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Gate 240

Wie Abschiebungen vom Flughafen Wien-Schwechat funktionieren.

DATUM Ausgabe März 2020
Draußen ist es dunkel, die großen Glasfronten des Flughafens Wien-Schwechat sind hell erleuchtet. Auf der Landebahn werden die letzten Flüge abgefertigt. Während sich die Schlangen vor den Sicherheitskontrollen allmählich auflösen, öffnen sich knapp 900 Meter vom Terminal entfernt zwei große Garagentüren einer schwarzen Lagerhalle. Im Schatten der Nacht fahren sechs Kleinbusse hinein. Die Passagiere, die heute am Gate 240, ankommen, haben ihre Reise noch vor sich. Ihr Ziel: Kabul, Afghanistan.
› Wenn dort gebrüllt wird, hört es niemand ‹, sagt Marijana Grandits, ehemaliges Mitglied der Menschenrechtskommission der Volksanwaltschaft über Abschiebungen in Chartern, besorgt. › Da können sie dann schreien und sich anurinieren. Da störts dann niemanden‹, sagten 2015 die FPÖ-Politiker Strache und Belakowitsch-Jenewein weniger besorgt zum selben Thema.
Seit 2011 werden am Gate 240 › sensible fremdenpolizeiliche und asylrechtliche Amtshandlungen abgewickelt‹. Einblick von außen gibt es nicht. Besser so, sagt Fachbereichsleiter Thomas Knotzer in einem Beitrag auf der Internetseite des Innenministeriums: › Früher hat man bei einer Abschiebung den Fremden zusammen mit den übrigen Fluggästen am Gate durch­sucht. Wenn die Person plötzlich versucht hat, sich gegen die Abschiebung zu wehren, ist es vor den Augen aller Passagiere zu unangenehmen Szenen gekommen und es bestand zum Teil auch ein Sicherheitsrisiko.‹
Ein Teil der Abschiebungen sind Charterflüge, die organisiert werden, wenn genug Personen für ein Land zusammenkommen. Vor allem aber, wenn sich Abzuschiebende als sogenannte Problemfälle erweisen. Wenn Personen sich selbst verletzt haben, um einer Abschiebung zu entgehen, oder wenn ihre Abschiebung im Linienflug zuvor gescheitert ist und Widerstand zu erwarten ist. Fernab der Öffentlichkeit bieten das Gate 240 und insbesondere Charterabschiebungen so eine problemlose, weil kaum
be­merkte Alternative zu Abschiebungen mit Linien­flügen. Im Jahr 1999, nach dem Mord an Marcus Omofuma auf einer Linienabschiebung, wurden sie eingeführt. Und auch die neue Regierung aus ÖVP und Grünen wird keine Kehrtwende vollziehen. Im Regierungsprogramm wird die › Konsequente Ab­­schie­­bung von straffällig gewordenen Drittstaatsangehörigen, denen der Schutzstatus aberkannt wurde ‹ festgeschrieben. Eine kritische Öffentlichkeit be­kommt von den Charterabschiebungen nur am Rande mit. Auch deshalb, weil Medien kaum Zugang erhalten. Ein Besuch am Flughafen wurde auch für diese Geschichte von Seiten des Innenministeriums und vom Flughafen Wien-Schwechat aus datenschutzrechtlichen Gründen abgelehnt.
Wie aber laufen Abschiebungen ab? Welche Menschen sind daran beteiligt? Aus welchen Gründen werden sie am Ende in wenigen Fällen doch verhindert? Und welche Rolle spielt das Gate 240 in Wien-Schwechat für Österreichs Abschiebepolitik? Wer das herausfinden will, muss mit den Leuten sprechen, die dabei sind, wenn Menschen abgeschoben werden. Mit Piloten, Flugbegleitern, Menschenrechtsbeobachtern und mit denen, die selbst abgeschoben werden. Es ist der Versuch einer Rekonstruktion.
Laut Bundesministeriums für Inneres sind im Jahr 2019 6.677 Personen zwangsweise außer Landes gebracht worden, vor allem per Flugzeug oder Bus. 2016 waren es noch 4.880. Manchen gelten die gesteigerten Zahlen als Beweis für eine konsequente und geordnete Migrationspolitik, um nach der Flüchtlingsbewegung 2015 verloren ge­­glaub­tes Vertrauen zurückzuerlangen. Der Charter ist dabei die Garantie, die gewünschten Zahlen zu erreichen – durch ihn gelingt es nicht nur, auch diejenigen abzuschieben, die sich dagegen wehren, sondern es wird damit auch der Widerstand gegenüber Abschiebung innerhalb der österreichischen Gesellschaft im Keim erstickt.
Einer der davon Betroffenen ist Nematullah, ge­nannt Nemo. Der Tag, an dem der heute 21-Jährige entschied, Afghanistan zu verlassen, war der Tag, an dem sein Bruder beerdigt wurde. Zusammen mit seiner Familie lebte er im Norden des Landes, in der Provinz Sar-i Pul. Als sein älterer Bruder sich gegen die Taliban stellte, erschossen sie ihn. Seitdem hat Nemo viele Stationen hinter sich gelassen: Die afghanisch-­iranische Grenze, über die er zu Fuß über die Berge floh. Die Türkei, in der er zwei Jahre lang für einen Schlepper arbeitete, um die Weiterreise zu finanzieren. Österreich, in dem er sich ein neues, sicheres Leben aufbauen wollte und zuletzt vor Gericht für sein Bleiberecht kämpfte. Und verlor.
Nemos vorerst letzte Station in Österreich: Gate 240 am Flughafen Wien-Schwechat.
Wenige Monate nach Nemos Abschiebung und rund vier Jahre nach Nemos Ankunft in Wien, im Frühjahr 2019, sitzt Irina, eine blonde Frau Anfang 40, im hintersten Zimmer eines Wiener Kaffeehauses. Ihre Augen sind glasig, wenn sie über Nemo spricht. 4.561 Kilometer liegen zwischen Wien und Kabul. 4.561 Kilometer, die Irina und ihren ehemaligen Schüler heute trennen. Kontakt zu ihm hat sie nur über die Messengerdienste Whatsapp und Signal. Aber auch das nur sporadisch, denn Nemo muss immer wieder untertauchen, und Internet ist in Afghanistan rar. Dennoch lässt sich aus Irinas Erinnerungen, sowie aus den Schilderungen der Vorgänge bei der Abschiebung, die Nemo per Whatsapp schickt, der Ablauf rekonstruieren.
Irina erinnert sich, dass es schneit, als sie sich am Abend des 10. Dezembers 2018 mit rund 70 Unterstützern vor dem Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände in Wien versammelt, um Solidarität zu zeigen. In der Nacht darauf wird der Charterflug nach Afghanistan starten, Nemo steht auf der Passagierliste. Von der Roßauer Länder aus wird er mit fünf anderen Personen von der Polizei in einem Auto nach Schwechat gebracht. Keine tausend Meter von Rollbändern und Wartehallen entfernt, werden sie am Gate 240 von jeweils zwei Polizeibeamten aus den Bussen geführt, einige sind mit Handschellen gefesselt. In einem dafür vorgesehenen Raum werden das Gepäck sowie die Abzuschiebenden selbst untersucht, Toilettenbesuche sind nur in Begleitung möglich.
Anders als bei einem normalen Flug, werden die Personen auch auf ihren Gesundheitszustand sowie ihre Flugtauglichkeit geprüft. Nemo war in Österreich zuvor bereits eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Aber das ist nicht Grund genug, um ihn vor einer Abschiebung zu bewahren. › Gerade Grenzfälle wie psychische Krankheiten fallen bei der Gesundheitsprüfung oft unter den Tisch ‹, sagt Marijana Grandits, die als ehemaliges Mitglied der Menschenrechtskommission der Volksanwaltschaft bei vielen Abschiebungen dabei war. Manchmal komme es vor, dass jemand Glasscherben geschluckt hat oder sich in Panik wehrt und von Beamten zu Boden gerungen werden muss, erzählt Grandits. Für solche Situationen seien ein Amtsarzt, ein Sanitäter und zwei Polizisten der Fremdenpolizei vor Ort.
Bis zu drei Stunden warten diejenigen, die hier am Flughafen von allen mit ihnen Befassten nur › Deportees ‹ genannt werden, auf den Sesseln einer der drei Wartehallen, bis all ihre Dokumente vorbereitet sind und das Flugzeug gelandet ist. Ständig unter Aufsicht des Wachpersonals, das eingreift, wenn es zu medizinischen Notfällen kommt. Meist heißt das, dass sich eine Person selbst verletzt, um als fluguntauglich eingestuft zu werden. Es gibt extra eingerichtete medizinische Räume am Gate, Widerständige können in eine der zwei verglasten Einzelzellen in den Wartehallen gesperrt werden. Alle, die hier warten, haben in den vergangenen Nächten in einem fremden Bett geschlafen – in der Roßauer Lände, dem Anhaltezentrum gegenüber den Gürtelbögen in Hernals oder der Familienunterkunft Zinnergasse im Elften Wiener Ge­meindebezirk. Einige werden innerhalb von 72 Stunden vor der Abschiebung festgesetzt, andere schon Wochen zuvor.
Ob Linie oder Charter – abgewickelt wird jede Abschiebung von Gate 240 aus. Die Abzuschiebenden, die Linie fliegen, werden mit einem Bus zum Flugzeug gefahren, wo sie noch vor allen anderen Passagieren geboarded werden. So, dass die nichts davon mitbekommen. Bevor die abzuschiebende Person in das Flugzeug einsteigt, wird sie der Crew übergeben. Der Pilot wird in einem Briefing von den Beamten darüber informiert, ob diese zuvor auffällig geworden ist, zum Beispiel durch aggressives Verhalten.
Parkt das Flugzeug direkt am Gate, steigt der Rückkehrer über die Hintertreppe ein. Ist die Person unbegleitet, nimmt die Kabinenchefin Papiere und Ticket an sich. Sind Polizisten dabei, tragen diese sie bei sich. Erst wenn der Rückkehrer am Fensterplatz einer der letzten beiden Sitzreihen Platz genommen hat und sich weiterhin ruhig verhält, steigen auch die anderen Passagiere zu. Die Begleitbeamten sitzen in zivil daneben, von den Passagieren bleiben sie meist unerkannt. Solange der Rückkehrer sich ruhig verhält, bleibt das, was gerade passiert, ein Geheimnis.
Der Pilot Richard Vadasz steht am Fenster seines Büros im zweiten Stock des Trainingscenters der Austrian Airlines. Hinter Lagerhallen und LKWs ragen die Parkhäuser in den Himmel, irgendwo dahinter befinden sich Reisegates und Flugpiste. Noch weit davor, in unmittelbarer Blickweite von Vadasz, ein schwarzer Kasten, Gate 240.
Dass er auf seinem Linienflug einen › Deportee‹ mit an Bord haben wird, erfährt der Pilot erst kurz, bevor er ins Flugzeug steigt, erklärt Vadasz. In einer E-Mail, zusammen mit Passagierliste und Wetterdaten, in der die Abkürzung DEPU für › Deportee unaccompanied ‹ und DEPA für › Deportee accompanied ‹ vermerkt ist. Accompanied, also begleitet, bedeutet, dass die Person von zwei Beamten begleitet wird. Das heißt dann, dass Widerstand zu erwarten ist, weil die Personen im Gegensatz zu den unbegleiteten Deportees unfreiwillig das Land verlassen müssen. Die meisten würden aber ohne Begleitung fliegen, sagt Vadasz.
Als Pilot der Austrian Airlines und Sicherheitsbeauftragter bei der ACA, der Österreichischen Interessenvertretung für Piloten, kann Vadasz nur über die Abschiebungen in Linienflügen sprechen. Er verwendet dafür Formulierungen wie: › Wir Piloten sind nur ein kleines Tortenstück ‹ oder: › Fliegerei hat nichts mit Politik zu tun‹. Die Piloten, die Crew, sie alle machen nur ihren Job, sagt Vadasz. Die Verantwortung für die Entscheidung, Menschen abzuschieben, liege woanders, weiter oben – und doch gab es immer wieder Fälle, in denen Pilotinnen und Piloten sich weigerten, › Deportees ‹ mitzunehmen. Ein Pilot darf die Mitnah­­me nämlich verweigern, wenn sich eine Person körperlich wehrt oder wenn sie laut wird, also eine Gefahr für die Flugsicherheit, die Sicherheit von Passagieren und der Crew, aber auch für sich selbst darstellt, erklärt Vadasz. Das gleiche gilt, wenn der Mund verklebt oder Hände und Füße gefesselt sind, sodass eine Notevakuierung behindert wäre – eine Konsequenz aus dem Tod Marcus Omofumas. Werden die Vorschriften der Airline nicht eingehalten, dann werden die Rückkehrer wieder zurück an die Beamten übergeben. Eine langfristige Lösung ist das nicht – vom Gate 240 werden sie wieder zurück in Schubhaft gebracht – und der nächste Flug ist dann eben ein Charter.
Dass Abschiebungen in Linienflügen in den vergangenen Jahren verhindert wurden, liegt nicht nur an den Airlines. Immer wieder versuchten Aktivisten, Abschiebungen zum Scheitern zu bringen. Die Abschiebung eines 22-Jährigen nach Guinea im Jahr 2010 wurde im letzten Moment abgebrochen. Aktivisten hatten sich Flugtickets besorgt und Krawall ge­macht. In solchen Fällen treffen die Aktivisten hohe Strafen und lebenslanges Flugverbot. Dazu kommt, dass sie erst sehr kurzfristig über die Angehörigen der Abzuschiebenden von den geplanten Abschiebeflügen erfahren können. All das erschwere eine Einflussnahme, erklärt Marijana Grandits. Dass den Asylbewerbern durch Proteste kaum langfristig geholfen werde, sei ein weiterer Grund dafür, dass diese in den vergangenen Jahren immer weniger geworden seien.
› Am Anfang dachte ich noch, da muss man was dagegen machen. Aber irgendwann findet man sich damit ab und es wird zur Normalität‹, sagt Anna, die in Wirklichkeit anders heißt, aber für diesen Artikel unerkannt bleiben will, weil sie Angst hat, sonst ihren Job zu verlieren. Anna arbeitet seit über fünf Jahren als Flugbegleiterin bei Austrian Airlines und hat dutzende Abschiebungen im Linienflug miterlebt. Sie ist diejenige, die die Deportees während des Fluges im Auge behalten soll, die ihnen das gleiche Essen bringt, das alle anderen auch bekommen, ihnen aber keinen Alkohol ausschenken darf. Anna soll Konflikte de­eskalieren und dem Rückkehrer im Notfall die Hände mit Kabelbinder hinter dem Rücken festbinden. In der Theorie kennt sie die Handgriffe, praktisch ist ihr so ein Fall noch nie untergekommen. Meistens wären die Abzuschiebenden sowieso ruhig und freundlich, man­che würden apathisch in ihr Handy starren.
Ist das Flugzeug erst einmal in der Luft, gebe es drei Stufen, nach denen sie die Passagiere, die sich auffällig verhalten, bewertet, erklärt Anna. Sie gelten nicht nur für die Deportees, sondern für alle Passagiere. Zuerst gebe es eine Verwarnung. Zum Beispiel, wenn sich jemand weigert, sich anzuschnallen. Die zweite Stufe ist erreicht, wenn jemand am Klo raucht, be­trunken ist, oder aggressiv wird. Handgreiflichkeiten würden dann schon in die dritte Stufe fallen. Ist die er­­reicht, wird ein Passagier gesperrt. Er wird entweder ausgeladen, oder, wenn sich der Vorfall in der Luft ereignet, bei der Landung an die Polizisten vor Ort übergeben. Teilweise wird auch ­zwischengelandet, um den Passagier auf dem erst­­mög­lichen Flughafen auszuladen.
Bei Linienflügen, die am Zielflughafen ankommen, steigen erst einmal die normalen Passagiere aus. Erst dann darf der Deportee von seinem Sitz aufstehen. Draußen wartet schon die jeweilige Landesexekutive mit Polizeiauto, um ihn in Empfang zu nehmen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt merken die anderen Passagiere, dass dies kein ganz normaler Flug war. 50 Euro Überbrückungshilfe bekommen Abgeschobene vom österreichischen Innenministerium. Personen, die freiwillig das Land verlassen, können sich an Hilfsprogramme wie die der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wenden. Für unmittelbare Be­dürfnisse wie Unterkunft oder Lebensmittel stellt die Organisation den Rückkehrern nach ihrer Ankunft 500 Euro Bargeld zur Verfügung.
Und doch sind Abschiebungen in Linienflügen aufwändig und haben ein hohes Risiko zu scheitern. Die Alternative sind Charterflüge. › Die Erfahrung hat ge­zeigt, dass viele Abschiebungen per Linienflug nicht durchführbar sind ‹, sagt Günter Ecker vom Verein für Menschenrechte. Er ist Experte, wenn es um Abschiebungen und Menschenrechte in Österreich geht. Wer mehr über den Ablauf an Bord der Maschinen von Gate 240 wissen will, kommt an ihm nicht vorbei, denn sein Verein ist als einziger damit beauftragt,
die Einhaltung der Menschenrechte an Bord zu kontrollieren.
Es könne ja nicht sein, dass die, die sich wehren, bleiben können, und die, die es nicht tun, abgeschoben werden, findet Ecker. Die Charterflüge scheinen dieses Dilemma aufzulösen. Denn sie sorgen dafür, dass auch diejenigen abgeschoben werden, die zuvor Widerstand leisten.
› Sofern in eine Destination Charterflüge stattfinden, wird diesen immer gegenüber den Einzelabschiebungen der Vorzug gegeben ‹, heißt es von Seiten des Innenministeriums. Sie sind › ein wesentliches Element in einem funktionierenden Rückführungssystem‹. Noch beliebter als eigene Charterflüge sind je­doch europäische Kooperationen im Rahmen von Frontex. Hier nehme Österreich eine Vorreiterrolle ein. Immerhin hat es im Jahr 2006 den ersten gemeinsamen Flug organisiert und war in den Jahren 2006 bis 2015 Europameister bei der Organisation gemeinsamer Flüge. 2017 hat Österreich 45 von 57 Frontex-Charter-Flügen selbst organisiert.
Jede potentiell problematische Charterabschiebung, heißt es im Innenministerium, werde im Vorfeld der Volksanwaltschaft gemeldet, also beispielsweise, wenn Personen an Bord sind, die sich schon vorher einmal gegen eine Abschiebung gewehrt haben, oder deren Gesundheitszustand kritisch ist. Formal hat die Volksanwaltschaft das Recht, schon ab dem Vorbereitungsgespräch in der Schubhaft dabei zu sein. Auf Nachfragen bei ehemaligen und derzeitigen Mitarbeitern der Volksanwaltschaft ergibt sich ein anderes Bild: Früher habe man dort auch ohne offizielle Bescheide über nahende Problemabschiebungen Bescheid gewusst, sagt Marijana Grandits. Heute würden Abschiebungen nur selten im Vorfeld gemeldet, im Zweifel nur Problemabschiebungen.
Ob eine Abschiebung menschenrechtskonform abläuft, bleibt so zumeist allein der Bewertung einer einzigen Instanz überlassen: dem schon er­-
wähnten Verein für Menschenrechte Österreich. Oft ist ihr Chef , Günter Ecker, persönlich als Menschenrechtsbeobachter an Bord. › Österreich ist in einer menschenrechtlichen Vorreiterrolle ‹, sagt er nicht ohne Stolz und bezieht sich dabei auf die verpflichtende Menschenrechtsbeobachtung, die in Österreich viel früher als in anderen EU-Ländern eingeführt wurde. Kritik an Ecker und seinem Verein kommt von NGOs wie SOS-Mitmensch oder auch Heinz Patzelt, dem Generalsekretär von Amnesty International Ös­ter­reich. Als verlängerter Arm des Innenministeriums, als intransparente Dienstleistungsagentur wird der Verein für Menschenrechte beschrieben. › Was wir im Gegensatz zu anderen Vereinen nicht haben, ist die Glorifizierung und Idealtypisierung von Asylwerbern ‹, erwidert Ecker darauf.
Am 16. Juni 2019, einen Tag vor der Veröffentlichung des Ibiza Videos, beschloss die schwarz-blaue Regierung das Gesetz für die neue Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU). Sie soll in Zukunft große Teile des Flüchtlingswesens übernehmen. Das Innenministerium stellt den Vorsitzenden des Aufsichtsrates und die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder. Dieser Beschluss wurde auch in das neue schwarz-grüne Regierungsprogramm über­nommen. Ab 2021 soll die Agentur ihre Arbeit aufnehmen, bis dahin betreuen weiterhin NGOs wie die Caritas, Volkshilfe, Diakonie und auch der Verein für Menschenrechte. Christoph Riedl von der Diakonie sieht in der BBU einen Verstoß gegen bestehendes Recht. › Österreich wird das einzige Land in der EU sein, in dem Rechtsberatung und die Negativentscheidungen unter engem Einfluss eines Ministeriums steht. ‹ Er sieht durch die neue Konstruktion den Artikel 47 der EU Grundrechtecharta und somit das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht in Gefahr. Für Ecker und sein Team vom Verein für Menschenrechte ist das hingegen kein Problem: › Alle operativen Tätigkeiten des Vereins werden in die BBU integriert und samt und sonders übernommen. ‹
Abgeschoben wird in Österreich 2020 also höchst professionell und dem äußeren Anschein nach rechtskonform, an alles wurde gedacht. Nur: Wer soll schon kritische Fragen stellen, wenn er gar nicht erst von einer Abschiebung erfährt? Wer soll aufmerksam werden, wenn er von seinem Gate aus nicht sieht, wie hunderte Menschen auf ihren Abschiebeflug warten? Und wer soll im Charterflug auf Unrecht aufmerksam machen, wenn nichts davon nach außen dringt? Nicht­regierungsorganisationen und Monitoringgrup­pen haben das gleiche Problem wie Journalisten: Ihnen werden Informationen vorenthalten, ohne die sie ihren Job nicht richtig machen können. Wer am Abend einer Abschiebung beim Pressebeauftragten des Innenministeriums anruft und sich nach einer an­stehenden Abschiebung erkundigt, wird mit › Datenschutz ‹ und ›Persönlichkeitsrechten ‹ abgewimmelt. Die menschenrechtkonforme Abschiebepraxis, derer sich Österreich mittlerweile rühmt, lässt sich so nicht beweisen – das Gegenteil leider ebensowenig. •