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Editorial April 2019

DATUM Ausgabe April 2019

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit Jahren sucht die Sozialdemokratische Partei Österreichs die Arbeiter­klasse. Sie müsste bloß dem Lärm folgen. Er würde sie zu uns führen, nicht in unsere Redaktion, sondern auf die Straße davor. Hier, in der Kirchengasse, schuften sie, fleißige Männer mit Akzent, die Red Bull trinken und rauchen. In fünf, sechs Jahren soll eine neue U-Bahn-Linie tief unter uns verlaufen. Deshalb sind die Arbeiter hier, sie und der Lärm.

Oben in der Redaktion reden wir deshalb nicht mehr miteinander, wir schreien: ›Schreiben wir Porträt mit ä oder ai!?‹ ›Meine Änderungen sind drinnen!‹ ›Was ist der Unterschied zwischen Kai und Pier?!‹ So laut ist es mitunter, dass ich das Gefühl habe, LAUT SCHREIBEN ZU MÜSSEN, ­damit Sie mich verstehen können.

Die ersten Geschäfte ziehen bald weg. Kollegen von Dossier, die im Nachbarhaus wohnten, sind bereits vor dem Lärm geflohen. Stattdessen spazieren nun vermehrt Journalisten von Addendum an unserer Redaktion vorüber. Das ist jenes Medium, das Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz gestiftet hat, um der Öffentlichkeit zu geben, was sie ihm bisher vorenthalten hat. Man grüßt die Kollegen auf der Baustelle und schreit ihnen Fragen zu Eigentümerverhältnissen und redaktioneller Unabhängigkeit zu.

 In gebotener Höflichkeit miteinander geschrieen haben Michael Ziegelwagner und ich jüngst kurz vor Druck. Ziegelwagner ist unser Lektor. Das heißt, dass nichts im DATUM stehen darf, das er nicht versteht. So schrieen wir, während sie unten den Gehsteig aufschnitten, über die Titelgeschichte, in der Clara Porak und Johannes Pucher schildern, wie wir unser Beziehungs- und Sexualverhalten mithilfe des Internet umkrempeln. Wir schrieen über das Interview mit Waltraud Klasnic zu den Gründen und Folgen des kirchlichen Missbrauchsskandals sowie über die Arbeit mit den 2.022 Opfern, die Klasnics Kommission in den vergangenen neun Jahren als solche anerkannt hat. Und über das Gespräch mit Adrian Zenz, der die Weltöffentlichkeit auf die chinesischen Lager für Uiguren aufmerksam machte: Er erklärt Franziska Tschinderle Chinas geheimes Umerziehungsprogramm.

Als Ziegelwagner alles verstanden hatte, war es bereits dunkel über Wien und leise in der Kirchengasse. Die Männer der Arbeiterklasse ­waren in Bezirke zurückgekehrt, in denen sie sich das Wohnen leisten können. In den ansässigen Lokalen tranken junge Menschen Aperol und beklagten den Lärm, den die Arbeiter morgen wieder ver­ur­sachen würden. Und auf dem mit Holzbrettern überdachten Gehsteig spazierte Ziegelwagner auf und ab und tat, was er immer tut, wenn es spät wird in der Arbeit: Er erzählte seiner ältesten Tochter eine Gute-Nacht-Geschichte übers Telefon. Als das neue DATUM bereit war für den Druck, da schlief sie schon, und die Arbeiter wahrscheinlich auch.

Ihnen darf ich viel Vergnügen wünschen bei der Lektüre dieser lauten
Seiten der Zeit.

Ihr Stefan Apfl 

stefan.apfl@datum.at

PS: Unsere verzogenen Kollegen der Rechercheplattform Dossier veröffentlichen Anfang April ihr durch Crowdfunding finanziertes Magazin über die Kronen-Zeitung. Sie können es auf www.dossier.at bestellen.

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