Das Blau der Trauer
Yasin Akgül dokumentiert die Verwüstungen in der Erdbebenregion Hatay und die Herausforderungen, vor der jetzt die Überlebenden stehen.
Sie schauen erschöpft ins Lagerfeuer, während sich hinter ihnen die Trümmer ihrer Heimatstadt häufen. Das Erdbeben hat die Menschen, die der türkische Fotograf Yasin Akgül hier fotografiert, aus dem Alltag gerissen. Sie sind Bewohner von Antakya, der Hauptstadt der türkischen Region Hatay. Ihr Wohnviertel wurde vollständig zerstört. ›Vor dem Erdbeben ragten hier hohe Wohnblöcke aus dem Boden. Es gab einen belebten Basar und mehrere Hotels‹, erinnert sich Akgül, der seit 2015 als Fotograf in der Region arbeitet. ›Aber jetzt ist das gesamte Areal flach wie die Wüste.‹
Als Akgül im zerstörten Viertel ankam, war erst einmal nicht an Fotografieren zu denken. Er half den Bewohnern, in den Ruinen nach Überlebenden zu suchen und die Leichen der Toten zu bergen. ›Ich zog den toten Körper eines Mannes zwischen den Trümmern hervor. Unter den Augen seiner Verwandten‹, erzählt er. Auch die Familie, die am Feuer zu sehen ist, habe einen toten Angehörigen aus den Trümmern geborgen. Zwei der zehntausenden Menschen in der Provinz, die das Erdbeben nicht überlebt haben.
Das Foto zeigt die Familie ein paar Stunden später. Es ist Abend und die drei sind ausgelaugt. Das Erdbeben ist mittlerweile acht Tage her und ihre Tage bestehen seitdem vor allem aus Warten. Einerseits auf Nachrichten ihrer vermissten Angehörigen, deren Körper noch irgendwo zwischen den Trümmern liegen müssen. Andererseits auf Hilfe von ihrer Regierung. ›Sie sind wütend und enttäuscht, weil die Hilfskräfte nicht rechtzeitig eintreffen‹, sagt Akgül. ›Tag und Nacht warten sie auf Hilfe oder Neuigkeiten. Und ich weiß, dass ihr Warten weitergeht, während ich gerade über sie spreche.‹
Seine farbliche Komposition macht das Foto einzigartig. Als Zeichen ihrer Trauer ist das Umfeld der Wartenden in ein tiefes Blau getaucht. ›Blau ist eine kalte Farbe, sie steht auf dem Foto für den Verlust und Schmerz der Bewohner‹, sagt Akgül. Durchbrochen wird dieser blaue Schleier nur durch das leuchtende Rot des Lagerfeuers. Es verkörpere die Hoffnung auf ein Lebenszeichen der Vermissten, sagt der Fotograf. Das Feuer spendet den Wartenden Wärme in der kalten Nacht und ist in diesem Moment ihr einziger Zufluchtsort. Denn ihre Wohnungen und Häuser sind unter Trümmern begraben, gemeinsam mit ihrem gesamten Besitz. Ihre Nächte müssen sie in einem Zeltlager verbringen.
Auch Akgül hat keinen festen Schlafplatz, da die Hotels in der Region zerstört sind. Zuerst schlief er in einem Campingstuhl am Lagerfeuer, mittlerweile in einem Auto. Um zu essen, ist er wie die Erdbebenopfer darauf angewiesen, dass freiwillige Hilfskräfte Lebensmittel nach Hatay bringen. Seine Arbeit als Fotograf im Katastrophengebiet sei eine psychische Tortur in diesen Tagen, berichtet er. ›Es ist wie im Krieg. Ich weiß nicht, was am nächsten Morgen passieren wird.‹ •