›In Wien sterben die meisten einsam‹

Harald Willschke, 42, ist leitender Oberarzt an der MedUni Wien und Notarzt der Berufsrettung.

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Fotografie:
Florian Rainer
DATUM Ausgabe April 2017

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Ich habe während meines Medizinstudiums als Notfallsanitäter beim Roten Kreuz in Wiener Neustadt begonnen. Das war eine Möglichkeit, einen praktischen Zugang zur Medizin zu bekommen.

Was war Ihr erster schwerer Einsatz als junger Sanitäter?
Ein Bundesheer-Lkw ist von der Autobahn eine Böschung hinuntergestürzt. Zwanzig Soldaten sind verletzt auf der Straße oder im Graben gelegen, alle etwa in meinem Alter. Das hätte jeder meiner Freunde sein können. Mit der Zeit habe ich aber gelernt, auf Distanz zu bleiben.

Wie sieht Ihr Notarztalltag aus?
Um 7.30 Uhr treffe ich im Krankenhaus meinen begleitenden Notfallsanitäter und warte. Wir bekommen die Informationen zum Einsatz auf unseren Pager – und glauben zu wissen, was uns erwartet. So kann aber zum Beispiel ›Sprachschwierigkeiten zwischen den Atemzügen‹ bedeuten, dass der Patient entweder kerngesund oder tot ist.

Wie oft versterben Ihnen Patienten?
Ein bis zwei Tote sieht man im Durchschnitt pro Zwölfstundendienst. Als Notarzt fahren wir oft nur zum Einsatzort, um den Patiententod zu bestätigen.

Wie geht man mit den Angehörigen der Verstorbenen um?
Das ist für jeden eine Grenzsituation, in der man behutsam vorgehen muss. In Wien sterben die meisten aber einsam.

Gibt es Situationen, in denen Sie sich ekeln?
Ja, wenn die Patienten voll mit Stuhl oder Erbrochenem sind, auch bei Verwesungsgeruch. Gott sei Dank musste ich selbst noch nie erbrechen. Der einzige Geruch, den ich persönlich nie aushalten werde, ist vergorene Milch.

Warum gibt es kaum Notärzte in Wien?
Es gibt in ganz Österreich nicht genug Ärzte. Früher sind Jungmediziner als Notarzt gefahren, während sie nach dem Turnus auf die Facharztausbildung gewartet haben. Diese Wartezeit gibt es heute nicht mehr, auch die Zahl der Medizinstudenten ist niedriger. Viele haben Angst, aus der Komfortzone des Krankenhauses herauszutreten. Bei einem Einsatz hat man es mit Angehörigen und Schaulustigen zu tun, von denen man oft auch gefilmt wird. Als wir unlängst einen Mann im Freien reanimierten, haben uns drei Schulklassen dabei zugesehen. Für mich ist das das Spannendste an dem Beruf. Wenn wir es schaffen, die gute Medizin, die wir im AKH leisten, auf die Straße zu bringen, haben wir unsere Aufgabe erfüllt.

Wie sieht die Zukunft des Notarztes aus?
Ich glaube, die liegt in einer Mischung aus der Arbeit im Krankenhaus und bei der Rettung. Nach Engpassmeldungen im Februar wird so ein Modell ja jetzt umgesetzt: Alle Wiener Notärzte kommen an Spitäler des Krankenanstaltenverbundes. Für viele ist die reine Arbeit als Notarzt einfach zu anstrengend.

Wie viel verdienen Sie im Monat?
Ich darf mein Gehalt nicht öffentlich machen. Das Einstiegsgehalt für Notärzte ist seit April 5.300 Euro, ohne Zulagen. Es gilt jetzt das attraktivere Gehaltsschema des Krankenanstaltenverbundes.

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