Wenn Pastinake und Blinis zu ›regionalen Tapas‹ fusionieren
Alltagsphänomene sind keine Banalitäten, sondern sagen etwas über ihre Epoche aus. Der gesellschaftliche Kosmos Essen, um den es in dieser Kolumne gehen wird, beschränkt sich längst nicht mehr auf das christlich-bescheidene ›tägliche Brot‹. Unsere Körper sind heute Tempel und beim Essen spielt außenwirkungsversessene Selbstgefälligkeit eine ebenso große Rolle wie überall sonst in der Konsumgesellschaft. Ich bin schuldig im Sinne der Anklage und Sie wahrscheinlich auch – immerhin lesen sie gerade ein hochwertiges Gesellschaftsmagazin. Haben Sie schon Hunger? Ich auch. Prost, Mahlzeit!
Starten wir hip. Bei einer äußerst zeitgeistigen Neueröffnung in der Wiener Josefstadt, dem kulinarisch einwandfreien, upper-middle-preisigen Fusion-Wirtshaus ›Wildling‹. Einem Lokal für Indie-Gourmets, wo Cognac-Linsen auf Kimchi-Bloody Marys, Bratkartoffeln in Sauce Hollandaise auf Schweinebauch und Honigpastinaken auf Kürbis-Blinis treffen. Schon die Website sieht aus wie die eines Grafikdesign-Studios, das stilvoll-reduzierte Interieur stützt den Look der coolen Coolness. Deko: Gräser und Farne. Soundtrack: eine leise Calypso-Version von 50 Cents ›In da Club‹. Service: freundlich und demonstrativ locker. Das Motto des Lokals lautet ›regionale Tapas‹ inklusive aller Schlagwörter (Regional! Saisonal! Nachhaltig! Ohne künstliche Zusätze, ohne jegliche Lebensmittelverschwendung!) und übererfüllt sich bei einem tatsächlich schmackhaften Mahl.
Vielleicht etwas wild durcheinander und für kritische Gourmets ein wenig beliebig, werden da allerlei Klein- und Kleinst-Speisen kommentarlos zueinander gestellt. Weil Winter ist, gehören Rüben und Kohlgemüse selbstverständlich dazu. Wie regional und saisonal die Physalis auf dem Schokolade-Dessert eigentlich ist, fragen am Tisch anwesende Erbsenzähler. Doch man ist zu locker, dem weiter nachzugehen. Denn das Ensemble ist, was wir Neo-Spießer sind und wollen. Lässig distinguiert, beim Fine Dining mit Schirmkappe im leger getarnten Elitismus. •
Wildling · Laudongasse 8, 1080 Wien · www.wildling-foods.at
Russlands Präsident Wladimir Putin kokettiert gerne mit seiner Vergangenheit als KGB-Spion. Dokumente der DDR-Staatssicherheit, die vor wenigen Jahren in den Aktenbeständen einer Außenstelle gefunden wurden, lesen sich im Licht des Ukraine-Krieges neu. Aber auch viele der Verstrickungen Österreichs mit dem Kreml haben ihren Ursprung in der Wendezeit.
Nach Jahrhunderten der Unterdrückung und der Ausbeutung haben die Menschen in der Ukraine erstmals das Gefühl, dass der Staat ihnen dient und Leben rettet.
Ein toter Briefkasten im Wald, geheime Treffen in Hotels und Strela-Satelliten im All: Der spektakuläre Fall des 2018 als Spion enttarnten österreichischen Soldaten M.M. zeigt, wie Russland in Europa geheime Informationen beschafft.