›Wir stehen vor einer historischen Chance‹

Die ehemaligen Gesundheitsminister Andrea Kdolsky und Rudolf Anschober über ausgebrannte Pflegekräfte, die Macht der Ärztekammer und die Verhandlungen zum Finanzausgleich.

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Fotografie:
Gianmaria Gava
DATUM Ausgabe Juni 2023

Es ist derzeit viel von einer Versorgungskrise in den Spitälern die Rede. Wann waren Sie beide das letzte Mal im Krankenhaus, und was haben Sie dort erlebt?

Rudolf Anschober: Ich war im Februar wegen eines Bandscheibenvorfalls in einem kleinen Wiener Spital und hatte grundsätzlich einen positiven Eindruck. In der Notaufnahme war die Situation schwierig, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren allesamt extrem engagiert.

Andrea Kdolsky: Bei mir war das anders. Mein Vater ist kürzlich verstorben und lag zuvor elf Wochen auf der Unfallchirurgie in einem großen Wiener Spital. Da war schon ein massiver Personalmangel, vor allem im Pflegebereich, zu erkennen. Dieser Personalmangel führt zu einer Überbelastung der verbleibenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, da war auch ein gewisses Aggressionspotenzial zu erkennen. Und dann passieren natürlich auch Flüchtigkeitsfehler. Daran ist dann aber nicht die einzelne Pflegekraft schuld, sie sind das Resultat des Systems. Die Atmosphäre war jedenfalls sehr angespannt, und das ist schlecht für das Arbeitsklima und genauso schlecht für den Heilungserfolg des Patienten.

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker meinte zuletzt in einem Interview mit dem Falter, das System würde kaputtgeredet. Hat er Recht?

Anschober: Nein. Mein Eindruck ist, dass zurzeit noch sehr vieles überdeckt wird, so dass es die Patientinnen und Patienten nicht oder sehr wenig mitbekommen. Aber das liegt nur an den engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Aus meiner Sicht ist das System in Teilbereichen an der Kippe. Dabei spielen die Folgen der Pandemie natürlich eine wichtige Rolle, aber wie in so vielen anderen Bereichen auch, hat die Pandemie Stärken und Schwächen sichtbarer gemacht. Das betrifft aber nicht nur Österreich: Ich war vergangene Woche bei einer Buchpräsentation in Südtirol, dort wurde mir eine ähnliche Situation geschildert. Die verbleibenden Arbeitskräfte in den Spitälern verhindern das Schlimmste, aber viele brennen dabei aus, und das Einzige, was sie nicht aufgeben lässt, ist die Verantwortung gegenüber den Patientinnen und Patienten. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Der aktuelle Gesundheitsminister Johannes Rauch hat das erkannt, wenn er sagt: ›Das System droht an die Wand zu fahren‹ – drastischer kann er es ja nicht ausdrücken. Aber die Botschaft ist trotzdem noch nicht überall angekommen. 

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