Blutarmut
Blutspender werden älter und weniger. Steuert Österreich auf einen Engpass zu?
Ein kleines Bier auf dem einen Tisch, Würstel am anderen und am nächsten die Mannerschnitten. Die österreichische Art, ›Danke für Ihre Blutspende‹ zu sagen. Zwar bringt der Zivildiener freundlich den Kaffee, die sterile Krankenhausatmosphäre in der kleinen Cafeteria in der Blutspendezentrale des Roten Kreuzes im vierten Wiener Gemeindebezirk bleibt aber. Heiter sitzt ein halbes Dutzend freiwilliger Spender über die blanken Tische verteilt, manche zu zweit, manche allein. Sie haben eines gemeinsam: Sie alle sind um circa 500 Milliliter Blut ärmer als vor einer halben Stunde. Hannes trinkt genüsslich sein Bier, seit fast 50 Jahren kommt er zum Blutspenden hierher. ›Damals war das ganz normal, dass man Blutspenden geht, sobald man 18 ist und es darf‹, erinnert er sich an seine ersten Male. Auch seine heutige Frau war damals in der Runde dabei, die regelmäßigen Nachmittage in der Spendezentrale waren für die beiden wie Rendezvous. Mittlerweile kommt sie seltener, der Arzt findet ihre Venen nicht mehr so leicht. Hannes setzt nur aus, wenn er muss. Zum Beispiel, wenn den leidenschaftlichen Gärtner eine Zecke gebissen hat. Dann lassen die Gesetzesvorlagen aus Sicherheitsgründen ein paar Wochen nicht zu, dass er Blut spendet. Hannes’ Backen sind ein wenig rot, gerade so viel, dass er gesund und munter aussieht. Der 65-Jährige kommt so regelmäßig wie möglich, also alle acht bis neun Wochen, aus Stockerau nach Wien. Warum? ›Weil es eine Möglichkeit ist, mit etwas anderem als Geld Gutes zu tun.‹
Eines Tages aber wird Hannes aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr spenden dürfen. Einen Tisch weiter sitzt Tamara, sie ist Erstspenderin, und in den Niederlanden wäre sie die durchschnittliche Spenderin: jung und weiblich. Hier in Österreich aber ist sie eine Rarität, und das ist ein Problem. Tamara hat lange nicht daran gedacht, ihr Blut zu spenden. Niemand in ihrem Freundeskreis tut es. Aber dann hat sie Benedikt, ihr heutiger Begleiter, darauf gebracht und mitgenommen. Auch in seinem Umfeld kennt er kaum jemanden, der Blut spendet. Hannes, Tamara und Benedikt gehören zu den dreieinhalb Prozent der österreichischen Bevölkerung, die Blut spenden. Hannes ist der typische österreichische Blutspender: männlich und über 44. In weniger als zehn Jahren fliegt er als Spender raus und kommt möglicherweise als Patient wieder zurück. Ein Blick auf die demografische Entwicklung Österreichs zeigt, dass die Anzahl der spendenfähigen Menschen zurückgeht, während die Gruppe der 60- bis 80-Jährigen, die die meisten Konserven braucht, weiter wächst. Bis dato kann man Blut aber weder durch eine andere Flüssigkeit ersetzen noch künstlich herstellen. Das heißt, wenn unser eigenes Blut nicht reicht, sind wir einzig auf das unserer Mitmenschen angewiesen. Und wenn Österreich nicht die richtigen Maßnahmen setzt, dann könnte es damit schon bald knapp werden.
Fünf bis sieben Liter der roten Flüssigkeit fließen durch unseren Körper, versorgen unsere Organe, unser Hirn, transportieren Sauerstoff, wärmen uns, wehren Krankheitserreger ab. Blut setzt sich aus zwei Hauptbestandteilen zusammen. Zu 55 Prozent besteht es aus flüssigen Blutkörperchen wie dem Blutplasma. Den Rest machen die festen aus, deren größten Anteil die roten Blutkörperchen, die Erythrozyten, stellen. Sie sind landläufig unter dem Begriff Blutkonserve bekannt und der Grund, warum Hannes spendet. Nach der kurzen ärztlichen Untersuchung legt er sich auf das Spenderbett. Die Nadel dringt durch die Haut in seine Venen ein, er kennt es bereits, wartet geduldig die paar Minuten auf dem Krankenbett. Tamara hingegen ist blass, kurz bevor die Nadel das erste Mal sticht, Benedikt steht neben ihr. Reden will sie jetzt nicht, erst danach. Tamaras und Hannes’ Erythrozyten werden etwa bei Notfalloperationen mit starkem Blutverlust gebraucht oder bei Sauerstoffarmut im Blut. Ihre weißen Blutplättchen oder Thrombozyten helfen dabei, dass Blut gerinnt und Wunden sich schließen. Nachdem die Blutspende in Beutel geflossen ist, wird der weitere Bestandteil, das Plasma, von den roten und weißen Blutkörperchen getrennt. Alle Bestandteile werden noch auf Krankheiten, darunter Hepatitis B und C, HIV und Syphilis getestet, dann trennen sich die Wege. Das Plasma wird schockgefroren und ist damit bis zu zwei Jahre haltbar. Die roten Blutkörperchen gehen hingegen in die komplizierte Weiterverarbeitung. Neben den mobilen Blutspendeaktionen und den Zentren des Roten Kreuzes kann man auch in Blutbanken, wie zum Beispiel in der der St. Pöltner Universitätsklinik, spenden. Insgesamt lagern stets rund hundert Liter Blut in St. Pölten bei vier Grad Celsius. Ab hier überleben die Blutkonserven nur noch maximal 42 Tage. Mit Ausnahme von Konserven mit seltenen Blutgruppen muss sich Österreich selbst versorgen können. Im Schnitt rund alle 90 Sekunden wird eine Blutkonserve benötigt.
Gerry Foitik ist Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes, Mitglied der Geschäftsleitung und zuständig für den Blutspendedienst in Wien, Niederösterreich und Burgenland. Er rechnet wegen der demografischen Entwicklung damit, dass das Rote Kreuz künftig mehr Blutspender braucht, um weiterhin genügend Blut bereitzustellen. Laut Statistik Austria beträgt der Anteil der über 65-Jährigen im Jahr 2030 bereits 23 Prozent, insgesamt wird er in den nächsten 20 Jahren um die Hälfte zunehmen. Parallel dazu steigt die Lebenserwartung im Durchschnitt um 2,5 Jahre im kommenden Jahrzehnt. Das bedeutet für das Rote Kreuz, dass es mit weniger potenziellen Spendern einen größeren Bedarf abdecken muss. Denn eine alternde Gesellschaft bedeutet mehr Krankheiten, die wiederum mehr Operationen und höheren Blutbedarf nach sich ziehen. In Österreich ist man als Erstspender im Alter von 18 bis 60 Jahren zugelassen. Solange man dann gesund genug ist, kann man spenden. Meistens ist mit 70 Jahren Schluss. Eine der Einschränkungen, die die aktuelle Quote von 3,5 Prozent an Spendern in Österreich zukünftig unter Druck bringen werden. In den vergangenen Jahren blieb die Spenderanzahl zwar konstant, die Anstrengungen, die Zahl aufrecht zu erhalten, seien jedoch wesentlich größer geworden, meint Gerry Foitik. ›Es reicht nicht mehr, dass man ein Plakat aufhängt und sagt, an Tag X findet eine Blutspendenaktion statt. Wir müssen die Leute aktiv anschreiben.‹ Und so bekommt Hannes seit einigen Jahren auch eine SMS, wenn seine Blutgruppe akut gebraucht wird. 90 Prozent der Vollblutspenden kommen aus mobilen Blutspendenaktionen. Die Einrichtungen fahren in Betriebe, zu Dorffesten und Hochschulen. In ländlichen Gebieten ist die Identifikation mit dem Prozess des Blutspendens als Dienst an der Gesellschaft meist höher. Im urbanen Raum, vor allem in Wien, leben aber die wertvollsten Spender: junge Menschen wie Tamara, die noch jahrelang regelmäßig weiter spenden und so die Blutbanken versorgen können. Doch auch hier sind es hauptsächlich die älteren, die kommen. Ab Juni will das Rote Kreuz mit einer Online-Plattform namens ›Gib dein Bestes‹ mehr Junge ansprechen. Was aber, wenn all diese Maßnahmen zukünftig nicht reichen?
Ein Hindernis für die junge, offenere Generation ist eine Spenderbestimmung, die wegen ihres diskriminierenden Charakters in Deutschland seit Jahren diskutiert wird. Dort, in der Schweiz und anderen EU-Staaten bereits zum Teil gefallen, ist sie in Österreich noch immer aufrecht: Männer, die mit anderen Männern Sex haben, dürfen in Österreich ihr Leben lang nicht Blut spenden. Grund für die generalisierende Einschränkung für homosexuelle Männer, aber auch Prostituierte, war bisher vor allem das Zeitfenster von etwa sechs Wochen, in dem HIV im Blut zwar noch nicht nachgewiesen werden kann, aber eine Übertragung bereits möglich ist: das diagnostische Fenster. Auch der Europäische Gerichtshof hat diese Bestimmung 2015 in einem Urteil als rechtens angesehen, aber eingeschränkt. Nur unter besonderen Umständen dürfen homosexuelle Männer pauschal ausgeschlossen werden. Und zwar nur dann, wenn ihr Sexualverhalten tatsächlich ein hohes Übertragungsrisiko für Krankheiten darstellt, und nur falls es keine wirksamen Techniken zum Nachweis von zum Beispiel HI-Viren in Blutkonserven gibt. In Deutschland kam man, da die Technik für Diagnosen mittlerweile fortgeschritten ist, zum Kompromiss, der besagt, dass Homosexuelle nun spenden dürfen, sofern sie angeben, ein Jahr lang keinen gleichgeschlechtlichen Sex gehabt zu haben. Also quasi kein Sex, aber dafür Blutspenden. ›Der Einschnitt in das Leben eines solchen Mannes, nicht Blut spenden zu dürfen, ist relativ gering, der in das des Patienten, der eine nicht sichere Konserve bekommt, dramatisch‹, hält Foitik den pauschalen Ausschluss nach wie vor für angebracht.
Männer, die mit anderen Männern Sex haben, dürfen in Österreich ihr Leben lang nicht Blut spenden.
Ebenso gesetzlich bestimmt ist in Österreich die Freiwilligkeit der Blutspende: Das Arzneiwareneinfuhrgesetz erlaubt für die Transfusion nur die Einfuhr von freiwilligen und unentgeltlichen Blutspenden. Folglich ist das Rote Kreuz hauptverantwortlich für die Bereitstellung von Blutprodukten. Zusammen mit den hohen nationalen Gesundheitsstandards macht es diese Regelung für ausländische Anbieter nahezu aussichtslos, am Markt teilzunehmen. Wegen der hohen Verarbeitungskosten hat auch kein heimischer Anbieter Interesse, das politisch gewollte Monopol des Roten Kreuzes zu durchbrechen. Für Michael Fischer, Transfusionsmediziner und Leiter des Zentrums für Experimentelle Medizin an der Donauuniversität Krems, ist das Monopol auch auf die gute Arbeit der größten Hilfsorganisation des Landes zurückzuführen. ›Medizinisch und ethisch gesehen, kann man es nicht viel besser machen‹, ist Fischer überzeugt. Wo in Deutschland schon private Blutspendeunternehmen am Markt agieren und Spender Aufwandsentschädigung für ihr Blut bekommen, erreicht den österreichischen Spender Hannes kein Geld. Aus seiner Sicht ist das auch gut so, schließlich misstraut auch er der monetären Aufwandsentschädigung: ›Geld kann Menschen dazu anspornen, am Gesundheitszettel falsche Kreuze zu setzen‹, meint Hannes. Seit der Gründung 1880 hat die gemeinnützige Organisation Rotes Kreuz einen guten Ruf. Laut dem Brand Asset Valuator, einer Markenstudie der Werbeagentur Young & Rubicam, war es im vergangenen Jahr in Österreich die stärkste Marke, gemessen an Image-, Bekanntheits- und Gebrauchsdaten. Auch Verbindungen zur Politik helfen: Der aktuelle Präsident Gerald Schöpfer war für die ÖVP steirischer Landesrat, Präsidiumsmitglied Peter Ambrozy für die SPÖ Kärntner Kurzzeit-Landeshauptmann.
Der niederösterreichische Landesrechnungshof stellt in seinem Prüfbericht zum Blutmanagement in den Landes- und Universitätskliniken im April 2018 allerdings fest, dass die Spitäler die Blutprodukte beim Roten Kreuz ohne Ausschreibung kauften, trotz anderslautender Pflicht im Bundesvergabegesetz. Das Rote Kreuz kam also zu dem Auftrag, ohne dass andere Angebote eingebracht wurden. Der Rechnungshof kritisierte, dass das weder versorgungstechnisch noch ökonomisch sinnvoll ist: ›Eine starke Abhängigkeit von einem Anbieter war an sich weder wirtschaftlich noch zweckmäßig.‹ Prüfer kamen aber schlussendlich zur Erkenntnis, dass wegen der Gesetzeslage den Akteuren der Krankenhäuser praktisch keine andere Wahl blieb.
In den Jahren 2005 und 2006 dagegen hatte der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) die Belieferung der Spitäler mit Blutprodukten noch öffentlich ausgeschrieben. Und siehe da: Es fand sich ein zweiter Bewerber, dessen Preise deutlich unter jenen der gemeinnützigen Organisationen lagen. Jedoch fiel der Konkurrent aufgrund einer Änderung des Arzneiwareneinfuhrgesetzes noch während der Ausschreibung weg. Für den KAV brachte dies laut Rechnungshof Mehrkosten von 2,1 Millionen Euro. Die Preise für die Konserven gibt das Rote Kreuz jährlich in einer aktuellen Preisliste vor. Doch selbst wenn sie im selben Land, von derselben Organisation abgenommen und produziert wurden, variieren sie. Während man in Linz für ein Erythrozytenkonzentrat mit circa 300 Millilitern etwa 160 Euro bezahlt, kostet es in Wien fünf Euro weniger. Vor zehn Jahren bezahlte man in Wien für eine Konserve noch 127,60 Euro. Unterschiedliche technische Geräte oder andere Personalstrukturen verursachen die ungleichen Preise.
Könnte zur Abwendung einer künftigen Blutkonservenknappheit nicht auch das Rote Kreuz seine Spender bezahlen, um mehr und vor allem jüngere Spender zu akquirieren? Es steht derzeit nicht zur Debatte. Weder für das Rote Kreuz selbst noch für die politischen Entscheidungsträger. Und das, obwohl Österreich in einem eng verwandten Bereich sogar europäischer Pionier ist.
Wo Tamara in der Blutspendezentrale des Roten Kreuzes als junge Spenderin eine Seltenheit ist, wäre sie im Plasmazentrum BioLife in der Kirchengasse nur eine von vielen. Die Rechnung ist hier einfach: Für das, was man von sich hergibt, bekommt man Geld. Der sterile Warteraum ist voll mit Menschen. Laut BioLife sind die meisten Angestellte und Studenten, durchschnittlich unter 29 Jahre alt. Bis zu dreimal innerhalb von zwei Wochen darf man spenden, denn nachdem das Plasma aus der Spende gelöst wurde, fließt der Rest des Blutes mit einer Kochsalzlösung, die alle Blutreste aus den Schläuchen spült, wieder zurück in den Körper. Mit ein bisschen weniger Plasma, das ihr Körper wieder nachproduziert, aber 25 Euro mehr in der Tasche, verlassen die Spender BioLife nach rund einer Stunde. Im Jahr kann man sich so 1.400 Euro dazuverdienen, werben die Plasmazentren.
Nach den US-Amerikanern, die jährlich 107 Liter Plasma pro 1.000 Einwohner spenden, sind die Österreicher in dieser Sparte mit rund 60 Litern weltweit am zweiten Rang. ›Die USA sind das Plasmapowerhouse für die restliche Welt‹, beschreibt der Vorsitzende der IG Plasma, Matthias Gessner, das Versorgungsmonopol der USA – und der weltweite Bedarf steigt weiter. Gessner ist Geschäftsführer von BioLife, Molekularbiologe und neben den 17 Zentren in Österreich auch für jene in Tschechien und Ungarn verantwortlich. Neben diesen zwei Ländern sind noch in Österreich und in Deutschland private Plasmazentren erlaubt. Sie versorgen mit den USA das restliche Europa mit dem sogenannten ›gelben Gold‹, das etwa für Medikamentenherstellung, Hautverjüngung und vor allem für die Gewinnung von Immunglobulin verwendet wird. Es hilft Menschen, deren Körper keine Antikörper herstellen können, und ist Teil von oft lebenslangen Therapien. Seit es für private Unternehmen in Tschechien erlaubt ist, haben dort innerhalb von zehn Jahren zwanzig Zentren eröffnet, in Ungarn seit 2016 sogar fast dreißig. In Österreich wurde schon um 1963 das erste Plasmazentrum Europas gegründet. Seitdem hat sich rund um das Blutplasma ein Markt gebildet, der stetig wächst.
Während in Deutschland schon private Blutspendeunternehmen am Markt agieren und Spender Aufwandsentschädigungen für ihr Blut bekommen, erreicht den Spender Hannes kein Geld.
Für Blutkonserven gilt das Wachstum dagegen nicht. Wenn das gespendete Blut nicht mehr wird, muss der Verbrauch eben geringer werden, dachten sich schon 1999 Verantwortliche aus Politik und Medizin und setzten sich zusammen, um herauszufinden, wie man so viel Blut wie möglich sparen kann. Das Sparen ist eine wesentliche Maßnahme, um die österreichische Bevölkerung in ein paar Jahren keiner Blutknappheit auszusetzen. Damals unter dem Namen ›blutsparende Medizin‹ bekannt, tagten im Jugendstiltheater im Otto-Wagner-Haus die ersten Kongresse dazu, ab 2010 wurden die Bestrebungen durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter dem Namen Patient Blood Management (PBM) international angewandt. Damals wie heute heißt es: ›Es wird viel zu viel transfundiert‹.
Das PBM besteht aus drei Säulen. Die erste umfasst die Gerinnungsoptimierung und die Bekämpfung der Blutarmut und stellt sicher, dass Patienten vor der Operation die richtigen Gerinnungswerte aufweisen. Die zwei weiteren Säulen beinhalten Tätigkeitsbereiche im Spital, wie zum Beispiel, weniger Blut abzunehmen und die geeignete Menge der Abnahme bei unterschiedlich alten Patienten zu erkennen. Die erste Säule sei noch am wenigsten umgesetzt, so Oberarzt Peter Perger, Mitglied des Wiener Krankenanstaltenverbundes und Mitgründer der Plattform Blut, die jährlich die Wiener Bluttage organisiert, um Experten zum Thema zu laden. Laut ihm fehle eindeutig der politische Auftrag und die konkrete personelle Zuständigkeit für die Problematik. Das PBM ist bis jetzt nur als Empfehlung an die Krankenhäuser gelangt, nicht als Verpflichtung, wie er es für nötig hält. Ein wesentlicher Grund, weshalb die Politik nicht tätig wird, ist, dass zu wenig passiert, meint Perger: Bis jetzt sind Blutkonserven nämlich noch nie ausgegangen. In besonders heißen Sommern oder in der Grippe-Saison wird es manchmal knapp, aber dann helfen im Notfall andere Bundesländer mit ihrem Bestand an Blutprodukten aus.
Politische Akteure wie das Gesundheitsministerium oder die Gesundheitssprecher der österreichischen Parteien gaben auf DATUM-Nachfrage bezüglich Relevanz von und Maßnahmen gegen Blutknappheit nur unkonkrete Antworten, die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ antworteten bis Redaktionsschluss gar nicht. Ein persönliches Gespräch mit dem Vorsitzenden der Blutkommission, Martin Renhardt, wurde DATUM nicht gewährt. Auf die Frage nach dem Grund für die Einrichtung der Blutkommission wurde die schriftliche Antwort erteilt, dass es keinen speziellen Grund gab. Also alles gar kein Problem? Grundsätzlich meint die Blutkommission in Beantwortung einer schriftlichen Anfrage, ob bereits Blutknappheit bestehe, alle Maßnahmen zur Sicherung der Blutversorgung seien ›dringend‹.
Fakt ist: In Österreich können derzeit noch alle Patienten versorgt werden. Von Szenarien wie jenen in Norddeutschland, wo letzten Sommer die ersten Bundesländer Knappheit ausgerufen haben, ist Österreich noch weit entfernt. Aber das muss nicht so bleiben. ›Wir wissen ungefähr, was der Tages- oder Wochenverbrauch ist. Unangenehm wird es bei Spezialkonserven. Da wird die Operation je nach Verfügbarkeit der Konserven durchgeführt‹, sagt Perger. Zu OP-Verschiebungen kam es deshalb bereits. Die Zeugen Jehovas etwa optimieren im Vorfeld ihr Blutbild, vergrößern ihre Reserven, damit sie zum bestmöglichen Zeitpunkt operiert werden, ohne überhaupt Konserven zu brauchen. Vorbehandlungen solcher Art sollten bei allen Patienten gemacht werden, meint Perger, was zum Arbeitsbereich der Ärzte im Vorfeld gehört – ein Vorgang, den wiederum die Krankenkassen, also die öffentliche Hand bezahlen müsste. Derzeit aber stützt sich das System noch allein auf den guten Willen von Spendern wie Hannes, dem ein Danke dafür reicht. Und es hofft auf Tamara und dass sie immer wiederkommt. Auch wenn sie nur Mannerschnitten oder ein Paar Würstel dafür bekommt. •
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