Das Computerspiel
Rechner haben Schach im letzten Vierteljahrhundert komplett verändert, ohne es zu zerstören. Nun aber bedroht der technologische Fortschritt den fairen Wettbewerb.
Diese Geschichte gibt es auch als Audio-Angebot, eingelesen von Sebastian Loudon. https://datum.at/audio/folge-3-das-computerspiel/
Hat er, oder hat er nicht!?‹ Noch nie in meinem Leben haben mir so viele Menschen unabhängig voneinander dieselbe Frage gestellt. Weil ich Schachmeister und Schachreporter bin, will seit drei Monaten so ziemlich jeder, den ich kenne, von mir wissen, ob der US-amerikanische Teenager Hans Moke Niemann in seiner Anfang September gespielten Partie beim Sinquefield Cup zu St. Louis gegen Schachweltmeister Magnus Carlsen betrogen hat.
Gleich werde ich Ihnen meine Antwort verraten, aber davor sei mir eine kleine Abschweifung erlaubt. Denn wenn Hans Niemann betrogen hat, dann hat er das offensichtlich mit der Hilfe eines Computerprogramms getan, das ihm während der Partie bessere Züge lieferte als selbst der Schachweltmeister sie finden könnte. Um zu verstehen, warum wir im Schach an diesen Punkt gekommen sind, lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wie die Evolution der Computer ein 1.500 Jahre altes Brettspiel jüngst wohl für immer verwandelt hat.
Vom ›Türken‹ zum Papierprogramm
Lange vor der Erfindung des Computers gab es schon eine Schach spielende Maschine. 1769 konstruierte der k.u.k.-Hofbeamte und Mechaniker Wolfgang von Kempelen einen mechanischen Schachspieler in türkischer Tracht, als ›Schachtürke‹ bald in der halben Welt bekannt. Kempelen ließ sein Geschöpf gegen Friedrich den Großen, angeblich auch gegen Napoleon spielen und siegen. Dem interessierten Publikum zeigte der Erfinder gern das Innenleben der Maschine, das aus zahlreichen Zahnrädern und anderen technischen Vorrichtungen bestand. Was er ihnen nicht zeigte, war der Schachmeister, der – durch ein Spiegelsystem unsichtbar gemacht – vom Inneren der Maschine aus die Arme des Türken bewegte. Aufgedeckt wurde der Schwindel erst im 19. Jahrhundert, Edgar Allan Poe widmete diesem ersten großen Betrugsfall des Schachspiels 1836 einen Essay.
Wörter: 1780
Lesezeit: ~ 10 Minuten
Diesen Artikel können Sie um € 1,50 komplett lesen
Wenn Sie bereits Printabonnentin oder Printabonnent unseres Magazins sind, können wir Ihnen gerne ein PDF dieses Artikels senden. Einfach ein kurzes Mail an office@datum.at schicken.