Mein Datum : 5. November 1978
Die Archivarin Beatrix Sander blickt auf die Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des akw Zwentendorf zurück.
Ich trage den Schlüssel zu einem Kernkraftwerk in meiner Tasche. Nicht viele Leute können das behaupten. Ich schon. Zu verdanken habe ich das der Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf am 5. November 1978. Wäre sie für die Atomkraft ausgegangen, ich könnte nie dieses Lehrstück Demokratiegeschichte untersuchen und hätte meine Liebe für das Kraftwerk nicht entdeckt.
Dabei bin ich damit aufgewachsen. Vom Garten meiner Großeltern sehe ich direkt auf das akw. Bei uns hießen die vier Himmelsrichtungen deshalb Osten, Süden, Westen und ›Kraftwerk‹. Allgemein war das akw immer Thema in meiner Familie. Mein Onkel war Schlosser und hätte als Schichtführer dort arbeiten sollen. Er ist jahrelang in Deutschland und den usa ausgebildet worden. Im Kraftwerk hätten sie nur noch den Schalter umlegen müssen, und seine Arbeit hätte begonnen. Dazu ist es nie gekommen – und ich bin froh darüber.
Atomkraft ist ein Risiko, so sehe ich das, darum geht es mir aber nur zweitrangig. Auch wenn es merkwürdig klingt: Als Historikerin liebe ich dieses akw. Das trifft sich gut, denn wenn ich jeden Zettel hier archivieren möchte, muss ich fast mein gesamtes Berufsleben im Kernkraftwerk verbringen. Ein Raum beansprucht zwischen drei und zwölf Monate meiner Zeit.
In vielen herrscht Chaos. Zettel liegen am Boden verteilt, begraben unter einer zentimeterdicken Staubschicht. In Kaffeetassen klebt noch der Sud von damals. Die Mitarbeiter haben eines Tages einfach ihre Stifte fallen gelassen und sind gegangen.
Davor wollten sie nicht akzeptieren, dass das akw nie in Betrieb genommen werden würde. Erst nach der Konservierung 1985 mussten sie sich damit abfinden. Bis dahin haben sie jahrelang Zeitungsartikel ausgeschnitten, Radiointerviews aufgenommen und Mitteilungen vom Rechnungshof gesammelt. Materialien gegen Atomkraft haben sie in irgendwelche Laden gesteckt, alles ist feinsäuberlich in Akten geordnet.
Vor der Abstimmung haben Mitarbeiter sogar bei Nationalratsabgeordneten lobbyiert, Leserbriefe geschrieben und Parlamentsreden verbessert – vieles davon im Auftrag der Träger-Gesellschaft gkt. Danach haben sie weiter Kabelenden in Watte gepackt, täglich die Zahnräder geschmiert und auf die Inbetriebnahme gehofft. Übrigens: Endlager hatte man bis nach der Abstimmung keines gefunden. Darum hätte sich die Zukunft kümmern sollen.
In den Unterlagen schrieb man nur, dass man kurz vor einer Lösung stünde. In meinen Augen war das absurd und gegen den Volkswillen. Wäre ich nicht Archivarin hier, all das würde in der Geschichte untergehen. Deswegen ist es wichtig aufzuarbeiten, was dieses Kernkraftwerk uns nach der Abstimmung von 1978 hinterlassen hat – und dem widme ich auch gerne mein Berufsleben. •
Zur Person:
Beatrix Sander ist Archivarin bei der evn. Seit September 2020 arbeitet die studierte Historikerin neben ihrem Master die Geschichte des akw Zwentendorf auf und archiviert die wichtigsten Unterlagen und Daten.
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