›Dann mach’ i mir halt die Finger schmutzig‹
Maria Stern, die neue Parteichefin der Liste Pilz, über das Dreckige an der Politik, das Fürsorgliche an Peter Pilz – und ihr großes Ziel.
Frau Stern, meine Erfahrung mit Wählerinnen und Wählern der Liste Pilz seit der Wahl: Sie empfinden Reue und Scham. Wie begegnen Sie diesen Menschen?
Mit größtem Verständnis. Mich interessiert aber auch der Kontext. Ich habe heute früh auf Ö24 meinen Krimi vorgestellt. Wenn ich als Krimiautorin einen Politiker, der sich in einem kleinen Land erfolgreich mit der Waffenlobby anlegt, zur Strecke bringen will, würde ich den Plot genauso schreiben, wie es passiert ist. Ich will keine Verschwörungstheorien bedienen und sage dies ausdrücklich als Krimiautorin, nicht als Politikerin.
Was sagen Sie als Politikerin zur Darbietung der Liste Pilz?
Das einzige, was halbwegs funktioniert hat, und das muss man schon auch zur Kenntnis nehmen, ist der Aufbau des Parlamentsklubs gewesen im letzten Jahr. Die Parteiarbeit aber war vollkommen gelähmt. Erst dadurch, dass wir ursprünglich keine klassische Partei wollten, dann durch die Ereignisse. Als dann klar war, dass Peter Pilz ins Parlament zurückkehren wird und ich als Obfrau die Partei übernehmen werde, bekam ich das Gefühl, okay jetzt können wir beginnen. Mit dem Aufbau der Partei, der Akademie, unserer Online-Plattform, unserer investigativen Arbeit. Wir sind erst jetzt, ein Jahr nach der Wahl, fähig, uns auch als Partei um die Umsetzung unserer Wahlversprechen zu kümmern.
Hatten sie mitunter das Gefühl, es wäre aus demokratiepolitischer Sicht besser gewesen, die Grünen wären drinnen geblieben und die Liste Pilz nicht reingekommen?
Wir haben überhaupt nicht damit gerechnet, dass es die Grünen nicht schaffen. In der Wahlnacht gab es deshalb auch keinen Grund für mich, groß zu feiern. Ich kenne viele Menschen bei den Grünen, ich bedauere nach wie vor, dass sie nicht im Nationalrat sind, um unsere Arbeit zu ergänzen. Sie hatten durch ihre kontinuierliche Arbeit eine gebündelte Expertise. Diese Strukturen müssen wir jetzt mühsam aufbauen.
Wenn sich stark ausgeprägte Individuen zusammentun, gemeinsam was machen wollen, dann kracht’s offensichtlich.
Sie haben unter anderem als Lehrerin gearbeitet. Wenn Sie sich die handelnden Personen der Liste Pilz als Klassenverband vorstellen. Was ist da in den vergangenen elf Monaten geschehen?
Ich sehe lauter frisch gefangene 15-jährige in einen Klassenraum gesperrt. Ohne Aufsicht. Ich glaube, da würde ungefähr sowas rauskommen. Was es da jetzt braucht, ist guter Wille, Geduld und rasche Struktur.
Jetzt waren diese 15-Jährigen elf Monate lang in einer Klasse eingesperrt. Dann geht die Tür auf und Sie kommen als Parteiobfrau heraus. Was sagt das über Sie?
Dass ich mir treu geblieben bin. In meiner Schulzeit war ich diejenige, die auf den Tisch gehauen, Schwache verteidigt und sich mit unguten Lehrern angelegt hat. Einer hat nach einer Auseinandersetzung mit mir das Klassenzimmer nicht mehr betreten. Das war wohl Teil meiner politischen Bildung. Und sonst: Puh, ich sag: Gut, dass Sommerferien waren, da haben wir uns, glaub ich, alle zumindest ein bisschen regenerieren können. Und wir stehen jetzt im Gang und sehen in andere Klassenzimmer. Ich glaube, dass die schlimmste Phase wirklich vorbei ist. Ich hab den Peter Pilz oft gefragt, wie war das damals bei den Grünen? Er hat gemeint, die ersten paar Jahre bei den Grünen, da waren wir nichts dagegen. Dann kam die nächste Katastrophe, und der Peter sagte immer noch: ›Vergiss es, Maria. Bei den Grünen war es viel schlimmer.‹ Das sagt er noch heute. Wenn sich stark ausgeprägte Individuen zusammentun, gemeinsam was machen wollen, dann kracht’s offensichtlich. Da haben uns die Rechten einiges voraus. Die Linken neigen dazu, sich zu streiten. Und die Rechten, die formieren sich und marschieren. Wir erleben derzeit auch deshalb einen so massiven Rechtsruck, weil die Linken so sehr untereinander zu tun haben.
Würde mich jemand fragen, wofür steht die Liste Pilz? Ich könnte nur antworten: Ich weiß es nicht. Was würden Sie antworten?
Wir sind in den Wahlkampf gezogen mit Kontrolle und Gerechtigkeit. Ich weiß, wie viele Presseaussendungen wir zu diesen beiden Themen seither ausschickten. Und ich weiß, was davon im medialen Diskurs landet, nämlich herzlich wenig. Im Wahlkampf war unser Erfolgserlebnis das Thema Unterhaltssicherung. Da haben wir ein Branding. Wenn all das nicht nach außen dringt, dann liegt das auch an den Journalistinnen und Journalisten. Also an alle hier Anwesenden: Bringen Sie es nach außen! Wobei ich schon sagen muss, dass wir uns angesichts der Speed-kills-Taktik der Regierung schwertun. Die bringen jeden dritten Tag einen anderen Hammer, wo man sich denkt, das kann ja jetzt nicht wahr sein. Da tut man sich wirklich schwer, nicht nur hinterher zu agieren, sondern auch eigene Akzente zu setzen.
Also Kontrolle und Gerechtigkeit. Meine Wahrnehmung: Chaos, Selbstbeschädigung, Chauvinismus. Wie planen Sie dieses Bild als Parteiobfrau zu drehen?
Diese Frage stelle ich mir selber: Welche Art von Partei will ich kreieren, um unter anderem auch jemals wieder eine Chance zu haben, bei einer Wahl anzutreten. Ich komme ja aus dem politischen Aktivismus und habe lange Zeit trotz vieler Möglichkeiten ganz bewusst bei keiner Partei angedockt. Was ich als Aktivistin gebraucht hätte, sind Tools, mit denen ich mit meinen spezifischen Anliegen rascher im Parlament landen kann. Wir erleben derzeit einen unglaublich rasanten Demokratieverlust, eine Aushöhlung des Sozialstaates. Und langsam erwachen wir aus unserer Schockstarre. Spätestens bei der großen Demo gegen den 12-Stunden-Tag war sowas wie ein Aufflackern der Zivilgesellschaft spürbar. Mir geht es als Parteichefin darum, im Aufbau dieser Bewegung nicht den Bürgerinnen und Bürgern zuzuhören, wie man das als Politiker immer so sagt. Nein! Ich möchte Strukturen schaffen, in denen Menschen sich selbst Gehör verschaffen können. Und ich vertraue darauf, dass viele Menschen erkennen, in welcher Situation Österreich mittlerweile ist und dass sie dem nicht tatenlos zusehen wollen und die Chance ergreifen, für sich selbst aktiv zu werden.
Wollen jetzt also auch Sie eine Bewegung gründen?
Nein, nein, ich will keine Bewegung gründen. Wir sind angetreten als Bewegung, diese Bewegung ist beinahe gekappt worden und jetzt liegen wir am Boden. Ich will nichts beschönigen, schlimmer kann es nicht werden. Aber ich denke mir, mit dieser Ausrichtung, nämlich Strukturen für die Aktiven zu schaffen, damit haben wir als Partei eine Chance wieder aufzustehen.
Das öffentliche Bild von Peter Pilz ist polarisiert. Welches Bild haben Sie von ihm?
Der Peter Pilz ist ein sehr politischer Mensch. Er ist ein Mensch, der sich große Sorgen macht um unser Land. Er ist taktisch sehr versiert. Und wenn ihm nachgesagt wird, sozial geht es mit ihm gar nicht, muss ich sagen: Diese Erfahrung hab ich nicht mit ihm gemacht. Er weiß genau, was er tut. Er weiß auch genau, wie Politik funktionieren kann und dem ordnet er viel unter, das ja. Aber ihn jetzt als völligen Egomanen darzustellen, wie es einige getan haben, das kann ich nicht bestätigen, ganz im Gegenteil. Da ist auch sehr viel Fürsorge neben der Sorge. Und, ja, er is a Arbeitsviech.
Über Parteiförderung und Akademieförderung erhält die Liste Pilz jährlich rund 2,7 Millionen Euro an Steuergeld. Das ist viel Geld.
Ja.
Was haben Sie damit vor?
Das meiste sind Personalkosten, wie in jedem Betrieb. Den Rest werde ich hauptsächlich dafür nutzen, Bürgerbeteiligungsplattformen zu ermöglichen, die Organisation von Initiativen zu ermöglichen und Wahlen zu schlagen. Die Akademie wird das Geld nutzen …
… rund 1,2 Millionen Euro jährlich …
… um das Online-Medium möglichst rasch online zu stellen, den Thinktank aufzustellen und die Investigativplattform. Das kostet natürlich alles Geld in der Entwicklung und der Betreuung. Und man glaubt gar nicht, wie schnell das Geld dann auch wieder weg ist.
Ich finde es schön, dass ich jetzt Parteichefin bin, aber ich habe das nicht angestrebt.
Was ist von dem Online-Medium, von der Investigativplattform erwarten?
Das müssen Sie den Peter Pilz selber fragen. Er wird irgendwann in Pension gehen und hat ein sehr starkes Interesse daran, sein Know-How der nächsten Generation weiterzugeben. Allein was er für Tipps für investigatives Arbeiten so nebenher aus dem Ärmel schüttelt, das müsste man im Grunde alles aufschreiben.
Es ist einerseits öd, andererseits kommt man nicht drum hin, Ihnen als Parteiobfrau der Liste Peter Pilz Fragen über Peter Pilz zu stellen, ehe man dann zu Ihnen kommt. Verzeihung dafür.
Nicht mehr lange.
Sie meinen, weil er bald in Pension gehen wird?
Na, weil sich auch die Medien irgendwann daran gewöhnen werden, mich nicht mehr im Kontext mit Peter Pilz zu sehen.
Wenn die Liste Peter Pilz nicht mehr Liste Peter Pilz heißt. Aber der neue Name wäre meine Schlussfrage.
Da kann ich Sie leider nicht überraschen.
Frau Stern, Sie sind in der DDR geboren. Sie haben Ausbildungen beziehungsweise waren tätig als Schauspielerin, als Sängerin, als Kriminalbuch-Autorin, als Lehrerin. Sie waren mit politischen Initiativen aktiv zum Kinderunterhalt und zum Frauenvolksbegehren. Sie sind das Gegenmodell für die Ochsentour durch die Parteiapparate. Welche Vorteile, welche Nachteile bringt das mit sich?
Wie Menschen sich wandeln, wenn es um Macht und Geld geht, diese Mechanismen, diese Intrigenspiele, das kenne ich so nicht. Das ist grauslich, das ist unnötig, aber es existiert. Da bin ich froh, dass ich von Menschen auch beschützt werde, die sagen: ›Maria, pass auf!‹ Und ich lerne schnell. Es hilft mir auch sehr, dass ich viele Jahre mit Kindern gearbeitet habe. Da habe ich mir eine gewisse Frische erarbeitet und eine bestimmte Stringenz und vor allen Dingen das Bewusstsein darüber, dass Menschen Menschen sind und dass das mit der Karriere natürlich wunderbar ist, aber nicht das, worum es tatsächlich geht im Leben. In der Politik, da werden Gesetze gemacht, da tauschen wir uns darüber aus, wie wir miteinander leben und umgehen wollen. Das ist wichtig. Aber diese Karrieregeschichten, die damit einher gehen, die verachte ich zutiefst. Ich nehme sie als Gegebenheit hin, aber ich verachte sie. Ich finde es schön, dass ich jetzt Parteichefin bin, aber ich habe das nicht angestrebt. Was ich wirklich will, ist die Unterhaltssicherung und alles, was auf dem Weg dorthin kommt, nehme ich mit. Jetzt bin ich halt Parteichefin. Und das mach ich jetzt.
In unserer aktuellen Ausgabe widmen wir uns dem Thema Moral. Gestehen Sie Ihren politischen Gegnern Moral zu?
Ich hab an dem Tag, an dem im Plenum darüber abgestimmt wurde, ob die Unterhaltssicherung noch vor der Wahl umgesetzt wird oder nicht, mit dem Strache eine Zigarette geraucht. Da habe ich ihm erklärt, was das überhaupt ist, denn das Papier, das die FPÖ aufbereitet hat, das war a Schas. Auch das der ÖVP war einfach nur rassistisch. Ich sagte Strache, ihr brecht alles auf den Rassismus runter, auch die Kinderarmut. Das ist ein völliger Schwachsinn, es geht ausnahmsweise mal nicht um Rassismus, sondern um Kinder von Alleinerziehenden. Da ist er hellhörig geworden. Und als es hart auf hart gekommen ist, war er nicht mehr hellhörig. Es hat mehrere Telefonate und Gespräche gegeben zwischen ihm, dem Kern und mir. Kinderarmut hätte Geschichte sein können! Und irgendwann hat sein Referent nicht mehr abgehoben. Da hab ich mir gedacht: Okay, er weiß jetzt, um was es geht und trotzdem stimmt er gegen die Unterhaltssicherung. Schauen Sie, wenn man blöd ist und sich für Kinderarmut entscheidet, ist das die eine Sache. Aber wenn man darum weiß und dann trotzdem gegen eine Erneuerung des Gesetzes stimmt, dann ist das für mich amoralisch, ja.
Frau Stern, Drecksmanagement ist ein wichtiger Teil der Politik, für Obfrauen und Obmänner gilt das besonders. Wie gehen Sie als jemand damit um, der sich von einem moralischen Kompass leiten lässt?
Gott sei Dank bin ich noch nicht in wirklich dreckige Situationen gekommen, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Auch wenn Sie mich für geisteskrank erklären, ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass man Visionen hat. Gerade in der Politik. Solche Visionen können dabei helfen, im Moment richtig zu agieren. Und weil Sie es ansprechen, das im Dreck wühlen: Ich mein, Tschuldigung, ich habe drei Kinder, und ich habe bei Ihnen in der Scheisse gewühlt und das ist eine vollkommen normale Sache. Dann mach’ ich mir halt in der Politik die Finger schmutzig, na und? Ich werde den Job nicht ewig machen und derzeit gib i ma’s.
Mit welchem Ziel machen Sie das alles?
Ich will erleben, dass es in Österreich die Unterhaltssicherung gibt. Und da lasse ich auch nicht locker. Als Politikerin wird es mich eines Tags nicht mehr geben, aber die Unterhaltssicherung hoffentlich schon. Weil’s einfach deppert ist, dass es sie nicht gibt.
Dann sagen Sie uns doch bitte, wie soll die Unterhaltssicherung aussehen, die Maria Stern hinterlassen will?
Mittlerweile werden 54 Prozent der Kinder von Alleinerzieherinnen – 93 Prozent der Alleinerzieherinnen sind Frauen – großgezogen, die zu wenig Alimente oder Unterhaltsvorschuss bekommen. 18 Prozent bekommen weder noch. Alleinerzieherinnen sind mittlerweile, und diese Quote steigt jährlich, fast zu 50 Prozent von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen. Und das liegt hauptsächlich an unserem löchrigen Unterhaltsgesetz. Und allein die Kosten, die in der Justiz versickern wegen Unterhaltsstreitigkeiten, Sorgerechtsstreitigkeiten, wegen diesem ganzen Rattenschwanz, würden die Unterhaltssicherung finanzieren. Meine Idee für ein neues Gesetz ist ein Sockelbetrag, der jedem Kind zusteht, das in einem Ein-Eltern-Haushalt lebt.
Frau Stern, nun zur letzten Frage, wie wird die Liste Peter Pilz in Hinkunft heißen?
Naja, die Liste wird immer kürzer.
Sie meinen, immer mehr Mandatare springen von der Liste Pilz ab?
Nein, die Liste mit möglichen Namen wird immer kürzer!
Ach so.
Wir sind schon bei weniger als zehn Namen. Und seit vorgestern kristallisiert sich einer heraus.
Welcher ist das?
Tja, schauen wir mal.