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›Die Macht hat niemand und alle‹

Der Schriftsteller Franz Schuh erklärt, warum er Grün wählt und Peter Pilz fliegen kann, weswegen sich die Sozialdemokratie auflöst und was er selbst vor Tausend Jahren tat.

Interview:
Stefan Apfl
·
Dokumentation:
Johannes Pucher

Die Texte von Franz Schuh kommen üblicherweise spät am Tage, er selbst kommt noch später. Gestern, Donnerstag, um 21.05 Uhr trat er aus dem Regen in die DATUM-Redaktion. Rund 100 Menschen waren zugegen, Journalistinnen, Diplomaten, Künstlerinnen, Damen und Herren aus Politik und Wirtschaft. Man sprach über die neue DATUM-Ausgabe, den Wahlkampf und den Wahlkampf. Und eben deswegen hatten wir auch Franz Schuh eingeladen, um ein wenig Klarheit in diese trübe Angelegenheit zu bringen. Ein Glas Wein lehnte er ab, sein Glas Wasser rührte er nicht an, sondern setzte sich und sprach: ›Was wollen Sie wissen?‹

Stefan Apfl: Herr Schuh, wen werden Sie wählen?

Franz Schuh: Also normalerweise geb ichs nie zu, weil ich mit dem Gedanken spiele, dass es ein Wahlgeheimnis gibt. Aber diesmal sag ichs: Ich wähle die Grünen. Und zwar unter dem Motto: Ich habe alles in meinem Leben falsch gemacht, die Grünen machen auch alles falsch. Und ich bin ein guter Mensch geblieben, obwohl ich alles falsch machte, die Grünen sind auch gute Menschen geblieben, obwohl sie alles falsch machen. Also bleibt für mich nur Grün.

Sie Selbst haben bei Interviews mit Politikern gerne die Frage gestellt: Wer hat die Macht?

Schuh: Ja, das betraf zwei Politiker. Der eine war Kreisky. Auf meine Frage hin hat er sich vor Lachen den Bauch gehalten und gerufen: Dichand und Bacher, die haben die Macht! Und Jahre später hab ich Vranitzky fragen dürfen: Sagen Sie, wer hat in Österreich die Macht? Und er dachte nach und dachte nach und dachte nach und sagte dann: „Ich spreche lieber von Verantwortung als von Macht.“ Da sieht man einen gewissen Unterschied in den Inszenierungsmöglichkeiten und in der Selbstsicherheit.

Und fragte ich Sie, wer die Macht hat?

Schuh: Zunächst einmal würde ich sagen, die Macht hat niemand und alle. Denn eigentlich ist die Vorstellung von Macht wie sie in Shakespeares Dramen reüssiert nicht mehr gültig. Macht ist etwas Komplexeres geworden und schon die Soziologen im 20. Jahrhundert haben die Differenz zwischen Macht und Herrschaft analysiert. Wir haben bestimmte Herrschaftsformen, die Macht relativ gut verteilen und unsichtbar machen. Würde jedermann wissen und erkennen, wo die Macht ist, dann hätte die Macht gar nicht die Macht, sondern wäre schon durchschaut. Ein gewisser Anteil von Undurchschaubarkeit muss dem Begriff der Herrschaft einfach anhängen. Und was die österreichische Herrschaft betrifft: Im Augenblick ist mit einem Wechsel nach rechts zu rechnen. Der Witz ist, dass genau jene Strukturen, die die sozialpartnerschaftliche Politik über Jahrzehnte hatte, also ÖVP und SPÖ, dazu dienen, dass man einfach andere Personen in genau diese Machtstrukturen hineinsetzt. In diese Strukturen werden Personen aus dem sagen wir mal rechten, partiell sogar rechtsextremen Burschenschafterkreis, und das was die ÖVP uns anbietet, hineingesetzt werden.

Was kann der einzelne Bürger mit seiner Stimme da ausrichten?

Schuh: Das hängt mit der Frage der Macht und der Herrschaft zusammen. Diese Gesellschaft, und das hat kein Geringerer als Robert Musil gesagt, ist eine Gesellschaft, die nicht auf Individualität, sondern auf Statistik beruht. Das heißt, die Individuen, die sich in dieser Art von Moderne herumbewegen und sich naturgemäß für wichtig halten, weil sie haben ja gar nichts anderes, zählen politisch nur statistisch. In der Statistik ist diese Stimme eben so wie die Berechnungen der Wählerstromanlysen am Ende sein werden. Ich bin ein Teil des Wählerstroms. Es gibt allerdings, wenn man schon die Wassermetapher benützt, den umgekehrten Hinweis: Ich bin ein Tropfen vom Meer. Und das Meerwasser schmeckt wie das Meer.

Verfolgen Sie die tagesaktuelle Berichersstattung rund um das, was man Wahlkampf nennt?

Schuh: Ja, davon leb’ ich ja, sonst könnte ich auch keine Kolumnen für DATUM schreiben.

Blicken sie durch, was da gerade passiert?

Schuh: Ich bin ja der Auffassung, dass die Aufgabe des Journalismus weniger darin besteht durchzublicken, und meiner Meinung auch nicht darin besteht, irgendwas aufzudecken, obwohl das schön ist, wenn sie was aufdecken. Der Journalismus hat die Funtkion, in einer bestimmten Gegenwart unmittelbar auf diese zu reagieren, damit später, wenn diese Gegenwart vergangen ist, herausgefunden werden kann, was los war und ist. Jetzt liefert man Hypothesen zu dem, was da passiert ist.

Was ist Ihre Hypothese?

Schuh: Wir erleben höchst wahrscheinlich die Auflösung der Sozialdemokratie, die in anderen Ländern ja sozusagen schon Auflösungserscheinungen ganz radikaler Art erlebt hat, zum Beispiel in Italien. Diese Auflösung ist höchstwahrscheinlich aus eigener Schuld passiert. Für mich steht der Begriff des Anwalts im Zentrum. Ein Anwalt ist jemand, der einen Mandanten verteidigt, auch wenn er von dessen Schuld überzeugt ist. Er ist jemand, der nicht aus Überzeugung, und das hat ja auch seine Vorteile, sondern aus pragmatischen Techniken heraus einen Angeklagten verteidigt. Das ist ja ein gutes Prinzip. Aber wenn man das im Überzeugungsgewerbe macht, das heißt im politischen Gewerbe, wenn man also Leute anstellt, die rein pragmatisch, als sogenannte externe Experten oder PR-Söldner dienen, die nichts anderes können und keine Überzeugung haben, als bestimmte Überzeugungen öffentlich durchzusetzen: Dann ist man, was die sogenannten Werte der Sozialdemokratie betrifft, sich selbst in den Rücken gefallen. In so eine Situation darf man sich weder im Privatleben und schon gar nicht im politischen Leben begeben.

Was macht man, wenn man sich dennoch ebendort wieder findet?

Schuh: Der Kurz hat das richtige gemacht aus seiner Sicht. Er hat eine Neugründung seines Vereins begonnen. Auch die Sozialdemokratie müsste sich neu gründen. Aber da seh ich die Schwierigkeit bei so einer Neugründung, dass die Sozialdemokratie gespalten ist in einen linken und einen rechten Flügel, in einen Häupl-Flügel, in einen Ludwig-Flügel, in einen burgenländischen Flügel. Da kann man nur durch eine Neugründung raus und bei einer Neugründung ist eben die Gefahr, dass ein linker Flügel sich von einem rechten abtrennt. Dann steht ihnen noch der Pilz im Weg mit seinem links-rechten Flügel, den er selber darstellt: Der Mann fliegt ja von selbst.

Was würden Sie von einem Kanzler Sebastian Kurz und einer neuen ÖVP erwarten?

Schuh: Also erstens darf man nicht erwarten, dass etwas sehr viel anders wird als es eh schon ist. Dieses Pathos „Wir werden alles anders machen“, dem traue ich wenig. Aber es wird einzelne Gruppen geben, die schwer unter dieser Regierung seufzen werden. Das weiß ich zum Beispiel aus Kärnten, wo die FPÖ ja bekanntlich regiert hat, wo meine Freunde aus dem Kultursektor gesagt haben: Die sind unsere Feinde. Das haben diese Feinde ja auch wirklich demonstriert. Und in Oberösterreich fangen sie auch schon an, es zu demonstrieren. Also bestimmte Fraktionen der Gesellschaft werden sehr unter Kurz und Strache leiden und dem Rest wird es wurscht sein, dass die darunter leiden.

Sie haben die Sozialpartnerschaft angesprochen. Große Teile der ÖVP, der FPÖ ohnehin, auch der NEOS, sind für eine Abschaffung der sogenannten Pflichtmitgliedschaft. Wohl oder Wehe für das Land?

Schuh: Das sind schwierige Fragen, weil einerseits hat die Pflichtmitgliedschaft eine Stabilität gewährt und eine Macht gewährt, die eben darauf beruht hat, dass Leute sich freiwillig verpflichten. Das ist natürlich gegen den Liberalismus. Weil aber andererseits der Liberalismus diese Art von Stabilität nicht haben will, sondern stattdessen Risikogeschäft und Wettbewerb, will er natürlich diesen Institutionen auch die Macht entziehen, die durch die Pflichtbeiträge zustande kommen. Den ersten, den es meiner Meinung nach treffen wird, wird der ORF sein. Unter dem Vorwand „jetzt werden die Leute frei, sie brauchen nicht mehr Zwangsbeiträge zu zahlen“, wird man mit allen Mitteln das angreifen, was kritischer Journalismus ist und man nur dann machen kann, wenn man finanziell gesichert ist. Wissen Sie, es gibt mit Recht den Gedanken der Freiheit: Niemand soll für einen bestimmten Verein zahlen müssen. Andererseits ist das ja Freiheit, die dadurch entsteht, dass sich Leute verpflichten und dadurch mächtige Vertretungsinstitutionen schaffen. So, könnte man sagen, sind da zwei Begriffe von Freiheit, die mit einander konkurrieren, und der liberale Begriff von Freiheit ist im Vormarsch. Man nennt sowas Neoliberalismus.

Ein anderes Zielobjekt dürfte die Stadt Wien sein, das „Rote Wien“. Würde das die Wiener Sozialdemokratie stärken so wie das unter der schwarz-blauen Wenderegierung der Fall war?

Schuh: Ich bin ja der Meinung, dass der Gemeindebau nicht blau geworden wäre ohne „Kronen Zeitung“, also ohne die Bindung der SPÖ an den Boulevard, seien es heute „Krone“, „Österreich“ oder „Heute“. Ahnungslos habe ich Zeitungsartikel gesammelt vor tausend Jahren, als ein gewisser Faymann Wohnbaustadtrat war, und da war mitten in der „Krone“ eine riesige Beilage, wo eine gewisser Faymann erklärt hat, wie man eine Türklinke aufmacht, besonders dann, wenn sie von der Gemeinde Wien besessen wird.

Und die nächsten zehn Seiten hat dieser Faymann gezahlt.

Schuh: Und die nächsten zehn Seiten hat dieser Faymann finanziert. Das war völlig rätselhaft, warum das so war, aber es ist relativ klar, dass der Onkel Hans den Faymann gemocht hat und die SPÖ gemocht, solange er gewissen Einfluss hat ausüben können auf dieselben. Gemeinsam haben sie alle wesentlich mitgewirkt, dass der Gemeindebau blau geworden ist. So wie die Entwicklung also ist, wird wahrscheinlich Wien ziemlich blau werden.

Einer Faust’scher Pakt mit dem Teufel.

Schuh: Es gibt Kollegen, die mit recht darauf hinweisen, man dürfe das nicht dramatisieren. Man könnte also sagen, auch der Teufel ist eine Alltagserscheinung. Kommt jeden Tag vor und ist eine ganz normale Figur.

Auch der Teufel ist banal.

Schuh: Ja, aber wie! Die Banalität des Bösen kommt in all diesen Dingen zum Ausdruck.