„Wir sind kein Taxi“
Name: Christopher Hutter, 27
Beruf: Notfallsanitäter
Sie waren während des Zivildiensts bei der Rettung, sind dabeigeblieben und arbeiten mittlerweile als Notfallsanitäter. Warum?
Während meines Zivildienstes bekam mein Onkel einen Gehirntumor. Er hatte epileptische Episoden und verstarb. Ihn hätte ich nicht retten können, vielleicht aber mal jemanden anderen aus meiner Familie.
Welche Art Mensch sollte man als Notfallsanitäter sein?
Ich muss zuvorkommend, empathisch und flexibel sein. Und ich muss Dinge sehen können, die schwer zu verkraften sind.
Welche Dinge?
Weinende Familien, die gerade jemanden verloren haben. Manchmal haben wir alle Mittel, um jemanden zu retten, und schaffen es nicht.
Wer hilft Ihnen in solchen Fällen?
Meistens das Team selbst. Wenn das nicht ausreicht, gibt es psychologisch ausgebildete Mitarbeiter und ein arbeitspsychologisches Zentrum. Angewiesen war ich auf sowas zum Glück noch nicht.
Wie schaut Ihr normaler Alltag aus?
An manchen Tagen habe ich zwei Patienten, an anderen ein Dutzend. Von der leichten Verkühlung bis zum schweren Herzinfarkt habe ich schon alles gesehen. Wir gehen dabei immer ein Schema durch, messen Blutdruck, checken die Atmung und so weiter. Dann entscheiden wir, welche weiteren Schritte gesetzt werden müssen.
Wann sollten Menschen eigentlich die Rettung rufen und wann eher nicht?
Das hängt davon ab, was eine Person für sich als Notlage empfindet. Für manche ist es eine Verkühlung oder ein Schnitt in den Finger. Nervt das? Manchmal. Müssen wir trotzdem empathisch sein? Ja. Potentiell ist es für die Person das Schlimmste, was sie je erleben musste. Bevor man die Rettung ruft, sollte aber jeder überlegen, ob er nicht einfach selbst ins Krankenhaus gehen könnte. Wir sind kein Taxi.
Wie sollten Leute mit Ihnen umgehen?
Ein angenehmer Ton wäre nett, weil ich einfach nur helfen will. Wenn wir mit Betrunkenen arbeiten, werden wir manchmal angespuckt und bedroht. In solchen Situationen rufen wir die Polizei und lassen sie die Situation regeln, bevor wir wieder unsere Arbeit machen.
Wie oft lehnen Leute Ihre Hilfe ab?
Gerade wenn fremde Leute für jemanden Hilfe rufen, immer wieder. Ich sage den Patienten dann, warum Hilfe nicht anzunehmen eine unkluge Entscheidung ist. Wenn jemand zurechnungsfähig ist, kann ich ihn aber nicht zu einer Behandlung zwingen.
Haben alle Menschen in Österreich den gleichen Zugang zu medizinischer Notfallversorgung?
Im Grunde ja, aber nicht jeder kennt seine Möglichkeiten. Unter der Nummer 141 kann man den Ärztefunkdienst rufen. 1450 berät auch medizinisch. Die Leute müssten nicht immer 144 wählen.
Was haben Sie über die Wiener Wohnverhältnisse gelernt?
Ich habe gelernt, dass es alles gibt. Alle sozialen Schichten, Wohnungen jeder Art. Ich war auch schon in Räumen, in denen ich vor lauter Müll mit dem Kopf die Decke berührt habe.
Gibt es genug Nachwuchs in der Branche?
Ja, aber Freiwillige können wir immer brauchen. Im Rettungsdienst bekommen wir laufend mehr Kompetenzen. Vor 20 Jahren war man vor allem Fahrer. Mittlerweile geben wir zig Medikamente und legen Venenzugänge.
Wie viel verdienen Sie netto?
Wir haben einen Kollektivvertrag, demzufolge ich aktuell gute 2.400 Euro samt Zulagen bekomme.
Was sollte jeder zu Hause haben und selbst machen können, damit Ihre Arbeit leichter wird?
Ein Verbandskasten und das Wissen, wie man eine Herzdruckmassage durchführt, würden allen Beteiligten helfen. •
Zahlen und Daten
Es gibt keine genauen Daten zur Anzahl aller Rettungseinsätze in Österreich. Eine Annäherung: Pro 100.000 Einwohner werden in Österreich schätzungsweise 46.000 Einsätze gefahren, so der Durchschnitt der Zahlen von fünf Bundesländern.
Quelle: Bundesverband Rettungsdienst, 2024
Insgesamt hatten Ende 2022 rund 48.400 Sanitäter eine aufrechte Berufs‑ oder Tätigkeitsberechtigung. Knapp 34.000 davon waren Männer.
Das Rote Kreuz stellt 87 Prozent des Personals, der Samariter‑Bund 8,6 Prozent. Etwa 36.500 waren ehrenamtlich tätig, 6.800 hauptberuflich.
Bevölkerungswandel und Rückgang niedergelassener Ärzte werden vermutlich zu einem Anstieg von Krankentransporten und Notfalleinsätzen führen.
Quelle: Gesundheit Österreich GmbH, 2024