Im selben Boot

Vor drei Jahren sank das überladene Flüchtlingsschiff Adriana vor der griechischen Küstenstadt Pylos. Mehr als 500 Passagiere starben, der Syrer Amir* überlebte – und kämpft heute von Tirol aus um Gerechtigkeit.

DATUM Ausgabe September 2025

Die Berge machen ihm Angst. Schroffe Felsen. Zerklüftete alpine Höhen. Die Einsamkeit setzt ihm zu. Jeder Videocall mit seiner Schwester reißt den gnädigen Schleier weg, der ihn vor seinen Erinnerungen schützt. An das Wasser. Die Kälte. Das Sinken. Sein Handy ist voller Bilder aus Griechenland. Man sieht darauf Männer, die überlebt haben. Weder Frauen. Noch Kinder.  Es dauert eine Weile, bis Amir* bereit ist zu erzählen.

Der 38-Jährige lebt in Tirol. Von den 21.409 syrischen Staatsangehörigen, die in Österreich 2023 Asyl beantragt haben, ist er einer. Es ist das Jahr, in dem 47 Seemeilen vor der Küstenstadt Pylos im südwestlichen Griechenland die gefährlich überladene ›Adriana‹ versank. Amir ist einer von 104 Überlebenden des Schiffsunglücks, das als größtes der jüngeren Geschichte des Mittelmeers Schlagzeilen machte. Ein Luftbild von dem blau gestrichenen, rostigen Fischkutter ging um die Welt. Schätzungsweise 750 Menschen drängten sich darauf. Die Aufnahme entstand wenige Stunden vor der Havarie. Amir war am Oberdeck eingezwängt, untertags der versengenden Sonne, nächtens eisigen Winden und Kälte ausgesetzt. Er ist ein winziger Punkt, einer unter vielen, die meisten von ihnen Syrer, Pakistani und Afghanen. 

Frauen und Kinder waren in den Lagerräumen unter Deck eingeschlossen. Sie hatten keine Chance zu entkommen. Rund 80 Leichen wurden geborgen, über 500 Passagiere der Adriana sanken, gemeinsam mit dem stählernen, 30 Meter langen Bootswrack, im Ionischen Meer zu Boden. Das sind die Zahlen hinter vielen persönlichen Geschichten, die mit den Menschen ertranken. Umso schwerer wiegt, was die Überlebenden erzählen. Sie sind Zeugen vor Gerichten und für die europäische Öffentlichkeit so etwas wie letzte Berichterstatter von der Brutalisierung an den Grenzen des Kontinents, von dort, wo die mediale Aufmerksamkeit oft nicht mehr hinreicht.

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