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›Ethisch gerechtfertigt und verhältnismäßig‹

Die Impfpflicht sollte Geimpfte über den vierten Lockdown hinwegtrösten und Ungeimpften einen gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Protest ermöglichen. Stattdessen zweifeln nun auch immer mehr Impfbefürworter an der Sinnhaftigkeit des Gesetzes. Brauchen wir es wirklich? Ein Gespräch mit dem Medizinethiker Ulrich Körtner.

DATUM Ausgabe Februar 2022

Beginnen wir grundsätzlich: Wie beurteilen Sie aus medizin­­ethischer Perspektive das Zustande­kommen der allgemeinen Impfpflicht?
Ulrich Körtner: Da muss ich in die Frühphase der Pandemie zurückgehen: Die Regierung hat sehr schnell die Impfung als den großen Hoffnungsträger in der Pandemie identifiziert – völlig zu Recht. Doch sie hat dabei einen entscheidenden Fehler gemacht, indem sie von Anfang an eine Impfpflicht kategorisch ausgeschlossen hat. In einer Pandemie, bei der man die künftige Dynamik nie wirklich abschätzen kann, sollte man sich an James Bond halten: Never say never again. Zu Beginn schien die Politik noch richtig zu liegen: Sie erinnern sich, anfangs gab es zu wenig Impfstoff, die Menschen stritten sich darum, wer zuerst drankommt. Das Wort ›Impfneid‹ war ein gängiger Begriff.

Dabei war immer klar, dass die grundsätzliche Impfbereitschaft in der Bevölkerung nicht ausreichen würde, um auf die notwendige Quote zu kommen – ganz besonders angesichts der Virusvariante Delta.
Und dennoch hat die Regierung im Sommer 2021 die ohnehin nur mäßig erfolgreiche Impfkampagne, die vor allem über TV-Spots und Zeitungsinserate lief und die Menschen nicht direkt ansprach, zurückgefahren, weil man dachte, das sei ein Selbst­läufer. Die Infektionszahlen sanken, Bundeskanzler Kurz erklärte die Pandemie für gemeistert, und mit dem unangenehmen Thema einer Impfpflicht wollte man sich überhaupt nicht befassen. Lieber schielte man auf die nächsten Meinungsumfragen und Schlagzeilen. Auch wollte man der fpö, die das Impfthema für sich entdeckt hatte, vor der Landtagswahl in Oberösterreich keine Angriffsfläche bieten. Dazu kam dann die Regierungskrise im Herbst 2021, die letztlich zu einem glatten Staatsversagen – man muss es so nennen – geführt hat.

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