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Editorial von Kuratorin Stefanie Sargnagel

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Februar 2021

Auf der Jagd nach dem Rausch

Allein vor dem Laptop eine Flasche Rotwein wegnippen, Geburtstage über Zoom feiern und am nächsten Tag die Wohnung zerstört vorfinden, sich nach Jahren mal wieder einrauchen, CBD-Tropfen injizieren oder die Benzodosis ein bisschen erhöhen. Der Rausch im Lockdown ist einsam und stumpf. Ekstase in der eigenen Wohnung während einer Pandemie erleben, bleibt eher ein unglücklicher Versuch.
Die Menschen begnügen sich mit ­Betäubung, schwerer Rotwein viel­leicht und ein Ibuprofen. Sobald ich mit meiner Lockdownfreundin, mit der ich hin und wieder ein Gläschen hebe, einen sitzen habe, macht sich Weh­mut und Verzweiflung breit. Wir möchten ziellos durch die winterliche Stadt laufen, mit offenen Armen, nur um Menschen zu finden, die sich mit uns verbrüdern wollen, egal wer, Hauptsache irgendwer. Bei jeder Form des Rausches fehlt momentan das kollektive Erleben, der Zufall, das wa­gemutige, unkontrollierte Sich-in-die-Nacht-fallen-Lassen, in dem Dinge möglich sind, über die am nächsten Tag gelacht oder geschwiegen wird. Die gesellige Parallelwelt der nächtlichen Entgrenzung als Ventil für den Alltag eines funktionierenden Mitglieds der Gesellschaft ist tot. Das einzige, was man als Normalbürger noch machen kann an gesellschaftlichem Leben, scheint wie eine konservative Dystopie : Arbeiten, Skifahren, Arbeiten, Skifahren, Arbeiten, Skifahren. Nur noch an wenigen Orten sieht man Menschen gemeinsam dem Rausch nachjagen. An den bekannten Szenehotspots wuseln sie herum wie geschäftige Pilger, die Morpheus, dem Gott des Traumes, huldigen wollen. Die Morphinabhängigen trotzen auch jetzt noch Witterung und Minusgraden, getrieben von der beeindruckenden Macht der Sucht. Und der Rest ? Gibt es irgendwo in dieser Stadt geheime Partys ? Treffen in Tiefgaragen ? Orgien in Oligarchenvillen ? Saufer­eien im Schweinestall ? Warum wurde ich noch nie auf eine Coronaparty eingeladen ? Was machen die Leute, die normalerweise jeden Tag in ihr Tschocherl ums Eck krachen, um sich bei ein paar Bier auszutauschen, mit ihrer Einsamkeit ? Immer wieder höre ich schon wen flüs­tern : › Kennst du die ? Kennst du den ? Bei der /dem im Atelier feiern sie die ärgsten Partys, da waren letztens ZEHN Leute und es ging bis ein Uhr in der Nacht ! ‹, und mich frisst der Neid auf das Er­leben dieser riesigen Raves.

Nehmen Linke eigentlich andere Drogen als Rechte ? Was heißt es für das eigene Sozial­leben, wenn man sich der Rauschkultur absichtlich entzieht ? Und wie kompensieren wir den Verlust gemeinsamer, ekstatischer Momente während einer Pandemie ?

Als jemand, der gerade einen Roman über eine Jugend voller Drogenexperimente geschrieben hat, sehr aktiv im Nachtleben ist, aber genauso längere Phasen strenger Abstinenz kennt, wurde ich angefragt, die Ausgabe zum Thema Rausch zu kuratieren und habe mich in meinem Umfeld umgehört, was da eigentlich grad so los ist. Ich bin selbst gespannt, ob meine Fragen beantwortet werden und wünsche viel Vergnügen mit den verschiedenen Beiträgen. •