Sylt und Silone

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Juni 2024

‹Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Nein, er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.‹ Dieser Spruch wird dem linken italienischen Schriftsteller und Intellektuellen Ignazio Silone zugeschrieben. Sowohl Urheberschaft als auch Kontext sind umstritten, es gibt auch keine Primärquellen dazu. Silone kämpfte vor genau hundert Jahren gegen den italienischen Faschismus, ging dann ins Exil in die Schweiz. Diesen Ausspruch soll er 1944 gegenüber seinem Freund, dem Schweizer Essayisten François Bondy, getätigt haben, er dürfte aber in der Erinnerung Bondys eine Eigendynamik entwickelt haben. Es gibt dazu eine spannende Diskussion unter Wikipedia-Autoren, falls Sie sich vertiefen möchten. 

Jedenfalls entdeckte die rechtsextreme Szene irgendwann um das Jahr 2009 diese Satzfolge und nutzt sie seither allzu gerne, um ihre Gegner zu delegitimieren. Auch der EU-Spitzenkandidat der FPÖ, Harald Vilimsky, spielt mit dem Satz. Vor einem Jahr kommentierte er ein Video von Lena Schilling – sie war damals noch Umweltaktivistin und noch nicht das schwarze Aufmerksamkeitsloch des politmedialen Komplexes – mit: ›Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: »Ich bin der Faschismus«. Nein, er wird sagen: »Ich bin der Antifaschismus und rette das Klima mit allen Mitteln.«‹ Egal, ob er es tatsächlich gesagt hat, und unabhängig davon, wie er es gemeint hat – es ist anzunehmen, dass Ignazio Silone im Grab in seinem Heimatdorf in den Abruzzen rotieren würde, wenn er mitbekäme, dass er für plattesten Rechtspopulismus als Pate herhalten muss.

Das Zitat ist inzwischen auch Bestandteil des rechtsextremen Merchandising-Angebots geworden. Man kann online T-Shirts mit dieser Aufschrift bestellen. Bei der Vermarktung und popkulturellen Verpackung ihrer Botschaften ist die extreme Rechte längst auf der Höhe der Zeit, sie sind Meister platter Memes, das sind vermeintlich oder tatsächlich humorvolle Bild-Text-Kombinationen, die sich mitunter rasend schnell im Internet verbreiten. Das perfide Augenzwinkern, der bewusste Tabubruch über einen Witz, das Verpacken des Unsagbaren in einen Schmäh, das alles hat Tradition. Ich erinnere mich an entsetzliche Holocaust-Witze, die in den 80er-Jahren am Schulhof geflüstert wurden. Doch dieser Schulhof ist heute das Internet – die ganze Welt lungert dort herum, jeder und jede sucht nach Anschluss, nach Identität, nach Bestätigung und auch nach Unterhaltung. 

Und das führt uns nach Sylt und zum Party­kracher ›L’Amour toujours‹. Schon wenige Tage nach den Schockwellen, die das Video von der Strandparty in der Nordsee ausgelöst hatte, wurde offenbar, dass dieses musikalische Meme, also Videoschnipsel des in lustvoll-rauschige Partylaune verpackten rassistischen Tabubruchs schon seit einigen Jahren in den Sozialen Netzwerken herumgeistern – mit Aufnahmen auch aus Wien, Kärnten und wahrscheinlich von überall, wo die Generation Tiktok abfeiert. Sind das alles Neonazis? Natürlich nicht. Ist es simple pubertäre Provokation gegenüber einem ›absoluten links-grünen Weltbild‹, wie es allen Ernstes die NZZ-Deutschland-Autorin Susanne Gaschke schrieb? Ganz bestimmt nicht. Das Phänomen oszilliert zwischen diesen beiden Polen. Für heute gilt jedenfalls: Wenn der Faschismus zurückkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Nein, er wird sagen: ›Ich mach’ doch nur Spaß!‹ Nur soll bitte niemand glauben, dass ihn das weniger zerstörerisch macht.•

Ich wünsche Ihnen viel Freude mit den Seiten der Zeit!

Ihr Sebastian Loudon

sebastian.loudon@datum.at

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