrommelten › Krieg ‹ gegen das Virus war kein langer. Seit Mitte März malt Vučić nahezu täglich den Teufel der Apokalypse an die Wand. Die Apokalypse auf Vučić-Art geht Hand in Hand mit fast beliebiger Ausnutzung des Mitte März ausgerufenen Ausnahmezustandes und einer alltäglichen Machtdemonstration des Regimes vor den Augen der serbischen Bevölkerung. Das serbische Parlament, das schon vorher de facto vom Regime kontrolliert wurde, ist zugesperrt. Für April angesetzte Wahlen wurden verschoben, eine Ausgangssperre sofort eingeführt, streng kontrolliert von Polizei und Militär. Menschen über 65 dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen. Die persönlichen Freiheiten, Grund- und Menschenrechte werden unter dem Deckmantel der Rettung menschlichen Lebens suspendiert. Am langen orthodoxen Osterwochenende Mitte April dauerte die absolute Polizeisperrstunde gar 84 Stunden lang.

Welche Folgen wird die Coronakrise für die weitere Demokratieentwicklung Serbiens und auch für seine Beziehung zur EU haben? Die volkswirtschaftlichen Folgen werden in Serbien wie am ganzen Balkan enorm sein. Die Zahl der Arbeitslosen und der sozialen Härtefälle wird zunehmen. Die ohnehin tiefen Ungleichheiten innerhalb der serbischen Gesellschaft werden sich verstärken. Die Erfahrungen nach der letzten Weltwirtschaftskrise sprechen eine klare Sprache – die politischen Folgen werden ebenfalls gravierend sein. Das System Vučić, so wie es seit 2012 funktioniert und nun in Covid-19-Zeiten sein autoritäres Gesicht zeigt, schließt ein demokratisches Happy-End aus. Mit der Krise wächst eine Gewissheit: Die Spirale des demo­kratischen Niedergangs und der Autokratisierung Serbiens dreht sich weiter. Bruder Xi dürfte sich freuen.

Ein Ausweg aus dieser Misere aber müsste genauso radikal sein wie das Regime – eine neue demokratische Revolution in Serbien. •