Die Kunst der Ausrede
Warum Appelle an die Eigenverantwortung hierzulande so oft verhallen
Es ist ein gutes Land. ‹ Das wusste schon Franz Grillparzer vor knapp 200 Jahren. Vielleicht wird sein Loblied auf Österreich deshalb immer dann zitiert, wenn sich in Teilen der Zivilgesellschaft Unmut über politische Zustände regt. Zur Beschwichtigung. Vielleicht aber liegt in zwei seiner Zeilen auch der Gleichmut, mit dem diese Gesellschaft Politik erträgt, begründet : › Da tritt der Österreicher hin vor jeden, denkt sich sein Teil und lässt die andern reden ! ‹
Mit diesen Zeilen lässt sich viel rechtfertigen. Österreich sei eine Nation von Überlebenskünstlern und Fatalisten, in der sich nur wenige bemüßigt fühlen, sich in öffentliche Angelegenheiten einzumischen. Wer immer diese Apathie beklagt, wird meist auf die Geschichte und darauf verwiesen, wie gut das Land eigentlich durch seine turbulenten Phasen gekommen ist. Genau genommen ist dieser Verweis auf Habsburg-Monarchie und katholische Kirche heute nichts anderes als eine von vielen Ausreden.
So sehr die hohe Kunst der Ausrede auch praktiziert wird, so reicht sie nicht als Erklärung für die auffällige Distanziertheit vom öffentlichen Geschehen aus. Dafür muss es andere Gründe geben.
Da ist einmal die Angst vor persönlichen Nachteilen als Folgen eines allzu entschiedenen Auftretens – in einem Land, in dem sich viele an die Abhängigkeit von der Politik gewöhnt haben. Und in dem heute noch bei Umfragen fast zwei Drittel der Befragten Repressalien befürchten, sollten sie ihre Meinung frei äußern.
Tatsächlich kann diese Distanziertheit, kann dieser Langmut aber auch zum Vorteil gereichen. Das aktuellste Beispiel in Zeiten der Pandemie : Seit Jahrzehnten wurde in Österreich über eine Reform des Spitalswesens geredet, ohne dass die Öffentlichkeit je auf wirkliche Veränderungen drängte. Jetzt erweist sich die Zögerlichkeit bei der Umstellung als Segen. Wäre der Abbau der Intensivbetten, wie oft angekündigt, tatsächlich erfolgt, hätte dies akut zu gravierenden Problemen geführt.
Das mag der Politik jetzt als Rechtfertigung dienen und die Scheu der breiten Öffentlichkeit vor Veränderungen verstärken. Allein, dahinter lassen sich andere Gründe für unendliche Geduld verbergen. Da wären noch Opportunismus, mit dem sich viel richten lässt, wenn andere es richten. Da wäre ein Mangel an Zivilcourage, der sich – siehe Abhängigkeit von der Politik – immer gut begründen lässt. Dann das Gefühl der Hilflosigkeit, manifest in einem schwach ausgebildeten Selbstwertgefühl, wofür wieder der Lauf der Geschichte herhalten muss.
Und wieder zeigt sich das ganz deutlich in der aktuellen Situation der Pandemie : Auch deshalb verhallen noch so häufige Appelle an die Eigenverantwortung der Einzelnen oft wirkungslos. Der Eigenanteil an einer Entwicklung, die Übernahme der Verantwortung dafür, ohne ständig Schuldige anderswo zu suchen, sollten eigentlich nach Jahrzehnten demokratischer Verfasstheit bereits verinnerlicht sein. Sind sie aber nicht.
Es ist noch immer ein gutes Land. Eines, in dem die Gleichgültigkeit eben nicht unerklärlich, manchmal aber unerträglich ist. Ohne sie könnte es ein besseres sein. •
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