Wien, Berlin und ich
Mein Kolumnen-Jahr geht zu Ende – Zeit für einen Neuanfang.
Heute vor knapp einem Jahr saß ich DATUM-Herausgeber Sebastian Loudon im Café Figar gegenüber. Er interviewte mich für seine damalige Kolumne in diesem Magazin. Es waren diese verrückten Wochen nach der Black-Lives-Matter-Demo, in denen das Thema Antirassismus unerwartet für Medien interessant wurde.
Wie vielen anderen schwarzen Aktivist*innen war auch mir bewusst, dass wir diesen Moment nutzen mussten. Also saß ich mit Sebastian im Schanigarten. Wir sprachen längst schon über Gott und die Welt, als er mich fragte, was ich eigentlich am liebsten machen würde. Fast kindlich fragte ich ihn, ob er die Serie › Charmed – Zauberhafte Hexen ‹ kennen würde. Er sah mich nur verständnislos an, also erzählte ich ihm von Phoebe Halliwell, einer der drei Protagonistinnen, die – sofern sie nicht gerade gegen Dämonen kämpft – in ihrem Schaukelstuhl sitzt, eine Ratgeberkolumne schreibt und dabei Tee trinkt.
Dieses Bild hatte ich mir stets als Traum für mein zukünftiges Ich ausgemalt – nicht die Welt vor Dämonen zu retten, sondern im Schaukelstuhl eine Kolumne zu schreiben, Ideen aus der Welt zu greifen, Gedanken zu vermitteln und insgesamt einen kleinen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten. Der sudanesische Schwarztee mit Milch durfte natürlich nicht fehlen.
Am Ende des Gesprächs bot Sebastian völlig unvermittelt an, mir seinen Kolumnenplatz zu überlassen. Er sei schon länger unzufrieden mit seiner eigenen Kolumne und fände meinen Blick auf die Welt spannender. Zuerst konnte ich das nicht glauben, dann versuchte ich cool zu bleiben. In einem Medium wie DATUM meine eigene Kolumne über Themen, die marginalisierte Menschen betreffen, zu schreiben – das nahm mich emotional ziemlich mit.
Kaum war Sebastian aufgestanden und außer Seh- und Hörweite, brach ich in Tränen aus. Sofort rief ich meine Eltern und Freunde an und erzählte ihnen etwas, das ich selbst noch nicht glauben konnte. Jetzt, ein Jahr später, nach zehn Kolumnen, beende ich diesen Traum. Zwar habe ich immer noch keinen Schaukelstuhl, aber in manchen Phasen fühlte ich mich wie Phoebe Halliwell – das Teetrinken half dabei.
Im Herbst fängt für mich also ein neues Kapitel an, und zwar in Berlin. In Wien kam ich dank Pandemie, Arbeit und Aktivismus nicht wirklich zum Studieren. Daher fange ich noch einmal von vorne an. Es ist so ein schönes Gefühl, diese Stadt im vergangenen Jahr ein wenig mitgeprägt zu haben, und ich bin überzeugt davon, dass Wien weiterhin feministischer, antirassistischer und inklusiver werden wird.
Zum Abschied bedanke ich mich bei Ihnen, liebe Leser*innen. Ich hoffe, sie haben dieses Kolumnenprojekt nur halb so sehr genossen wie ich und etwas Wissen und Einblick in die Leben von marginalisierten Menschen gewinnen können. Eine der Personen, die in meinen Texten vorkamen, werden Sie in Zukunft noch zu sehen bekommen : Munira Mohamud, Journalistin bei der › Chefredaktion ‹ von Melisa Erkurt, startet mit mir im Herbst ein neues Projekt, auf das Sie sich freuen dürfen.
Für eine Redaktion ist es sehr aufwändig, junge Menschen ins Boot zu holen und ihnen Raum und die notwendige Unterstützung zu geben, erst recht, wenn sie keine journalistische Erfahrung haben. Und abgesehen vom Schaukelstuhl hatte auch ich keine Ahnung, was einen guten Kolumnisten ausmacht. Ein bisschen stolz bin ich, dass die Texte mit der Zeit immer besser wurden. Umso mehr will ich mich an dieser Stelle beim ganzen DATUM-Team für die Geduld, Nachsicht und den schönsten zwischenmenschlichen Umgang bedanken. Und jetzt : Berlin, ich komme – mach’s gut, Wien ! •