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Datum Talente

Diskonter der Lüfte

Wien-Nizza um € 9,99 ? Auf wessen Kosten das Geschäftsmodell der Billigfluglinien funktioniert.

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JH, CB
DATUM Ausgabe Dezember 2019

Lena Berger* steht am Anfang ihres Erwachsenenlebens, als sie beginnt, bei › Niki ‹ zu arbeiten. Ihr Traumberuf war Flugbegleiterin dabei nie : Sie sieht eine Stellenausschreibung und be­wirbt sich eher zufällig. Nun zieht sie jeden Morgen Jeans und eine pinke Bluse an, steigt in ihr Auto und fährt von ihrem Heimatort in Niederösterreich eine Dreiviertelstunde zum Flughafen Wien-Schwechat. Um zum Gate zu gelangen, durchquert sie täglich die Hallen, die viele nur im Sommerurlaub sehen. Eine Stunde vor den Gästen steigt sie ins Flugzeug und bespricht mit dem Piloten und ihren Kollegen den Flug, der ihnen bevorsteht. Diesmal geht es nach Berlin. Nachdem das Flugzeug gelandet ist, wartet sie, bis alle ausgestiegen sind, und räumt liegengelassene Verpackungen weg, klopft Brösel von den Sitzpolstern. Um in der halben Stunde vor dem Rückflug zu rasten, bleibt keine Zeit. 

Es gibt viele Airlines in Europa. Zu viele. Der Wettbewerb ums Überleben ist hart, jedes Jahr gehen Billigairlines pleite. Wie durch ein Brennglas lässt sich dieser Konkurrenzkampf in der europäischen Luftfahrt in Wien-­Schwechat betrachten : Nach der Insolvenz der deutschen Air Berlin und ihrer österreichischen Tochter Niki im Jahr 2017 stürzten sich gleich mehrere Fluglinien auf den Standort. Easyjet Europa startete sein Service von Wien aus noch im selben Jahr. Die ungarische Wizzair und Level, die Billigmarke der spanischen International Airlines Group (IAG), eröffneten 2018 eine Basis in Wien. Auch die irische Ryanair sah eine Chance und kaufte Niki als Laudamotion auf. Die Passagiere freuen sich über den Preiskampf, denn wer nach Paris will, muss sich nicht für 18 Stunden in den Bus setzen, sondern kann in zwei Stunden um denselben Preis hinfliegen. Bloß : Wie stellen die Billigflieger diese Kostenrechnung an ? Die derzeit noch fünfte Billigairline in Wien, Lufthansa-Tochter Eurowings, gibt ihre Basis hier ab 2020 wieder auf. Wie kann sich das für die anderen rentieren ? Wie funktioniert dieses Geschäftsmodell, das uns Fluggäste in die Flugscham treibt und traditionelle Linien wie die AUA ins Minus und in den Personalabbau ? Und spart man als Käufer eines Billigtickets eigentlich auch bei der eigenen Flug­sicherheit ?

Blicken wir kurz zurück : Vor 40 Jahren gab es weder Niki, noch Level, noch sonst eine Billigairline in Europa, nationale Fluglinien hatten kaum Sorgen. Bilaterale Luftverkehrsabkommen regelten, dass nur staatliche Flug­gesellschaften vereinbarte Strecken betreiben durften. Die Ticketpreise sprachen sie auf Tarifkonferenzen miteinander ab, und die Zahl der Tickets, die sie für die jeweiligen Strecken anbieten durften, war in den Abkommen festgelegt. Das Jahr 1987 markierte den Anfang vom Ende der heilen Welt für die nationalen Airlines, denn die EU begann mit der Liberalisierung des Marktes. 1993 war er für andere Airlines weitgehend geöffnet und die Ära der Billigairlines eingeläutet. Zwei Jahre später wurde Easyjet gegründet, wenig später expandierte Ryanair auf das europäische Festland. Ihr Konzept war einfach : Sie konzentrierten das Fliegen aufs Wesentliche, nämlich auf den Sitzplatz im Flugzeug. Jede Zusatzleistung – Gepäck, Sandwich oder der Tomatensaft an Bord – musste extra bezahlt werden. So sparten sie fast die Hälfte der Kosten der klassischen Airlines ein. Sie waren nicht die einzigen, die eine Chance witterten : In den Neunzigerjahren wurden Dutzende neue Airlines gegründet, viele davon auch wieder eingestellt. Dennoch: Der Druck, den sie auf die klassischen Airlines erzeugten, war enorm. Bald begannen auch diese, ihr Serviceniveau herunterzuschrauben, um mit den Preisen der Konkurrenz mithalten zu können. 

Was Billigairlines von klassischen Airlines unterscheidet, ist aber nicht nur der Service, wie der gängige Mythos glauben macht. Sie haben sich enorm kosten­effizient aufgestellt : Low-Cost-Airlines haben zahlreiche Basen mit lokal beschäftigten Crews, allein Ryanair hat 86 Basen in Europa und Nordafrika. Da ihre Flugzeuge und Crews auf Flughäfen im gesamten Netzwerk stationiert sind, können sie zahlreiche Direktverbindungen anbieten. Klassische Airlines haben hingegen meist nur einen Heimatflughafen und managen von dort aus viele Umsteigeflüge. Bei Billigairlines kann man oft nur Direktflüge buchen, wodurch sie ihre Flugzeuge effizienter einsetzen können : Hat bei einem Umsteigeflug etwa ein Flugzeug Verspätung, muss das andere warten. Zu­­dem ist ein Direktflug billiger zu produzieren als zwei Flüge mit Zwischenstopp für dieselbe Destination. Daneben sparen die Linien eigene Reisekosten, da das Personal meist an eine der vielen Heimatbasen zurückkehrt und nicht im Hotel übernachten muss. Die An- und Abreise zum Hotel würde außerdem zur Arbeitszeit zählen, und so fallen auch unproduktive Dienstzeiten weg. Mit all dem erhöhen Low-Cost-Airlines den Druck auf nationale Airlines. Die versuchen angestrengt, mit den Preisen der Konkurrenz mitzuhalten.

Wie die teils absurd niedrigen Preise für Flugtickets – etwa 9,99 Euro für Wien-Nizza Ende November bei Wizz­air – aber wirklich zustande kommen, sei intransparent, meint Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Jede Airline verfolge da eine andere Strategie. Generell möchten Airlines jeden Kunden abholen, wo er steht : jenen mit hoher Zahlungsbereitschaft ein teures Ticket verkaufen, jenen mit wenig Budget ein billigeres. Dynamic oder Personal Pricing nennt sich diese schwer nachzuweisende Methode, bei der Preise auch an das bei der Buchung verwendete Endgerät und die dabei gesammelten Daten angepasst werden : › Es gibt Nutzerberichte, dass es teurer ist, einen Flug mit einem MacBook oder iPhone zu buchen als mit einem Android-Gerät, weil die Systeme erkennen, wer die Seite besucht ‹, erläutert Kummer. › Es soll auch Algorithmen geben, die bedingen, dass der Preis steigt, je öfter die Person eine Seite besucht. Denn desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich buchen will. ‹ Ausschließlich Billigtickets zu verkaufen, könnten sich aber selbst Billigairlines nicht leisten, meint Holger Friehmelt, Luftfahrt-Studiengangleiter an der FH Joanneum. › Eine Airline, die günstige Tickets verkauft, wird auch Leute im Flieger sitzen haben, die mehr bezahlt haben. ‹ Ein EU-Gesetz regle, wie viele Tickets zu einem Preis verfügbar sein müssen, teilweise gäbe es aber nur eine Handvoll Tickets zum niedrigsten Preis, die Fluggäste anlocken sollen. Das Business-Modell der Billigflieger basiert auf dem Yield-Management : Dabei handelt es sich um dynamische Preisanpassungen, die dabei nicht nur die Zahlungsbereitschaft der Kunden einkalkulieren, sondern auch die Auslastung einzelner Flüge berücksichtigen – und somit den Durchschnittserlös pro Sitz im Flugzeug für die Fluglinie maximieren.

Als Niki von Ryanair übernommen und in Lauda­motion unbenannt wird, bleibt Lena Berger. Vorerst. Ihre Dienstuniform – Jeans und pinke Bluse – bleibt dieselbe, aber nicht alles unverändert. Die Zahl ihrer Flugeinsätze, die von Deutschland aus starten, nimmt zu. Unzufriedenheit macht sich in ihr breit : Mittlerweile übernachtet sie öfter in Düsseldorfer Hotels als daheim. 

Als wenige Wochen später im Sommer 2018 der neue Billigflieger Level eine Basis in Wien eröffnet, wechselt Berger doch mit vielen ihrer Kollegen den Arbeitgeber. Ihre neue Uniform besteht aus Rock und Blazer, beide schwarz mit grünen Applikationen. Sie selbst ist mittlerweile Senior-Flugbegleiterin. › Die Kolleginnen in der ersten Gehaltsstufe, die neu beginnen, ver­­dienen sehr wenig und kommen kaum über die Runden ‹, erzählt sie. 1.261 Euro brutto verdienen Junior-Flugbegleiter bei Level im Monat, pro Flugstunde bekommen sie sechs Euro an Spesen dazu. 

Allein 2018 haben laut der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO weltweit rund 4,3 Milliarden Flugpassagiere in die Luft abgehoben. In Zukunft werden viele Passagiere aus Ländern dazukommen, die gerade einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben – etwa vom asiatischen Markt : Innerhalb Chinas wird sich die Anzahl der Fluggäste bis 2039 laut Prognosen des Flugzeugbauers Boeing verdreifachen. Der Markt wächst, der Konkurrenzkampf bleibt. Er wirkt sich besonders auf die Löhne aus, die in den vergangenen Jahrzehnten in der Branche stark gesunken sind. Am Flughafen Wien haben sowohl Wizz­air als auch Level keinen Kollektivvertrag. Die Ge­­werkschaft Vida  geht davon aus, dass das Wizzair-Grundgehalt bei nicht einmal tausend Euro liegt; die Fluglinie gibt an, das Grundgehalt für Kabinenpersonal betrage ›1.400 Euro netto im Monat‹. Die Lufthansa-Töchter Eurowings und AUA haben Kollektivverträge und zahlen monatlich mindestens 1.742 Euro brutto. Level argumentiert, dass das Gehalt inklusive der Spesen, die ab der 65. Flugstunde im Monat ausgezahlt werden, auf die monatlichen 1.700 Euro brutto, die die Gewerkschaft Vida fordert, ansteigt. Aller­dings : › Wenn das Unternehmen das Gehalt in Form von Spesen auszahlt, schmuggelt es sich an den Sozialabgaben vorbei. Für die Mitarbeiter wird dadurch kein Beitrag zur Pen­si­ons- oder Arbeitslosenvorsorge geleistet ‹, kritisiert Daniel Liebhart, Vorsitzender des Bereichs Luftfahrt bei der Gewerkschaft Vida und Flug­lotse bei Austro Control. › Außerdem wird das unternehmerische Risiko vom Management auf den Arbeitnehmer über­tragen. ‹ 

Einen Mindestlohn gibt es in der österreichischen Luftfahrt nicht, Grund dafür ist ein fehlender Branchenkollektivvertrag. Derzeit liegt dem Bundeseinigungsamt im Sozialministerium allerdings ein Satzungsantrag der Gewerkschaft vor, das bedeutet : Wird die Satzung zugelassen, müssten Teile des AUA-Kollektivvertrags von jenen Airlines übernommen werden, die keinen Kollektivvertrag haben. Einen Termin für die Verhandlung über den Satzungsantrag gibt es derzeit noch nicht. 

Die Wirtschaftskammer jedenfalls lehnt einen Branchen-Kollektivvertrag ab. › Das Problem in der Luftfahrt ist, dass die Unternehmen international tätig sind ‹, meint Manfred Handerek, Geschäftsführer der Berufsgruppe Luftfahrt bei der WKO. › Es ist nicht notwendig, dass sie in jedem Land einen Standort haben, es genügt hinein- und hinauszufliegen. Wenn wir einen Branchenkollektivvertrag haben, würden einige Airlines die Basis in Wien auflösen. Der Effekt, den die Gewerkschaft erzielen will, wäre somit nicht gegeben. Die Mitarbeiter würden ihre Arbeitsplätze verlieren oder müssten ins Ausland und von dort aus arbeiten. ‹ 

Sebastian Kummer von der WU findet es nachvollziehbar, dass Billigairlines die Löhne gesenkt haben. › Flugbegleiter haben einfach einen Servicejob. Der war früher extrem gut bezahlt und attraktiv, jetzt ist er normal bezahlt. Ob das so dramatisch ist, weiß ich nicht. ‹ Für Daniel Liebhart hingegen sind Flugbegleiter mehr als eine › Behübschung für die Passagiere ‹. Bei einem Notfall müssten sie ein Flugzeug innerhalb von 90 Sekunden evakuieren. Wenn das nicht klappt, koste das Menschenleben, denn ein Flugzeug brenne in zwei Minuten vollständig aus. Und zur großen Verantwortung käme die Höhenstrahlung – die ab tausend Flugstunden jährlich ähnlich belastend wie die Strahlung für das Wartungspersonal in Atomkraftwerken sei. Folgen des Vielfliegens reichen von Schlafstörungen, Verdauungsproblemen, Kopfschmerzen bis zu deutlich erhöhten Risiken für Schlaganfall, Herzinfarkt, Lungenembolie und Thrombose. Das ständige Wechseln der Zeitzonen und die fehlende Akklimatisierung beeinflussen den Biorhythmus. › Der Flugbegleiter wird nicht entsprechend des Geschäftsrisikos bezahlt ‹, meint Liebhart. › Selbst, wenn es 1.700 Euro brutto sind, steht das in keiner Relation. ‹

Im Sommer 2019 fliegt Lena Berger sechs bis sieben Tage die Woche für Level. Alle 15 Tage bekommt sie einen Dienstplan, eingehalten wird er selten. Fast jeden zweiten Arbeitstag wird ein Flug deutlich verfrüht oder verspätet durchgeführt. › Es gibt mo­mentan keine Regeln ‹, er­zählt sie. › Wir müssen im Prinzip alles fliegen, was uns eingeteilt wird. Auch wenn es statt einem Früh- ein Spätflug wird, müssen wir das so hinnehmen. Wenn ich sag, ich komm zu Mittag wieder nach Hause, ist das nicht absehbar. ‹ Auch für einen zusätzlichen Flug wird sie oft eingeteilt, bis zu eine Stunde vor Abflug. Die Arbeitsstimmung ­leidet unter den dauernden Dienst­planänderungen. Der Betriebsrat fordert, dass ein Flug höchstens um drei Stun­den nach vorne oder hinten verschoben werden kann. Level argumentiert, dass Dienstplanänderungen nur im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten vorgenommen würden. Zwar müssten verspätete Flüge durchgeführt werden, aber nicht über die Datumsgrenze hinaus. Für Krankheitsfälle oder andere Ausfälle hätten sie zudem Ersatzcrews.

In Österreich ist Flugpersonal vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen, Fluglinien müssen sich › nur ‹ an die Standards der Europäischen Flugsicherheitsagentur EASA halten. Diese sind recht locker; ihnen zufolge kann die maximale Arbeitszeit pro Tag abhängig von mehreren Fak­toren neun bis dreizehn Stunden betragen und unter gewissen Umständen noch verlängert werden. Im Sommer sind sechs Tage Arbeit pro Woche die Regel in der Flugbranche, Pausen sind zwischen Kurzstreckenflügen nicht geregelt. Das hat neben allen Auswirkungen auf die Crew auch einen Nachteil für die Passagiere an Bord : Wenig Schlaf und unregelmäßige Arbeitszeiten der Besatzung wirken sich laut einer Studie der European Cockpit Association negativ auf die Sicherheit von Flügen aus. 2012 wurden für das › Pilot Fatigue Barometer ‹ 6.000 Piloten in ganz Europa befragt. Die Umfrage ergab, dass Piloten und Co-Piloten immer häufiger während des Dienstes eindösten. Piloten würden nur widerwillig aufgrund von Müdigkeit nicht arbeiten, wodurch weitere Fehler passieren. WU-Professor Sebastian Kummer sieht hingegen keinen Grund zur Sorge : Kein Verkehrsmittel sei so sicher wie das Flugzeug.

Markus Straucher* sitzt in einem Wiener Café. Es ist ein heißer Sommertag, und er bestellt eine große Limonade nach der anderen. Straucher ist seit Jahrzehnten Pilot, er hat miterlebt, wie sich die Flugbranche nach und nach veränderte, und zuletzt ein Jahr lang bei Wizz–air gearbeitet. Seine Antworten sind nie nur ein Satz, sondern ganze Erzählungen. Er imitiert das schlechte Englisch seiner ehemaligen Chefs und stellt Dialoge nach. An der Wizzair hat er viel zu kritisieren, will sie aber gleichzeitig nicht verurteilen. Seinen Vorstellungen widerspricht vieles von dem, was die Wizzair macht, etwa dass Piloten, wenn sie einen Flug absagen, nicht dafür bezahlt werden. Bei klassischen Airlines würden Piloten unabhängig davon bezahlt werden, ob sie Flüge durchführen oder nicht. Piloten müssen ihr Flugzeug vor dem Start auf dessen Flug­tauglichkeit überprüfen – wie man als Fahrschüler lernt, sein Auto vor der Inbetriebnahme zu inspizieren. › Wenn Sie als Kapitän feststellen, dass das Flugzeug nicht flugtauglich ist, verdienen Sie an dem Tag nichts außer dem Grundgehalt. Ein Mensch, der nicht charakterstark ist und sagt, er braucht die 700 Euro, könnte, was er festgestellt hat, in die Richtung interpretieren, dass das Flugzeug flugtüchtig ist. ‹ 

Während seiner Zeit bei Wizzair ist Markus Straucher in Ungarn stationiert. Als er am ersten Arbeitstag um 4 :30 am Budapester Flughafen in ein Flugzeug der Wizzair steigt, schüttelt er allen Flugbegleitern die Hand und stellt sich vor – die Kabinenmitglieder sind verwundert. › Das machen wir hier nicht ‹, sagt sein Kollege zu ihm. › Weil du der Captain bist. You are the authority. ‹ Von da an ist er nur mehr › Captain ‹. › Good morning, Captain ‹, › Good evening, Captain ‹, seinen Namen kennt niemand. Wenn er mit den Flugbegleitern plaudern will, sind sie verwundert. Nimmt jemand im Flugzeug den Hörer in die Hand, um ihn im Cockpit anzurufen, dann nur der Senior-Flugbegleiter. Normalerweise seien die Hierarchien in der Luftfahrt sehr flach, meint Straucher, ein amikales Klima sei Standard. Jedes Kabinenmitglied müsse sich jederzeit trauen, den Verdacht mitzuteilen, dass etwas mit dem Flugzeug nicht stimmt. › Just-Culture ‹ heißt diese Sicherheitskultur. Sie trägt dazu bei, dass Schwachstellen in der Luftfahrt offengelegt und Unfälle verhindert werden. Angst bekommt ihr nicht gut, denn wenn die Furcht vor Bestrafung in den Vordergrund rückt, werden Missstände, Probleme oder Fehler eher vertuscht als angesprochen. 

Seit der Ryanair-Übernahme berichten auch Laudamotion-Insider von einer dortigen Angstkultur. Erst Ende August wurde die Kündigung von vier Piloten bekannt. Sie hatten davor ihre Zusatzfunktionen als Flugbetriebsleiter, Trainingschef, Vizetrainingschef und technischer Pilot zurückgelegt – mangels Ressourcen, so ihr Argument. Die Austro Control prüft als Aufsichtsorgan Fluglinien regelmäßig unter anderem auf deren Betriebstauglichkeit und Einhaltung der Sicherheitsstandards – so auch Laudamotion. Dass der Airline, wie immer wieder kolportiert, die Fluglizenz entzogen werden könnte, sei aber nur bei konkreter Unfallgefahr eine Option, teilt Austro Control mit, etwa wenn ein Flugzeug schadhaft sei.

Gewerkschafter Daniel Liebhart kritisiert vor allem das Pay-To-Fly-System, für das Wizzair in der Branche bekannt sei. Junge Piloten, die 80.000 bis 90.000 Euro in ihren Pilotenschein investiert hätten und bei der Wizzair anfangen wollen, müssten zunächst weiterzahlen. Die Airline würde nämlich teure Zusatzzertifikate für einen gewissen Flugzeugtyp verlangen, etwa für den Airbus 320. › Sie sagen : Das können wir dir anbieten für 30.000 Euro. Du fliegst einmal die ersten tausend Stunden gratis, und dann kannst du bei uns Pilot werden ‹, erzählt Liebhart. Die Fluglinie dementiert diese Praxis.

Weiteres Sparpotential : Die Billig-Fluggesellschaften lassen auch andere Gesellschaften für sich fliegen. Dazu gehören unter anderem Wet-Leasing-Gesellschaften, die Flugzeuge samt Personal zur Verfügung stellen. › Das Grundprinzip des Leasings ist es auszulagern, um Kosten zu senken und keinen Ärger mit dem Betriebsrat zu haben ‹, meint Sebastian Kummer. Ryanair etwa beschäftigt Kabinenmitarbeiter über Personalleasingfirmen; auch für die Tochter Laudamotion wurde diese Option aufgrund des erwarteten schlechten Geschäftsergebnisses 2019 schon erwogen. In Österreich gibt es keine zeitliche Beschränkung für Leiharbeit. Laut Straucher und Liebhart stelle Wizzair Flugbegleiter und Piloten bei Schweizer Personalleasingfirmen an und spare so Lohnnebenkosten. In einer Stellungnahme gibt Wizzair an, ihre Besatzungsmitglieder und Büroangestellten mit Arbeitsverträgen zu beschäftigen, die immer den Vorschriften des jeweiligen Landes, in dem das Beschäftigungsverhältnis eingegangen wird, entsprechen würden.

Nicht nur den Mitarbeitern, auch den Kunden gegenüber bewegt sich das Unternehmen laut Straucher in einer rechtlichen Grauzone. Wer um 29,90 Euro ein Ticket kaufe, könne sich weder Verpflegung oder Hotelübernachtung erwarten, wenn das Flugzeug ausfällt, noch Kompensation, wenn das Gepäck nicht ankommt. Zwar gibt es in der EU strenge Bestimmungen zu Passagierrechten, die Leistungen wie Kompensationszahlungen vorsehen. Wie eine Analyse des Portals AirHelp ergeben hat, wird jedoch jeder zweite Passagier mit Entschädigungsansprüchen von Fluggesellschaften in Österreich ungerechtfertigt abgewiesen. Fluggastrechtportale wie AirHelp und Flightright haben das Einklagen von Kompensationszahlungen daher zu ihrem Geschäftsmodell gemacht. 

Mit der konsequenten Kostenreduktion, vor allem beim Personal, hat Wizzair Erfolg, letztes Jahr hat die Airline 292,6 Millionen Euro Gewinn gemacht. In Zukunft wird sie laut Straucher an die Bundesländerbasen expandieren, von denen sich die AUA zurückgezogen hat. Wizz­air dementiert dies. Im Gegensatz zur Wizzair sind für die AUA wieder schwere Zeiten angebrochen. Im Vorjahr sind ihre Gewinne das erste Mal seit 2014 wieder gesunken. Wizzair hat mittlerweile knapp 30 Basen vor allem in osteuropäischen Ländern. Der österreichische Markt ist für sie nur ein Nebenerlös, für die AUA die Haupteinnahmequelle. Bisher hätte die AUA versucht, sich als Langstreckenairline zu positionieren, meint Kummer, jetzt würden auch die Billigairlines am Flughafen Wien zunehmend Langstreckenflüge anbieten. Das sei sehr problematisch für die Airline, denn trotz Serviceabbau könne sie die Tickets nicht so günstig wie ihre Konkurrenz anbieten. 

Im Gegensatz zu den Billigfliegern, die von Anfang an auf einheitliche Flotten gesetzt haben, hat die AUA unterschiedliche Flugzeugtypen. Dadurch sei sie im Nachteil, da Flugbegleiter und Piloten nicht so flexibel eingesetzt werden können. › Die AUA-Mitarbeiter müssen sich darauf einstellen, dass noch vorhandene Privilegien abgebaut werden, weil die AUA sonst nicht mehr weiter überlebensfähig ist. Aus Sicht der Mitarbeiter sind die guten Zeiten der Luftfahrt vorbei ‹, sagt Kummer. Anfang November wurde für die AUA ein Sparplan angekündigt, weil die Lufthansa-Manager um den › brutalen Wettkampf ‹ in Schwechat wissen. Ein Stellenabbau von bis zu 800 Mitarbeitern wurde kolportiert.

Wie es weitergehen wird, weiß auch Lena Berger nicht. Ihre Uniform hängt jetzt in einem Schrank in einer nordeuropäischen Metropole, wo sie an der dortigen Level-Basis stationiert ist. Markus Straucher ist sicher, dass sich ohne Branchenkollektivvertrag die Arbeitsbedingungen in der Luftfahrt verschlechtern werden. Auch Airlines mit Kollektivvertrag, etwa Laudamotion, würden anfangen, kollektivvertragliche Beschränkungen aufzuweichen. Und selbst wenn die Arbeitsbedingung für das Flugpersonal sich in Österreich gesetzlich verbesserten, fänden die Billigflieger mit ihrem engmaschigen Netz an Heimatbasen wohl einen kostensparenden Weg, um die Vorschriften zu umgehen. Wohin das führt ? › Die Luftfahrt ist ein unfallreaktives System ‹, sagt Straucher. Vor den beiden Abstürzen mit dem Boeing-Modell 737 Max sei das System vermeintlich in Ordnung gewesen. › Wenn dann aber etwas passiert, fühlen sich selbst die Menschen, die nur 29,90 Euro für ihr Ticket bezahlt haben, belästigt, beleidigt, eingeschüchtert und unsicher. Dass sie selbst dafür mitverantwortlich sind, weil sie nur 29,90 Euro für ihr Ticket bezahlt haben, ist ihnen nicht bewusst. ‹

* Namen von der Redaktion geändert