Kostbarer Dreck
Wir verlieren unsere wichtigste Ressource – den Boden auf Österreichs Äckern. Erst wenige Bauern kämpfen bewusst dagegen an.
Franz Brunner macht das nicht zum ersten Mal. Erst steigt er in seinen schwarzen Lederschuhen zwei Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen. Dann scheint alles gleichzeitig zu passieren: Er hebt in einer fließenden Bewegung 40 Zentimeter vom Boden ab, seine Füße landen auf der Oberkante des Spatens, seine Hände umfassen den Griff, sein Oberkörper im froschgrünen T-Shirt lehnt sich nach vorne. Der Spaten sinkt unter Franz Brunners Gewicht weich in die Erde. Dann steigt Brunner auf den Ackerboden. Mit einem Ruck am Griff des Spatens dreht er ein Stück Erde um. Mit zwei Fingern zieht er eine zierliche Hirsepflanze heraus und legt sie auf seine Handfläche. An ihren Wurzeln kleben Erdbrocken, so groß wie Kaffeebohnen. Seit Jahrzehnten führt der Landwirt diese Choreografie durch, manchmal mehrere Male am Tag, meist alleine. Heute stehen im Halbkreis um ihn 15 Landwirte, drei Frauen und zwölf Männer. Sie kritzeln Notizen in karierte Blöcke. Sie nehmen Erdbrocken in die Hand, saugen ihren Geruch ein, lassen sie zwischen Daumen und Zeigefinger zerbröseln. Sie alle sind an diesem Septembernachmittag in zwei Kleinbussen aus Bayern angereist, um zu lernen, was Franz Brunner hier richtig macht.
2,6 Millionen Hektar Fläche werden in Österreich landwirtschaftlich genutzt. Rund die Hälfte davon, immerhin 16 Prozent der Staatsfläche, sind Ackerland. Es ist Land, dessen Gesundheit untrennbar mit unserer verknüpft ist. Wir brauchen Ackererde zum Überleben. Sie filtert unser Trinkwasser, kann vor Hochwasserschäden schützen und co2 speichern. Nicht zuletzt ernährt sie unsere Nahrungspflanzen und damit jeden von uns. Und sie ist bedroht. Auf einem Fünftel der landwirtschaftlichen Fläche der eu erodiert schon heute mehr Erde, als wieder aufgebaut wird. Mehr als 60 Prozent der landwirtschaftlichen Böden der eu sind ungesund. Dürre- und Starkregenereignisse werden sich in den kommenden Jahrzehnten häufen und immer mehr fruchtbaren Oberboden abtragen. Wohin das für nachfolgende Generationen führen kann, beschreibt der us-amerikanische Geomorphologe David Montgomery in seinem Buch ›Dreck‹. Darin erzählt er eine Kulturgeschichte des Umgangs mit fruchtbarem Boden. Sein durch weltumspannende, historische Beispiele untermauertes Fazit: Jene Kulturen, die ihren Ackerboden abgetragen haben, gingen wenige Jahrzehnte danach unter. Könnte das auch mit Österreich passieren?
Ideale landwirtschaftliche Böden sollten sich zu etwa gleichen Teilen aus Poren und mineralischer Substanz zusammensetzen. Etwa ein bis drei Prozent entfällt auf organische Substanz, den Humus. Er besteht unter anderem aus abgestorbenen Feinwurzeln, toten Lebewesen und deren Abbauprodukten. Er ist Mikrokosmos und Lebensraum für Billionen von Organismen, die ihn ab- und wieder aufbauen. Als Faustregel gilt: Rund eine Tonne Humus pro Jahr und Hektar werden durch natürliche Prozesse erzeugt. Asseln, Bakterien, Wimperntierchen und Wurzelfüßer beziehen aus dem Humus Nährstoffe. Insekten, Spinnen und Tausendfüßer lassen Makroporen entstehen, in denen andere Organismen leben können. Die namhafteste Rolle beim Aufbau des Bodens spielt aber der Regenwurm. Schon Charles Darwin war von seiner Leistung beeindruckt. ›Man darf wohl bezweifeln, ob es noch viele andere Tiere gibt, welche eine so bedeutungsvolle Rolle in der Geschichte gespielt haben wie dieses niedere Geschöpf‹, schreibt der Naturforscher in seinem wenig beachteten Letztwerk ›Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Regenwürmer‹ im Jahr 1881.
Auch auf Franz Brunners Äckern tun Regenwürmer ihr Werk. Auf 76 Hektar baut Brunner Wintergetreide, Hirse, Soja, Raps, Kürbis und Kartoffeln an. Hier, genauer im 200-Einwohner-Dorf Groß Burgstall, steht sein Betrieb, von dem er sagt: ›Das ist ein stinknormaler Bauernhof.‹ Brunner übernahm ihn im Jahr 1987 von seinem Vater. Die Böden, über die er mit dem Traktor fuhr, waren damals noch mittel- bis dunkelbraun und zerfielen zwischen den Fingern. Heute leidet das Waldviertel an dürrebedingten Ernteausfällen. Wenn Franz Brunner mit dem Traktor zu seinen Feldern fährt, erinnert ihn die Farbe der Erde auf manchen davon eher an Wüstensand als an Waldboden. In der Ebene reiht sich Feld an Feld. Während die Sonnenblumen ihre Köpfe verschämt zu Boden neigen, steht der Mais noch stramm. Die Kürbisfelder sehen aus, als hätten Riesen Boccia gespielt. Das Bild dominieren allerdings hellbraune Quader.
Es sind abgeerntete Felder, auf denen die Zwischenfrüchte entweder noch nicht sprießen oder bis ins Frühjahr nicht mehr sprießen werden. Seit Jahrzehnten betreibt Franz Brunner hier Landwirtschaft. Keine Besonderheit im Bezirk Horn. In der Art, wie er es macht, ist er aber eine Ausnahme. Denn Brunner pflügt seit 28 Jahren nicht mehr, lässt seine Äcker auch einmal ruhen, setzt Kleegras und Untersaaten. Für ihn zählt nicht nur, wie viel Ertrag er macht. Franz Brunner bezeichnet sich selbst als ›Humusbauer‹. Als solcher will er den Boden auf seinen Äckern für nachkommende Generationen erhalten und aufbauen – als Lebensraum und Produktionsfläche. Und er ist überzeugt: ›Wir betreiben bis heute Bodenabbau. Wenn wir so weitermachen, war es das für die nächste Generation.‹ Graben wir deshalb tiefer und fragen: Wie steht es um den Boden auf Österreichs Äckern? Und was tun wir, um ihn für unsere Nachfahren gesund zu erhalten? ›Generell kann man sagen, dass wir in Österreich eine gute Humusversorgung haben‹, sagt Andreas Baumgarten. ›Es geht darum, diese und damit die Fruchtbarkeit und die Wasserhaltefähigkeit der Böden zu erhalten.‹
Baumgarten leitet die Abteilung für Bodengesundheit und Pflanzenernährung der Agentur für Ernährungssicherheit (ages). Die Daten, auf die er sich bezieht, stammen aus einer Zeitreihe der Jahre 1991 bis 2017 und weisen steigende Humuswerte aus. Die größte Bedrohung für den Boden sieht Baumgarten in der Bodenversiegelung. Denn sind Böden erst einmal unter Asphalt begraben, sind sie kein Lebensraum mehr, ernähren keine Pflanzen, speichern kein Wasser oder co2 mehr ein. Laut Umweltbundesamt wurden im vergangenen Jahr 4.200 Hektar verbaut, eine Fläche fast so groß wie Eisenstadt. Versiegelt werden fruchtbare Flächen, etwa die Adnetfelder in Salzburg, auf denen Lagerhallen entstehen sollen. 600 Hektar sollen allein für den geplanten Ausbau des Flughafens Wien-Schwechat verschwinden. Der Boden dort, die tiefgründige Schwarzerde, ist einer der fruchtbarsten in ganz Österreich und wird zu großen Teilen landwirtschaftlich genutzt.
Deshalb gibt es gegen die Versiegelung auch Widerstand: In Adnet ist eine Bürgerbewegung entstanden, die 19 Hektar Boden für kommende Generationen erhalten will. Aktivisten von ›System Change not Climate Change‹ haben sich mit Schwechater Bauern und Bürgerinitiativen zusammengetan. Sie verkaufen unter anderem ›Protestmehl‹, gemahlen aus dem Weizen, der gerade noch auf den Schwechater Feldern wächst. Auch Landwirte gehen in die Offensive. Rund hundert von ihnen protestierten beim övp-Parteitag gegen den Bau der Traisental-Schnellstraße S34, unter der rund hundert Hektar Boden verschwinden sollen. ›Das sind unsere besten Äcker‹, zitiert der Kurier eine lokale Bäuerin. Der Boden im Traisental könnte doch noch geschützt werden, gerade läuft eine Umweltprüfung. Aber auch, wenn die Versiegelung abgewendet ist, muss landwirtschaftlicher Boden in Zukunft weiteren Bedrohungen standhalten. Sie heißen: Starkregen, Wind und Dürre.
›Im Durchschnitt gehen auf Österreichs Äckern 5,8 Tonnen Erde pro Hektar durch Wassererosion verloren‹, erklärt Elmar Schmaltz. Er leitet die Abteilung Hydrologie kleiner Einzugsgebiete und Erosion des Bundesamtes für Wasserwirtschaft. Heftige Niederschläge, wie es sie in den kommenden Jahren immer mehr geben soll, werden landwirtschaftlichem Boden gefährlich. Schon ab zehn Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter wird Bodenerosion ausgelöst. Je größer Regentropfen sind und je stärker sie auftreffen, desto mehr Bodenpartikel sprengen sie aus. Das oberflächlich abfließende Wasser schwemmt die Partikel über den Acker, wobei sie die Bodenporen verstopfen. Weniger Wasser kann in den Boden eindringen. Der Anbau von Mais, Soja, Zuckerrüben oder Ölkürbissen verstärkt diesen Vorgang. Diese erosionsgefährdeten Kulturen lassen besonders lange Boden frei, der den Kräften des Wassers schutzlos ausgeliefert ist.
Die Elf ist für Elmar Schmaltz und seine Kollegen eine wichtige Zahl. Messen sie mehr als elf Tonnen pro Hektar und Jahr Bodenabtrag durch Wasser, läuten bei Erosionsforschern die Alarmglocken. In Österreich liegen 16 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen über diesem Wert und sind damit stark von Wassererosion gefährdet. Es sind die besonders produktiven Böden, etwa im Südosten der Steiermark oder im Bereich vom Inn- ins Weinviertel. Wohin Wassererosion führt, hat Elmar Schmaltz mit eigenen Augen gesehen. Auf Äckern unweit seines Büros im niederösterreichischen Petzenkirchen ging am 18. Juli diesen Jahres Starkregen nieder. Die Erlauf, ein Donau-Seitenarm, trat über die Ufer. Drohnenbilder zeigen schlammige Flüsse, die sich in Äcker graben und mitschwemmen, was unter sie kommt. Die Heftigkeit hat auch den Erosionsexperten überrascht. ›Bei einer einzigen Erosionsrinne wurden 150 Tonnen Boden abgetragen‹, erzählt er, ›das war gewaltig‹. In Zukunft, meint Schmaltz, werden wir solche Bilder häufiger zu sehen bekommen.
›In Zukunft darf man auch die Winderosion nicht unterschätzen‹, wendet Kerstin Michel, Bodenökologin am Bundesforschungszentrum für Wald, ein. Die Forschung weiß: Trockenheit infolge von Dürreperioden wird sich in Zukunft häufen. Das bewirkt, dass der Wind fruchtbare Böden wie die tiefgründige Schwarzerde leicht abtragen kann. Das passiert eher, wenn die Struktur der Bodenkrümel, etwa durch Pflügen, aufgelockert ist. Auf Äckern im Marchfeld, einer der landwirtschaftlich produktivsten Regionen, forscht Michel aktuell mit Kollegen an der ersten Studie zu Winderosion auf Ackerflächen in Österreich. Das vorläufige Fazit: ›Das Gebiet ist nicht so erosionsanfällig, wie wir angenommen haben.‹
Modellrechnungen ergaben: Bei einem Fünftel der Flächen kann der Wind mehr als fünf Tonnen pro Hektar und Jahr abtragen. Die Neubildungsrate wird bei ein bis 4,5 Tonnen pro Hektar und Jahr angenommen. Klimafolgen wie geringerer, aber punktuell heftigerer Niederschlag werden erst im nächsten Schritt eingerechnet. Wie sich Windgeschwindigkeiten in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden, lässt sich kaum prognostizieren, meint Kerstin Michel.
Gesichert ist: Die Temperaturen werden weiter steigen, Starkregen und Dürre sich häufen. Andreas Baumgarten von der ages hat sich mit Kollegen weiterer Organisationen – etwa dem Umweltbundesamt oder der Universität für Bodenkultur – angesehen, was das für die Produktivität unserer Böden heißt. Sie gingen von einem relativ extremen Szenario aus: eine Abnahme des Niederschlages von 20 Prozent und einem Temperaturanstieg von 3,5 Grad Celsius im Sommer. Das Fazit zeichnet ein düsteres Bild. Gerade die fruchtbarsten Regionen, der Donauraum, die Südoststeiermark, das Südburgenland und das Wald- und Mühlviertel, würden die Auswirkungen spüren. ›Vor allem der Osten wird vom Temperaturanstieg und der Häufigkeit der Niederschläge in Mitleidenschaft gezogen‹, so Baumgartner. ›Die Wasserhaltefähigkeit der Böden würde an ihre Grenzen stoßen.‹ Wenn nichts passiert, müsste Österreich spätestens im Jahr 2050 so essentielle Lebensmittel wie Weizen oder Kartoffeln importieren.
Wie muss Ackerboden sein, der den klimatischen Veränderungen, die uns bevorstehen, standhalten kann? Ganz vereinfacht könnte man sagen: Die Bodenkrümel müssen stabil zusammenhalten, sodass Regentropfen sie schwer auseinanderbrechen können. Er braucht Makroporen und Regenwurmgänge, die Wasser in den Boden ableiten. Und er benötigt eine Pflanzendecke, die ihn schützt. Die kann je nach Kultur von Zwischenfrüchten oder Untersaaten gebildet werden. Die Feinwurzeln der Pflanzen ernähren das Bodenleben, das den Humus aufbaut. Je mehr Humus ein Boden hat, desto besser halten wiederum die Bodenpartikel zusammen.
Resiliente landwirtschaftliche Böden zu erhalten oder aufzubauen, ist kompliziert und kostet Zeit und Geld. Letzteres erhalten Landwirte für gewisse Maßnahmen aus dem Österreichischen Programm für umweltgerechte Landwirtschaft (öpul). Etwa, wenn sie Schwarzbrache, also unbedeckte Flächen vermeiden. Oder für ›Mulch- und Direktsaat‹. Bei der Mulchsaat arbeitet der Landwirt gehäckselte Begrünungspflanzen, die er im vorherigen Sommer gesät hat, in den Boden ein. Bei der Direktsaat bearbeitet er den Boden noch weniger. Ab kommendem Jahr sollen auch begrünte Querdämme zwischen Kartoffeldämmen als Schutzmaßnahmen gegen Erosion gefördert werden. Das könnte Wassererosion um 50 Prozent reduzieren, hat Elmar Schmaltz mit Kollegen errechnet. Die Betonung liegt auf könnte. Denn leider nehmen bislang nur wenige Landwirte an den Maßnahmen teil. Ein Grund könnten die Finanzen sein: Preise für landwirtschaftliche Maschinen, die man für Mulch- und Direktsaat braucht, starten im oberen fünfstelligen Bereich. Lohnarbeiter und spezielle Maschinen sind oft Wochen im Voraus ausgebucht.
Dazu kommt: Fährt man mit schweren Maschinen über feuchte Äcker, kann man damit den Boden verdichten, er kann dann weniger Regen aufnehmen – eine Abwärtsspirale. Ergebnisse im Bodenaufbau sehen Landwirte zudem erst nach Jahren, der Gewinndruck ist gegenwärtig. Die Bauern müssen abwägen: Wie viel Zeit und Geld stecken sie in die heurige Ernte, wie viel in die Anpassung an Klimafolgen? Derzeit stehen sie alleine vor der schwierigen Frage: Ist die Ernährung heutiger Generationen mehr wert als die Ernährungssicherheit zukünftiger?
Franz Brunner ist Opa. Er hat zwei Enkelkinder, zwei Mädchen im Alter von einem und drei Jahren. Sie sind das, was sein Leben derzeit am meisten bereichert, sagt er. Im Jahr 2100, wenn er nicht mehr ist und die Mädchen 80 und 82 Jahre alt, sollen sie auch noch gesunde Kartoffeln aus gesunder Erde essen können. Darum setzt Franz Brunner heute Gras zwischen seine Kartoffelhäufungen, pflügt nicht mehr, pflanzt eine Mischung aus Ackerbohnen und Kleegras, die den Boden lockert und die Bodenorganismen ernährt. Manche Äcker lässt er auch einmal unter einer Grasschicht ruhen und pflanzt nichts an, damit sich die Erde erholen kann. Wie jenen, auf dem sich die Reisegruppe nun versammelt hat, Brunners Sorgenkind.
›Wenn man ehrlich ist, verstehen wir auch heute nicht viel vom Boden‹, meint Brunner. Das Gras auf diesem Feld, nur 20 Meter vom Hirseacker, wächst knöchelhoch und leuchtet in der Nachmittagssonne fast so grün wie sein T-Shirt. Brunner nimmt Anlauf, springt auf den Spaten, lehnt sich nach vorne, setzt sein gesamtes Gewicht ein. Sein Oberkörper steht im rechten Winkel zu seinen Beinen. 30 Sekunden dauert es diesmal, bis er eingesunken ist. Brunner hebelt einen Brocken aus. Er ist fest – verdichtet, wie man sagt. Gesunder Ackerboden riecht würzig wie Waldboden. Dieser hier riecht muffig. Als Brunner eine Ampferwurzel aus dem Brocken löst, klebt dunkle Erde wie Lehm an seinen Fingern. ›Was fehlt der Pflanze?‹, fragt er in die Runde. Die Antwort: Der Ampfer hat keine Feinwurzeln. Der Tonanteil ist sehr hoch, erklärt Brunner. Er weiß: Diesen Boden ertragreich zu machen, wird Zeit brauchen. Wie das funktionieren könnte, hat er in Jahrzehnten des Probierens gelernt. Denn Bodenschutz ist eine Wissenschaft für sich. Jeder Acker, jeder Hektar ist anders. Österreichische Landwirte fühlen sich bei diesem Thema oft alleinegelassen. Auf der Weiterbildungsdatenbank der Landwirtschaftskammer sind die Kurse zur Bodengesundheit spärlich gesät.
Darum hat Franz Brunner die ›Humusbewegung‹ mitgegründet. Mit weiteren, jungen Vereinigungen, etwa dem Verein ›Boden ist Leben‹ oder dem Humusaufbau-Projekt der Ökoregion Kaindorf, füllt sie eine Wissenslücke. Brunners Bewegung organisiert Stammtische im Wald-, Wein-, Mühl-, und Mostviertel, bei denen sich Landwirte einmal im Monat treffen und austauschen können, und hält Seminare ab. Weil man erst weiß, wie es einem Boden geht, wenn man an ihm riecht, fahren Humusbauern auch einmal zu Feierabend auf Felder von Kollegen und stechen den Boden um. Dass die Zeit für viele Landwirte drängt, zeigt der Zulauf. Im vergangenen Jahr hat die Bewegung über tausend Böden analysiert und Landwirte beraten. Franz Brunners Besucher aus Bayern sind sich an diesem Septembertag einig: Würden sie sich nicht vernetzen, fremde Erde inspizieren, Bücher lesen, Kurse besuchen, wüssten sie auch heute nicht, wie sie ihren Boden gesund erhalten können. Das größte Problem, so ist Brunner überzeugt, sind nicht Zeit oder der finanzielle Aufwand, sondern die Wissenslücke und das Image von Boden unter Landwirten und der Zivilgesellschaft.
Dieses Problems hat sich nun die eu-Kommission angenommen. Im Zuge der ›Mission for Soil Health and Food‹ wird bis zu einer Milliarde Euro locker gemacht, der Fokus liegt auf Wissenstransfer und Bewusstseinsbildung. In hundert ›Living Labs‹ in ganz Europa sollen Forscher und Landwirte Bodenschutzmaßnahmen interdisziplinär testen und beforschen. Höchste Zeit, meint Brunner, der fordert: ›Bodenschutz und Bodenaufbau müssen endlich Probleme werden, die die gesamte Gesellschaft beschäftigen.‹ Denn Boden sei eine Ressource, die man nicht weiter ausbeuten dürfe, sondern aktiv aufbauen müsse. Nicht für ihn, sondern für seine Enkeltöchter und alle ihre Zeitgenossen. •