Mein Datum: 12. September 2016
Der Journalist Moritz Moser über die Verschiebung der österreichischen Bundespräsidentenstichwahlwiederholung.
Die Bundespräsidentenwahl 2016 wird wohl allen im Gedächtnis bleiben. Nachdem niemand im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit errungen und Alexander Van der Bellen in der Stichwahl gegen Norbert Hofer knapp obsiegt hatte, hob der Verfassungsgerichtshof den zweiten Wahlgang auf. Alle hätten sich gewünscht, dass es damit erledigt gewesen wäre. Doch es kam der 12. September 2016, und die Neuwahl musste verschoben werden.
Der Reihe nach: Ich war damals für einige Monate der einzige Innenpolitikredakteur bei NZZ.at und hatte meine Wahlkarte für die Wahlwiederholung aus Gewohnheit früh bestellt. Daher erhielt ich sie am 2. September auch als einer der Ersten. Nach dem Öffnen des Überumschlags zeigte sich, dass das darin befindliche Wahlkuvert an einer Seite nicht verklebt war. Da mir im Arbeitsstress entgangen war, dass bei der ebenfalls anstehenden Wiederholung der Bezirksvertretungswahl in der Leopoldstadt bereits mehrere solche Fälle aufgetreten waren, nahm ich es mit Humor. Ich hatte ohnehin vor, mit der Wahlkarte in Präsenz zu wählen.
Dass ein offenes Kuvert die rechtliche Eigenschaft der Wahlkarte beeinflussen könnte, kam mir nicht sofort in den Sinn. Mit einem Foto auf Twitter und der halbhumoresken Botschaft ›Mein Wahlkartenkuvert ist schon geöffnet angekommen. Wo kann ich das beeinspruchen?‹ wäre es für mich erledigt gewesen. Tatsächlich brach die Hölle los.
Das Innenministerium wollte Fotos des Corpus Delicti und behauptete, der Bundesklebestreifen sei breiter als der in Wien, es müsse also ein Einzelfall sein. Das Ressort beharrte auch noch darauf, als bereits weitere defekte Kuverts aufgetaucht waren. Ein Wochenende lang schwitzte ich: ein Journalist mit der einzigen kaputten Wahlkarte? Das würde mir niemand glauben. Ich war wohl der einzige Österreicher, der sich am Montag über die weiteren Fälle freute. Darauf, dass die Wahl ausgerechnet an meinem Geburtstag verschoben wurde, hätte ich dennoch verzichten können. Mein Spießrutenlauf durch die Berichterstattung dauerte weiter an.
Einige Wochen später entdeckte ich einen Hinweis, dass bei Online-Wahlkartenanträgen die eingereichten Passnummern nicht überprüft wurden. Mit einer x-beliebigen Nummer konnte man auf im Melderegister gesperrte Wohnadressen zugreifen, wenn man den Wohnort und das Geburtsdatum einer Person kannte. Kollegen probierten es erfolgreich mit der Politprominenz aus. Vom Bundespräsidenten abwärts war jeder bloßgestellt.
Das Innenministerium hatte sich vor Veröffentlichung geweigert, die Seite offline zu nehmen. Der Gemeindebund ließ mir ausrichten, man werde mich klagen, sollte ich weiter behaupten, die Gemeinden würden ihre Daten an die Webseitenbetreiber weitergeben, was sie aber taten. Innenminister Wolfgang Sobotka verkündete, man werde gegen die verantwortlichen Journalisten ermitteln. Erittlungen wurden nie eingeleitet, geklagt wurde ich auch nicht, anstrengend war es trotzdem. •
Zur Person:
Moritz Moser ist Redakteur bei der Neuen Vorarlberger Tageszeitung. Seinen Lieblingsthemen Verfassung und Verwaltung widmet er aber auch einen Newsletter, einen Podcast – und immer wieder eine DATUM-Geschichte.
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