Zum Schwerpunkt: Editorial von Kurator Ralf Beste
Staunen können
Kurz bevor ich als Botschafter nach Österreich wechselte, schickte mir ein Kollege den Link zu einem Interview des Deutschlandfunks. Der Interviewte war ein Landsmann namens Dirk Stermann, seit 30 Jahren wohnhaft in Österreich und als Fernsehunterhalter offenbar recht erfolgreich. Stermann erläuterte der Reporterin seine Verdienste ums deutsch-österreichische Verhältnis durchaus selbstbewusst : › Ich bin hier der Botschafter. ‹ Die lange Reihe der deutschen Berufsdiplomaten, die er während seiner Zeit in Wien erlebt habe, nehme er dagegen › überhaupt nicht ernst ‹.
Im ersten Moment hätte man denken können, Österreich sei zu klein für Stermann und mich. Mittlerweile glaube ich : Gerade in einem Land wie Österreich kann man eigentlich nicht zu viele Botschafter haben. Ein paar Freiwillige wie Dirk Stermann kommen da gerade recht. Warum ich das so sehe?
Dass größte Nähe nicht automatisch zu größter Freundschaft führt, ist eine historische Binsenweisheit, die auch durch das deutsch-österreichische Verhältnis nicht unbedingt widerlegt wird. Zwar haben sich, so ist mein Eindruck vor Ort, die Beziehungen über die Jahrzehnte stetig verbessert. Was aber auch nicht zu übersehen ist: Es gibt noch immer erstaunlich viel Raum für Missverständnisse.
Das liegt natürlich zuallererst an der gemeinsamen Sprache, die beide Seiten in der trügerischen Sicherheit wiegt, man verstünde die jeweils andere gut. Dabei wimmelt sie nicht zuletzt von ›falschen Freunden‹, also Begriffen, die im einen Land anderes bedeuten als im anderen, ohne dass man jeweils davon wüsste. Wie sich das im Fall des ›Deutschen Ecks‹ auswirkt, ist Gegenstand eines Textes in diesem Heft.
Aber nicht nur unsere Sprache nimmt gelegentlich unterschiedliche Richtungen, die Gedanken sind dabei oft noch schneller unterwegs. Das ist mir bei der ehrenvollen Aufgabe, dieser Ausgabe als externer ›Kurator‹ zur Verfügung zu stehen, selbst so ergangen: Viele der Thesen, Beobachtungen und Beschreibungen in den Texten waren so ganz anders, als ich mir das nach dem Treffen mit der Redaktion vorgestellt hätte.
Staunen zu können ist eine Fähigkeit, die womöglich unterschätzt wird. Ich wünschte mir, dass Deutsche und Österreicher sich gleichermaßen mehr Zeit nehmen würden, übereinander zu staunen. Dass erfordert zunächst einmal, genauer hinzuschauen und die – meist irrige – Vorstellung aufzugeben, die jeweils andere Seite schon gut genug zu kennen. Ich jedenfalls komme auch nach zwei Jahren in Österreich nicht aus dem Staunen heraus, und ich genieße das sehr.
Damit es auch für die österreichischen Leserinnen und Leser etwas zum Staunen gibt, habe ich für diese Ausgabe ein paar Reiseziele in Deutschland heraussuchen dürfen. Noch näherliegender als die nächste Urlaubsreise ist aber die Bundestagswahl im September. Sie ist so offen wie lange nicht, weil zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik der Amtsinhaber beziehungsweise Frau Merkel nicht wieder antritt. Das internationale Interesse an der Bundestagswahl ist daher ebenfalls so groß wie lange nicht. Das gilt auch für Österreich – was ausnahmsweise wenig erstaunt. •
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre !
Ihr Ralf Beste
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