Wie es ist … Halluzinationen zu entwickeln 

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Fotografie:
Elaine Poet
DATUM Ausgabe Mai 2025

Ende letzten Jahres begann ich merkwürdige Geräusche zu hören. Etwa ein Rauschen in meiner Wohnung. Anfangs hielt ich es für Laute, die ein altes Haus nun einmal macht. Doch als eine Freundin zu Besuch kam, fiel mir auf, dass sie die Dinge, die ich hörte, gar nicht wahrnahm. Da spürte ich zum ersten Mal, dass etwas nicht stimmte. 

Dann kamen zu den Geräuschen Stimmen dazu. Wenn ich denke, spreche ich dabei normalerweise innerlich mit mir und höre mich selbst reden. Eines Nachts wachte ich auf, weil ich hörte, wie zwei Freunde von mir über eine Nähmaschine sprachen. ­Zuerst dachte ich, ich hätte ­geträumt. Dabei klang es, als stünden die beiden neben mir im Raum. Ich konnte zunächst nicht mehr einschlafen und war ­völlig verwirrt. Ich dachte, vielleicht würde ich jetzt nicht mehr nur in meiner, sondern auch in anderen Stimmen denken, und beließ es dabei. 

Die Halluzinationen wurden aber häufiger. Erst kamen sie nur nachts, dann auch tagsüber, und zwar täglich. Irgendwann hörte ich eine fremde männliche Stimme. ›Du bist es nicht wert‹, sagte sie. Oder: ›Das kannst du nicht.‹ Das hat mir Angst gemacht. Ich war mir nicht sicher, ob ich das selbst denke, oder ob das jemand zu mir sagt. Ich begann, an meiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Ich hatte schon früher psychische ­Pro­bleme gehabt, aber jetzt fragte ich mich: ›Werde ich ­gerade verrückt?‹

Wenige Wochen später sah ich dann zum ersten Mal eine Person: eine Frau, die auf meiner Bettkante saß und mich anstarrte. Merkwürdigerweise wunderte es mich gar nicht, dass da scheinbar jemand Fremder in meinem Zimmer war. Es ist ein bisschen, wie wenn man träumt und nicht hinterfragt, dass man fliegen kann. Gleichzeitig fühlt es sich viel realer an.

Ich habe dann immer öfter Menschen und Tiere in meiner Wohnung gesehen. Die Tiere waren süß. Die Menschen hingegen jagten mir Angst ein. Nachts habe ich kaum geschlafen. Vier Monate nachdem ich das erste Mal halluziniert hatte, wurde es mir schließlich zu viel: Mitten in der Nacht verließ ich meine Wohnung, weil ich das Gefühl hatte, vor irgendetwas fliehen zu müssen. 

Ich fuhr ins Krankenhaus und verbrachte dort sechs Wochen in der Akutpsychiatrie. Dort habe ich eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen diagnostiziert bekommen. Ob das stimmt, weiß ich nicht, depressiv fühlte ich mich in der Zeit nicht.  

Dann bekam ich Medikamente. Ein paar Wochen, nachdem ich sie zum ersten Mal nahm, saß ich im Krankenhaus auf meinem Bett, als ich wieder Stimmen hörte. Aber zum ersten Mal realisierte ich: Das sind nicht meine Gedanken. Die Medikamente halfen.

Heute habe ich dank ­meiner Tabletten keine ­Halluzinationen mehr. Der Weg zurück in die Realität war aber schmerzhaft. Ich musste lernen, meiner eigenen Wahrnehmung wieder zu vertrauen. Trotzdem habe ich Angst, dass die Halluzinationen wiederkommen. Sollte das passieren, wüsste ich jetzt wenigstens besser, wie ich ­damit umgehen kann.

Mir ist wichtig zu sagen: Ich habe nicht meinen ­Verstand verloren, sondern meine Realität ist eine andere. Eine, die meine Mitmenschen nicht nachvollziehen können. Aber ich glaube, die Grenze zwischen Realem und Imaginiertem ist manchmal eine fließende. Zumindest für mich. •

Elaine Poet (25) schreibt in ihrem Blog neurodivergent.turtle auf Instagram über Themen rund um mentale Gesundheit. Seit 2018 lebt und studiert sie in Wien, aufgewachsen ist sie in Deutschland.

Redaktioneller Hinweis: Wer unter akuten psychischen Problemen leidet, kann sich in Österreich an den 24-Stunden-Notruf des Sozialpsychiatrischen Notdienstes wenden: 01-131 330

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