Noch rechter als die Tante

Marion Maréchal ist jung, unverbraucht und die Nichte von Marine Le Pen. Was plant die große Hoffnung der extremen Rechten Frankreichs ?

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Joel Saget/AFP/picturedesk.com
DATUM Ausgabe April 2020

Es gibt angenehmere Jahreszeiten als Ende Jänner, um durch Lyon zu spazieren. Während man an der Côte d’Azur seine Mittagspause bereits im Freien verbringen kann, hat es in der drittgrößten Stadt Frankreichs Temperaturen um den Nullpunkt, der Wind pfeift auch durch die Gassen von La Confluence, einem ehemaligen Industriestandort. Wo früher Frachter am Port Rambaud ihre Waren ablieferten, dominieren heute hohe Bürogebäude und Neubauten das Erscheinungsbild, das man je nach Ge­schmack modern oder gesichtslos nennen kann. An einem dieser Gebäude ist ein Logo angebracht – fünf schwarze Lettern, umrahmt von einem goldenen Kreis. Institut des Sciences Sociales, Économiques et Politiques, kurz ISSEP, steht da, eine Privatuniversität mit 160 Studenten. Das Besondere: Sie ist in Frankreich als Kaderschmiede der extremen Rechten bekannt.

Eintritt wird bei der ISSEP nur nach einer elektronischen Zugangskontrolle gewährt. Drinnen, an der Rezeption, wartet eine schlanke Frau mit blonden Haaren in Jeans und Blazer. Es ist Marion Maréchal, 30 Jahre alt, ehemalige Politikerin und Gründerin der Universität. Für den rechtsextremen Front National zog sie einst als jüngste Abgeordnete ins Parlament in Paris ein. Jetzt legt Maréchal eine politische Pause ein. Ihre Führung durch die Räumlichkeiten der ISSEP dauert nicht länger als fünf Minuten – ein Gang, zwei Lehrsäle, ein spärlich eingerichteter Aufenthaltsraum samt Toiletten. › Das ist unsere Bibliothek ‹, sagt Maréchal und zeigt auf drei Bücherregale, die in einem Gang stehen. Das Prunkstück der Universität ist ein modern ausgestattetes kleines TV-Studio, das den Studenten für Medientrainings zur Verfügung steht. Welches Ziel verfolgt Marion Maréchal mit der ISSEP?

Beobachter, wie der renommierte Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experte Jean-Yves Camus, identifizieren eine klare Strategie: › Sie möchte eine Elite junger Studenten ausbilden, die dann im privaten oder öffentlichen Sektor ihre nationalkonservativen Ideen in ihr berufliches Umfeld einbringen. ‹ Im Hinblick auf zukünftige politische Ambitionen › geht es darum, ein Netzwerk aufzubauen ‹, erläutert Camus. Und das könnte sie bald brauchen. Denn in Frankreich wird bereits darüber spekuliert, dass Maréchal mit einer eigenen Bewegung auf die politische Bühne zurückkehren könnte, um mittelfristig den Einzug in den Elysée-Palast anzuvisieren.

Marion Maréchal war einst die Zukunftshoffnung des rechtsextremen Front National (FN). Im Alter von 22 Jahren wurde sie die jüngste Abgeordnete in der jüngeren Geschichte Frankreichs. Zuvor hatte ausgerechnet ihr Großvater diesen Rekord gehalten: Der berüchtigte Jean-Marie Le Pen, heute 91 Jahre alt, war als 27-Jähriger ins Parlament eingezogen. Zur Zeit ihres parlamentarischen Debuts hörte Marion noch auf den Doppelnamen Maréchal-Le Pen, ein Verweis auf eine Familiendynastie, die so etwas wie die rechtsextreme französische Version der Kennedys ist. Jean-Marie Le Pen hatte den FN in den 1970er-Jahren aufgebaut und ihm über Jahrzehnte seinen Stempel aufgedrückt. Seine radikalen politischen Forderungen, verbunden mit rassistischen und antisemitischen Äußerungen, haben den politischen Diskurs in Frankreich weit nach rechts verschoben. Le Pen ist ein Mann, der Sätze wie › Ich glaube an die Ungleichheit der Rassen ‹ sagt, Gaskammern wiederholt als ein › Detail ‹ des Zweiten Weltkriegs verharmlost hat und dafür mehrmals zu hohen Geldstrafen verurteilt wurde.

Seit 2011 steht Jean-Maries Tochter Marine Le Pen der Partei vor. 2017 unterlag sie Emmanuel Macron in der Stichwahl um das Amt des französischen Präsidenten, mittlerweile hat sie die Partei in Rassemblement National (RN) umbenannt und sich – wohl vor allem aus wahltaktischen Motiven – von den offen rassis­tischen und antisemitischen Ausritten ihres Vaters distanziert, was 2015 sogar zu dessen Parteiausschluss führte. Marine ist Marions Tante, das Gesicht der extremen Rechten in Frankreich und bestens vernetzt mit Rechtspopulisten in ganz Europa, darunter auch der österreichischen FPÖ. Im Juni 2016, eine Woche vor dem Brexit-Referendum, rief sie an der Seite von Heinz-­Christian Strache in Wien einen › patriotischen Frühling ‹ aus. Öffentliche Gebete von Muslimen verglich sie mit der Besatzung Frankreichs durch Nazi-Deutschlands, dem Spiegel sagte sie einst im Interview: › Ich will diese EU zerstören. Sie ist ein großes antide­mo­kratisches Monster. ‹

So gesehen kommt Marion Maréchal ganz nach ihren Vorfahren. Ihre Positionen sind zum Teil noch dogmatischer, die Parolen noch schärfer als die ihrer Tante. Sie spricht gerne von einem großen › Austausch ‹, also der unter Rechtsextremisten beliebten Verschwörungstheorie, dass es einen geheimen Plan gebe, um die weiße Bevölkerung durch Muslime zu ersetzen. 2015 kam sie in einem Interview zu dem Schluss, › dass Muslime nicht den exakt gleichen Rang wie Christen haben können. ‹

Nach der Niederlage ihrer Tante 2017 entscheidet sich Maréchal, die aktive Politik zunächst zu verlassen. Offiziell, weil sie sich mehr um ihre kleine Tochter kümmern möchte, deren Geburt sie in der Vergangenheit als › patriotische Pflicht ‹ bezeichnet hat. Ihrer Popularität tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. In der Öffentlichkeit fällt sie fortan vor allem mit ihrem Aufruf nach einer großen Vereinigung des rechten Lagers auf. Dass Maréchal ihr weiteres berufliches Leben als Hochschuldirektorin verbringen wird, glauben die wenigsten.

Auch Steve Bannon, der frühere Chef des rechtsex­tremen Breitbart News Network und ehemalige Chefstratege von US-Präsident Donald Trump, prophezeite ihr eine große politische Zukunft. Kennengelernt haben sich die beiden im Februar 2018. Damals reichen Maréchal nicht einmal zehn Minuten, um mit einer Rede zu dem Gesprächsthema in den französischen Nachrichtensendungen und Talk-Shows zu werden. Als eine von nur zwei Europäern spricht sie auf der Conservative Political Action Conference (CPAC), einer der größten und wichtigsten Konferenzen der Republikaner, auf der auch Donald Trump und sein Vize-Präsident Mike Pence auftreten. Zu den Klängen von › Burn ‹ der britischen Popsängerin Ellie Goulding betritt sie die Bühne und macht sich im schwarzen Kostüm, mit weißem Oberteil und hohen Schuhen auf den Weg zum Podium. Die Nervosität und Anstrengung beim Versuch, auf Englisch eine Rede zu halten, ist ihr anzumerken. Maréchal breitet die Arme zu einer entschuldigenden Geste aus: › Ich hoffe, dass Amerikaner wirklich französischen Akzent mögen ‹, sagt sie mit süßlicher Stimme, gefolgt von einem leicht fahrigen Lachen. › Frankreich ist heute nicht mehr frei. Unsere Freiheit liegt in den Händen der Europäischen Union ‹, sagt sie und vergisst dabei nicht, vor wessen Anhängern sie gerade auftritt: › Ich möchte France First für das französische Volk. ‹ Sie zeichnet das Bild einer jungen französischen Generation, die von Gefühlen wie Schuld und Scham gehirngewaschen sei, anstatt stolz auf die kulturelle Tradition ihres Landes zu blicken. › Vive la France ‹, tönt es aus dem Publikum, diesmal mit amerikanischem Akzent. Maréchal huscht ein Lächeln über das Gesicht. Der Zwischenapplaus wird häufiger, die Rednerin selbstsicherer, die Botschaften bleiben scharf. › Frankreich ist im Begriff, von der ältesten Tochter der katholischen Kirche zur kleinen Nichte des Islams zu werden. ‹ Mit der Rede in Maryland kehrt Maréchal mit einem Schlag zurück in die Öffentlichkeit. Die französische Presse beginnt unverzüglich, über ein Comeback auf der politischen Bühne zu spekulieren.

Ihre Kindheit verbringt Marion Maréchal im Familienanwesen der Le Pens in Saint-Cloud, einem Banlieue westlich von Paris. Im Gegensatz zu den trost- und schmucklosen Hochhausbauten anderer Vororte, die oftmals als Symbol für den sozialen Verfall der stolzen Grande Nation herhalten müssen, gehören die Bewohner von Saint-Cloud zu den wohlhabendsten des Landes. In Maréchals Elternhaus befinden sich jahrelang Wahlkampfbüros des Front National, die Parteigranden ge­hen ein und aus. Familie und Politik – das ist bei den Le Pens keine getrennte Angelegenheit. Der Front National ist die Familie und umgekehrt. Wie in einer Dynastie wird Macht von Generation zu Generation weitergegeben. Bereits in jungen Jahren wird Maréchal damit konfrontiert, was es bedeutet, eine Le Pen zu sein. Die Familienpartei polarisiert. Sie kreiert Feindbilder, spaltet damit die Gesellschaft und wird nicht zuletzt auch selbst angefeindet. Maréchal wird den Zusatz Le Pen im Laufe ihrer Karriere an- und ablegen wie einen Hut, bei dem man sich nicht sicher ist, ob er in Mode oder veraltet ist. Deshalb fragt sich die französische Öffentlichkeit: Wenn sie in die Politik zurückkehrt, wird sie es mit dem Namen Le Pen tun? Oder wird sie ihre eigene Bewegung unter neuem Namen gründen und auf Konfrontation mit ihrer Tante gehen?

Maréchal ist noch keine drei Jahre alt, als sie zum ersten Mal die politische Bühne betritt. Im Jahr 1992 – in Frankreich finden Regionalwahlen statt – ist sie mit ihrem Großvater auf einem Wahlplakat abgebildet. Jean-Marie – Krawatte, Hornbrille, breit lächelnd – hält eine schüchtern dreinblickende Marion im weißen Spitzenkleid im Arm. Darüber der Slogan: › Sicherheit ist die erste Freiheit ‹. Das Bild wurde in Südfrankreich plakatiert. Es ist jener Teil des Landes, in dem Marion Jahre später, als erwachsene Frau, von zahlreichen FN-Sympathisanten gewählt werden wird.

2010 tritt Marion Maréchal schließlich auf Listenplatz zwei bei Regionalwahlen an. Damals ist sie gerade einmal 19 Jahre alt. Aus dieser Zeit kursiert ein Video im Netz, das Maréchal zutiefst unangenehm sein dürfte. Am Rande eines Wahlkampfauftrittes wird sie von einer Reporterin gefragt: › Was sind die Prioritäten dieser Kampagne? ‹ Anstatt darauf zu antworten, beginnt sie nervös zu lachen. Eine Mitarbeiterin eilt ihr zu Hilfe und ergreift das Wort. Maréchal schlägt die Hände vor das Gesicht und dreht sich, Tränen in den Augen, von der Kamera weg. › Ehrlich gesagt war sie zu Beginn miserabel ‹, erinnert sich ihr Biograf, der ehemalige Journalist der linksliberalen Zeitung Libération, Michel Henry.

Doch ihre Performance verbessert sich rasch. Bereits bei den Parlamentswahlen 2012 erringt Maréchal ihren größten politischen Triumph. Sie schafft etwas, das ihrer Tante und nunmehrigen Parteichefin Marine Le Pen in Nordfrankreich verwehrt bleibt: den Einzug ins Parlament durch den ersten Platz in ihrem Wahlkreis. Gewählt wird sie jedoch nicht in ihrem Heimat-Département nahe Paris, sondern im südfranzösischen Vau­cluse, wo der Front National seit jeher seine stärksten Wahlergebnisse erzielt. Das Mandat katapultiert sie in den Mittelpunkt der französischen wie auch internationalen Medien. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die islamophoben und ausländerfeindlichen Parolen von Maréchal aus dem Fernseher oder dem Radio in die Wohnzimmer der Franzosen dringen. Muslime können für sie nur Franzosen werden, wenn sie christlichen Lebensstil und Bräuche annehmen. Migranten der zweiten Generation möchte sie die Staatsbürgerschaft entziehen, wenn sie strafrechtlich auffallen.

Ihre Popularität steigt, sie wird Vizepräsidentin des FN. Innerhalb der Parteiführung mehren sich allerdings die Konflikte. Vor allem Florian Philippot, ein Vertrauter Marine Le Pens und ebenfalls Vize-Parteichef, entwickelt sich zu ihrem innerparteilichen ­Gegner. Und sowohl in wirtschafts- als auch gesellschaftspolitischen Aspekten unterscheiden sich ihre Standpunkte zunehmend von denen ihrer Tante. Während Marine Le Pen versucht, mit einer arbeitnehmerfreundlichen Politik um Geringverdiener zu werben, ist Maréchal strikt marktliberal. Die Tante stimmt zwar gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, misst der Thematik insgesamt jedoch keine große Bedeutung zu. Die Nichte steht dagegen bei Anti-LGBTQ-Demonstrationen in der ersten Reihe. Trotz alledem verwehrt sich Maréchal strikt gegen die Einordnung als rechtsextreme Politikerin: › Es ist falsch, weil der Begriff als Beleidigung verwendet wird, um Gegner zu disqualifizieren. Ich würde sagen, dass ich eher rechtsnationalistisch oder rechtskonservativ bin. Ich habe nichts von einer rechtsextremen Frau ‹, sagt sie.

Nachdem Marine Le Pen, in Folge eines desaströsen Auftritts in der Fernsehdebatte gegen Emmanuel Macron, das Duell um die französische Präsidentschaft im zweiten Wahlgang klar verliert, entscheidet sich Maréchal für den Absprung. Zu verfahren ist die innerparteiliche Situation, zu unterschiedlich sind die Vorstellungen über die zu­­künftige Ausrichtung des FN und zu groß die Frustration über die extrem beschränkten Einflussmöglichkeiten als Abgeordnete. Sie entscheidet sich, den Namenszusatz Le Pen wieder entfernen zu lassen und die ISSEP zu gründen, an der heute Fächer wie Geopolitik, Kommunikation und politische Ideengeschichte gelehrt werden. Den Kurs › Strategien einer Wahlkampagne ‹ leitet Maréchal, die Chefin, höchstpersönlich. › Wir haben auf jeden Fall eine konservative Vorgehensweise, aber ich möchte die Schule nicht als rechts oder links klassifizieren, weil wir keine Wahlbewegung sind ‹, sagt sie im Gespräch mit DATUM. Wer allerdings einen Blick auf die Namensliste des Universitätsrats wirft, der findet darin eine Reihe einschlägig bekannter Vertreter der rechten Szene. Darunter ist zum Beispiel Raheem Kassam, ein ehemaliger Breitbart-Journalist und Berater des Brexit-Agitators Nigel Farage.

Die Universität finanziere sich aus zwei Säulen, erklärt Maréchal: den jährlichen Beiträgen der Studierenden sowie Spenden von ausnahmslos französischen Unternehmen. Anfang Februar hat die ISSEP allerdings expandiert. Im Herbst soll in Madrid ein neuer Campus eröffnet werden: › Spanien leidet an denselben Problemen wie wir ‹, behauptet Maréchal und zählt auf, welche sie damit meint: Gender-Theorie, Neofeminismus, ideologische Gleichförmigkeit. › Jede Woche gibt es abgesagte Vorträge und Attacken von linksradikalen Gewerkschaften. Sie setzen Direktoren unter Druck, und in weiterer Folge werden von US-amerikanischen Universitäten Ideologien, wie die Gendertheorie, importiert. Das Problem des Ganzen ist, dass es den Pluralismus verhindert ‹, so klingt Maréchals politischer Spin. Politikwissenschaftler Camus weist darauf hin, dass der Einfluss der ISSEP bisher allerdings bescheiden ist: › Ihre Diplome werden noch immer nicht vom Staat anerkannt. ‹

An der sogenannten Pariser Elite lässt Maréchal kein gutes Haar, und die Kritik kommt nicht von ungefähr. Frankreich hat ein offenkundiges Elitenproblem. Politiker, Beamte und Intellektuelle werden nahezu inzestuös in den immer selben sogenannten Grandes Écoles reproduziert. Das, gepaart mit einer Pensionsreform, trieb zuletzt zehntausende Demonstranten auf die Straße. Der Front National heizte die Stimmung zusätzlich an, indem er gegen die herrschenden Eliten wetterte, um politisches Kapital aus dem Aufstand der Gelbwesten zu schlagen. Was die Rechten dabei gerne verschweigen: Der gesamte Le-Pen-Clan, Maréchal eingeschlossen, hat selbst an einer der besten Jus-Unis des Landes studiert, der Panthéon-Assas in Paris.

Wird Marion Maréchal im Falle eines Comebacks die eigene Tante vom Thron stoßen? › Ich werde immer die Konfrontation mit Marine ablehnen, weil sie Teil meiner Familie ist. Ich finde das politisch entsetzlich und es wäre verlorene Zeit ‹, antwortet sie. Was nicht heißt, dass sie keine Ambitionen hat: › Ich habe nie gesagt, dass ich nicht mehr in die Politik zurückkomme, tatsächlich weiß ich es nicht. Verschlossen bin ich der Idee aber nicht. ‹ Trotz ihrem Rücktritt ist sie nach wie vor bekannt und beliebt bei ihrer Wählerbasis. Maréchal kann sich zurücklehnen und dabei zusehen, wie sich Tante Marine ein weiteres Mal an Prä­sident Macron abarbeitet. Muss sie in der Stichwahl eine erneute Niederlage hinnehmen, steht ihre Nichte bereit.

Anfang Februar spricht Maréchal auf einer Tagung zum Thema › Nationalkonservatismus ‹ in Rom. Sie ist – neben dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem ehemaligen italienischen Innenminister und Lega-Nord-Chef Matteo Salvini – als Hauptrednerin geladen. Der Kontakt zu Salvini ist, wie so häufig bei den Le Pens, durch Familienbande zustande ge­­kommen. Maréchals Partner Vincenzo Sofo sitzt für die Lega Nord im EU-Parlament und gilt als Vertrauter Salvinis. Im Zuge der Rede wird klar: die ehemals nervöse und schüchterne Marion Maréchal gibt es nicht mehr. Die Hände am Pult ruhend, verschiebt sie selbstbewusst die herkömmliche Definition von Konservatismus weit nach rechts. Sie hetzt gegen den Islam und Zuwanderer, gegen eine Hegemonie von links und den › Gender-Wahn ‹. Am Ende ihrer Rede will Maréchal die Lösung für all diese vermeintlichen Probleme gefunden haben: eine Abkehr vom Multilateralismus, also die Ko­­operation und Zusammenarbeit von Staaten, sowie die Verständigung auf internationale Verträge und Verein­barungen. Es ist das Konzept, auf dem die Europäische Union aufbaut.

Um das vereeinte Europa zu schwächen, muss Marion Maréchal vor allem eines schaffen – die heute zersplitterte Rechte in Frankreich hinter sich zu vereinen. Gelingt ihr das, könnte sie zu einer realen Bedrohung für Emmanuel Macron werden. Sein Triumph hat nicht zuletzt ge­zeigt, dass die Franzosen in ihrer Enttäuschung über das etablierte Personal bereit sind, einer neuen Bewegung ihre Stimme zu geben. Maréchal als rechtsextremer Ma­­cron? Das ideologische und politische Rüstzeug hätte sie. Hinzu kommt, dass sie nach wie vor viel unverbrauchter und frischer als ihre Tante Marine Le Pen ist. Einen Antritt bei den kommenden Präsidentschaftswahlen 2022 hat Marion Maréchal allerdings bereits ausgeschlossen. Sie hat noch so viel Zeit. Und sie wird sie zu nutzen wissen. •