Die große Chance
Warum sich für Österreichs Bundesregierung ein einmaliges Zeitfenster öffnet.
Sollte für Österreich ein geheimes Motto gesucht werden, hier ein Vorschlag in Abwandlung von Johann Wolfgang von Goethes ›Faust‹: ›Der Worte sind genug gewechselt. Lasst uns auch endlich Taten sehen.‹ Dieses Zitat taucht in regelmäßigen Abständen bei der Behandlung immer gleicher Themen in den Medien auf.
Warum also auch nicht hier? Hier besonders. Politisch ist tatsächlich von allen schon alles gesagt worden. Konsequenzen jedoch fehlen seit Jahrzehnten.
Jetzt aber haben wir eine einmalige Regierung in einer einmaligen Situation. Eine Dreier-Koalition gab es seit 1947 nicht und bis September 2027 sind keine Landtagswahlen vorgesehen, es sei denn, Oberösterreich und Tirol können es nicht erwarten. Eine so lange ›wahlfreie‹ Zeit gab es seit Jahrzehnten nicht. Auch gab es seit Langem keinen persönlich so ambitionsfreien Regierungschef wie Christian Stocker (ÖVP). Er muss keine lange Verweildauer im Kanzleramt anstreben. Er könnte tatsächlich in nächster Zeit all das Notwendige durchsetzen, das in den letzten Jahren (bzw. Jahrzehnten) mit Worthülsen zugedeckt worden ist.
Einmalig ist auch die Tatsache, dass er einen Finanzminister zur Seite hat, der zuletzt alle positiv überrascht hat. Markus Marterbauer war als Schreckfigur aller Nicht-Linken ins Amt gekommen und wird jetzt ob seines Pragmatismus und seiner verbindlichen Art von allen Seiten gelobt. Selbst der Griff in die Tasche der Steuerzahler zwecks Budgetsanierung wird vorerst von einigen als Streicheleinheit in einer verheerenden finanziellen Situation empfunden.
Damit ist die Einmaligkeit aber noch nicht ausgeschöpft. Die Regierung kann es sich ob der wahlfreien Zeit leisten, die Aggressivität, von der Herbert Kickl und seine FPÖ politisch leben, einfach zu ignorieren. Kickls Position hängt stark mit Wahlerfolgen zusammen. Sie sind es, die den Sauerstoff für sein Brüllen liefern. Wenn die drei Regierungsparteien es schaffen, Kickl immer wieder zur sachlichen Zusammenarbeit für das Notwendige einzuladen und die eine oder andere Idee der Freiheitlichen aufzugreifen; wenn sie es schaffen, einen anderen Ton im öffentlichen Diskurs zu etablieren, könnte den Krakeelern unter den Freiheitlichen die Luft ausgehen. Da würde sich die Abschaffung der doppelten und dreifachen Förderungen, allgemein als die ärgsten Steuergeldfresser identifiziert, anbieten. Oder eine Reform nach dem Motto ›Wer zahlt, schafft an‹, die den Föderalismus auf ein erträgliches Maß reduziert.
Allerdings sehen die Anzeichen dafür im Moment nicht sehr günstig aus. Noch wird dem persönlichen Angriff, dem gegenseitigen Lächerlichmachen nicht abgeschworen. Vielleicht braucht es Zeit, bis alle begriffen haben, dass die ständigen Vorwürfe nur die Glaubwürdigkeit der Politik zerstören.
Auch die Rolle der Medien wirkt im Moment nicht sehr vielversprechend. Es scheint, als würde die unbedingt erforderliche sachliche Kritik an Entscheidungen mit der permanenten Suche nach Streit und Hader verwechselt werden. Die einmalige Chance dieser Regierung und damit Österreichs liegt vorerst in der Unaufgeregtheit, in den nüchternen Taten und dem festen Blick auf notwendige Reformen.
Wem Faust zu antiquiert vorkommt, der möge sich an Winston Churchill halten: Lass niemals eine Krise ungenützt verstreichen.
Und Österreich ist in einer Krise – vielleicht der letzten, die sich noch sachlich nützen ließe. •