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Worüber wir jetzt reden müssen

Wir haben sieben Wissenschaftler gefragt, welche Aspekte ihrer Forschung zu wenig Öffentlichkeit bekommen – und warum sich das dringend ändern sollte.

DATUM Ausgabe März 2021

Alice Vadrot  : 

Der Schutz mariner Biodiversität bekommt zu wenig Aufmerksamkeit

Gebiete wie die Tiefsee, die in internationalen Gewässern liegt, bekommen oft wenig Aufmerksamkeit. Dabei vermutet man dort Spannendes : Laut einem UN-Bericht sind 95 Prozent der Arten im Meer noch unbekannt. Außerdem konnten erst fünf Prozent des Meeresbodens in hoher Auflösung ab­­­gebildet werden. Ich finde das spannend, auch wenn oft die Frage kommt  : Wenn wir so wenig kennen, woher wissen wir dann, dass es ein Problem gibt ? Vielleicht kennen wir nicht alle Arten, aber wir wissen sehr wohl über Veränder­ungen wie die Versauerung der Meere Bescheid. Gleichzeitig wissen wir, dass diese marinen Ressourcen großes Potential bergen : Im Umfeld sogenannter hydrothermaler Quellen am Grund der Tiefsee – die sich in dunklen und kalten Gebieten befinden, aus denen aber Was­­ser mit bis zu 300 Grad Celsius austritt – kann man zum Beispiel Proteine finden, die unter diesen extremen Umständen überleben. Das könnte für die Medizin, aber auch die Industrieforschung sehr interessant sein.

In meiner Arbeit betrachte ich, wie internationale Umweltabkommen und Konventionen rund um den Schutz mariner Biodiversität verhandelt werden. Ein Instrument ist hier etwa die UN-Konvention über die biologische Vielfalt. Das Mandat der Konvention, die von 196 Staaten ratifiziert wurde, geht nicht über nationalstaatliche Territorien hinaus – der Rest bleibt sozusagen unberührt. Anders ist das beim küstenfernen Tiefseeboden, dessen Ressourcen – zum Beispiel Manganknollen, die seltene Erden enthalten – von der Internationalen Meeresbodenbehörde verwaltet werden. Staaten können Abbau-Lizenzen erwerben und an Unternehmen erteilen. Bisher wurden nur Lizenzen vergeben, um die Gebiete zu be­­forschen und Ressourcen auszukundschaften. Aber in den nächsten zehn Jahren wird es dazu kommen, dass diese auch abgetragen werden. Das wird massive Auswirkungen auf marine Ökosysteme haben. Besonders schlimm sind hier neu entwickelte Technologien, um etwa Tiefseebergbau zu betreiben.

Wir können viele Umweltfragen nicht lösen, wenn wir nicht diskutieren, wie wir diese Gebiete vor Ausbeutung und Zerstörung schützen können. Welche Verantwortung hat die Wissenschaft, etwa wenn sie Gutachten ausstellt, um Gebiete zu klassifizieren ? In den Verhandlungen selbst habe ich den Eindruck, dass Wissenschafterinnen und Wissenschafter verschiedene Interessen verfolgen. Einerseits wollen sie dafür sorgen, dass solche Umweltverträglichkeitsprüfungen zur Normalität werden. Aber viele wollen auch eine Überbürokratisierung auf hoher See verhindern. Denn Instrumente, die den Zugang zu marinen genetischen Ressourcen regulieren, könnten auch die Beforschung mariner Biodiversität erschweren. Gerade weil wir derzeit einen starken Privatisierungsschub von Ressourcen im Meer erfahren, müssen wir uns daran erinnern, dass ein Großteil des Meeres uns allen gehört.

Alice Vadrot ist Assistenzprofessorin am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien. In ihrem Forschungsprojekt MARIPOLDATA beschäftigt sie sich mit politischen Prozessen, in denen marine Bio­diversität verhandelt wird. Sie ist Mitglied im österreichischen Bio­diversitätsrat.

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