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Octavio bringt die Sonne ins Dorf

Die philippinische Regierung vernachlässigt die Infrastruktur kleiner Gemeinden. Eine indigene Siedlung hat nun selbst für die Energiewende gesorgt.

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Übersetzung & Adaption:
Katharina Brunner & Clara Porák
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Fotografie:
Kathleen Lei Limayo/350.org/Inquirer
DATUM Ausgabe Mai 2022

Manila, Philippinen – im Radio hört Octavio Pranada davon, wie man aus der Sonne Energie gewinnen kann. Es ist das Jahr 2014, als Pranada – Stammesführer damals wie heute – lernt, wie Sonnenkollektoren funktionieren. Gleichzeitig sieht er, wie seine ganze Nachbarschaft jede Nacht die mit Benzin betriebenen Lampen einschaltet. Doch 2014 nehmen die Dumagat die Zukunft ihrer Energieversorgung selbst in die Hand: Statt Benzin versorgt sie nun die Sonne mit ihrer Kraft. Auf der Straße Raon in Manila, der philippinischen Hauptstadt, kauft Pranada sich ein 1.000-Watt-Solarpanel. Damit beginnt die Energiewende in seiner kleinen Siedlung.

Die Geschichte des Dorfes Manggahan ist eine, die viele indigene Bevölkerungsgruppen der Erde erleben. Fernab von urbaner Energieversorgung müssen sie häufig zu umweltschädlichen Methoden greifen. Ihre Regierungen kümmern sich nicht um eine nachhaltige Energieversorgung. Für Umweltschützer ist diese Veränderung in der kleinen Siedlung bedeutend: Sie zeigt, wie Solarenergie das Leben radikal verändert und neben Sonnenkraft auch Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit mit sich bringt. 

Untertags sind die meisten Bewohner bei der Arbeit in den Bergen, erst abends widmen die Jungen sich den Uni-Aufgaben oder die Eltern den Hausaufgaben ihrer Kinder. Benzin-Lampen sind also die nächtlichen Begleiter in den Sitios, so nennen sich die kleinen Siedlungen der indigenen Gemeinden – ein Überbleibsel der spanischen Kolonialisierung im 16. Jahrhundert. Geht das Benzin in den Sitios aus, oder kann man es sich nicht leisten, bleibt es dunkel. 2014 wird das Jahr, in dem die Gemeinde sich unabhängig von Benzin macht. Nachdem Pranada die Radiosendung hört, macht er sich auf in die Stadt: Die Händler in der Raon-Straße erklären ihm alles – vom Aufbau der Dachinstallation bis zum Verwenden der tragbaren Generatoren. Für 6.000 Pesos kauft er sich das Solarpanel. Außerdem noch eine Batterie für 7.000 Pesos, insgesamt zahlt er rund 230 Euro. Damit kann er zehn Glühbirnen, ein tragbares Fernsehgerät und ein Radio mindestens drei Tage lang mit Strom versorgen, bevor er es wieder aufladen muss. Die Dumagat-Familien nennen Pranada dankbar den Bringer der Sonnenenergie für ihre Sitios. Immer mehr von ihnen kaufen Panele in Manila, dann spenden NGOs noch mehr dazu. Mittlerweile sind alle 150 Häuser in Manggahan auf Solarenergie umgestellt. 

Wie solche indigenen Gemeinden leben, hat Auswirkung auf uns alle, auch wenn sie nur fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Denn diese Menschen besitzen oder verwalten laut dem Report der Intergovernmental Science-Policy Platform on ­Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) mehr als ein Viertel der weltweiten Fläche. Circa 35 Prozent der Landflächen, die weltweit unter Naturschutz stehen und Artenvielfalt schützen, liegen auf indigenen Gebieten. 

Pranada, seine Gemeinde und die Flächen, auf denen sie lebt, sind also für Klimaschutz und den Erhalt der Biodiversität extrem wichtig. Menschen wie Pranada sind so etwas wie die Wächter über die Natur, sie erhalten die letzten Orte, an denen seltene Arten ungestört leben können. Auch hier auf den Philippinen. 24.000 Hektar am Tanay-Berghang gelten als Gebiet der Dumagat-Remontados. Eine Volkszählung von 2020 ergab, dass etwa 40.000 von ihnen in der Nähe des Flusses Agos leben. Sie fischen und betreiben Landwirtschaft, ein paar Wochen im Jahr ziehen sie im Wald umher. Die Gruppe lebt nur teilweise sesshaft. Wald, Fluss und Felder – ihre Leben sind verwoben mit der Natur. 

Trotzdem: Auch diese Menschen brauchen Energie. Die Nutzung von Lampen, die Benzin benötigen, einem fossilen Brennstoff, der mit seinen Kohlenstoffemissionen eine Hauptursache für die Klimakrise darstellt, ist schwer vereinbar mit den Werten der Dumagat. Sie vermeiden alles, was das Land selbst und damit ihre Bindung dazu zerstören könnte. ›Ich habe unsere Leute immer an diese Dinge erinnert, weil unser Stamm Mutter Natur liebt‹, sagt Pranada. Die ›Dumagat-Erfahrung‹ nennen Umweltschützer und Umweltschützerinnen als Beispiel dafür, wie auch ohne Regierungsinitiative oder kommerzielle Kosten-Nutzen-Analyse wichtige Schritte, weg von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, passieren können. 

Viele aus seiner Gemeinschaft hatten vor der Solarenergie gar keinen Strom, sagt Octavio Pranada, der als Stammesführer auch ›Papu‹ genannt wird. Aus dem Büro für erneuerbare Energie des Energieministeriums (DOE) der Philippinen heißt es, es sei schwierig, Energieversorgungsunternehmen dazu zu bringen, Gemeinden wie die von Pranada zu versorgen, ›weil sie relativ schlechte Überlebensfähigkeit und keine Rentabilität aufweisen‹. Seit Jahren seien die Bewohnerinnen und Bewohner also auf Benzinlampen und batteriebetriebene Taschenlampen angewiesen, erinnert sich auch Imelda Bandilla, 35. ›In windigen Nächten war es unmöglich, die Häuser zu beleuchten. Und Benzin ist teuer‹, sagt die Sitio-Bewohnerin.

Doch um eine Stromleitung hat sich weder eine Firma noch die Regierung gekümmert. Mehr noch: ›Der ursprüngliche Plan war, diese Gemeinden mit dem Bau des Kaliwa-Staudamms ohnehin zu überfluten‹, sagt Arturo Tahup vom Institute of Climate and Sustainable Cities (ICSC). Seit 2019 ist das große Kaliwa-Staudamm-Projekt geplant, das die philippinische Hauptstadt mit Wasser versorgen soll. Umgesetzt von der China Energy Engineering Corporation würde der Damm laut der Save Sierra Madre Network Alliance über 9.000 Hektar Land fluten, damit die Lebensräume der Dumagat gefährden. Arturo Tahup vom Institute of Climate and Sustainable Cities (ICSC) befürchtet: Wegen solcher Projekte könnten die Dumagat umgesiedelt werden und ihr Land und ihre Lebensgrundlage buchstäblich untergehen. Um die Bevölkerung in anderen Teilen des Landes mit Wasser oder anderen Rohstoffen zu versorgen, werden also die, die seit Generationen die Natur schützen, verdrängt. Ein Phänomen, das nicht nur auf den Philippinen zu beobachten ist. Nicht weit entfernt von Pranadas Dorf startete im Juni 2021 zwar ein Teil des Baus für das Kaliwa-Staudammprojekt, doch ist die tatsächliche Umsetzung noch nicht sicher. Derzeit wird verhandelt, der Sprecher des philippinischen Präsidenten versicherte zuletzt, dass die indigene Bevölkerung im Gebiet miteinbezogen werde. 

Dort wünschen sich viele Bewohnerinnen und Bewohner Strom, macht eine Umfrage von Octavio Pranada und seiner lokalen Regierung klar. Zwar haben die Leute Interesse, aber auch Angst vor den Kosten. Dennoch: Auf sein Drängen hin begannen seine Nachbarn, eigene Panele zu kaufen. ›Vorher waren unsere Pfade, die hinunter in die Ebene führten, nachts alle pechschwarz. Wir mussten in die Stadt fahren, um unsere Geräte aufzuladen. 50 Pesos für den Fahrpreis, 30 bis 40 für die Ladegebühr‹, erinnert sich Imelda Bandilla. 

Sitio-Bewohnerin Shirley Bello sagt, die Kosten für die Panele seien für viele in der Gemeinde zu hoch. Aber die Nachhaltigkeit wiegt für die 58-Jährige mehr: ›Wenn man einmal investiert und sie vor Schäden schützt, kann man die Panele jahrelang verwenden.‹ Ihr 50-Watt-Paneel und ihre 58-Volt-Batterie plus die Gebühr eines Gerätetechnikers kosteten sie 2016 etwa 10.000 ­Philippinische Pesos, rund 170 Euro. Aufgeladen mit Solarenergie erleuchten nun ihre tragbaren Lampen die früher dunklen Pfade. Dass ihr dafür das Benzin ausgehen könnte, darum muss sich Bandilla nun nicht mehr sorgen. 

Während in der Gemeinde nun fast alle mit Solarenergie versorgt sind, sieht es auf nationaler Ebene anders aus: Laut Daten des US-Department of Energy von 2019 stammen 67 Prozent des Energiemix des Landes immer noch aus Kohlekraftwerken, nur ein Drittel aus erneuerbaren Energiequellen wie Sonne, Wind und Wasser. Als Unterzeichner des Pariser Abkommens von 2015, der die Nationen verpflichtet, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, sind auch die Philippinen verpflichtet, die Nutzung erneuerbarer Energien zu fördern, sagt Kommissarin Rachel Herrera von der Climate Change Commission (CCC). Die Dumagat dienen als ›gutes Modell, um Unterstützung für andere netzferne Gemeinden in ländlichen Gebieten anzuregen, wie sie Zugang zu erneuerbarer und nachhaltiger Energie erhalten und gleichzeitig dazu beitragen, die Elektrifizierungsziele der Regierung zu verbessern‹, sagt sie.

Die Sonnenenergie veränderte aber noch mehr für die Dumagat als nur das Licht in ihren Häusern: Die Geschichte der Dumagat verbreitete sich, und so kamen bald Spenden von NGOs und Organisationen an. Rodel Rotaquio zum Beispiel erhielt von der katholischen Organisation Regina Regis ein 25-Watt-Panel, genug für eine Glühbirne und ein Soundsystem. ›Endlich haben wir die Gaslampen abgeschafft, die in unserem mit Nipa (Palmenblättern) getäfelten Haus eine Brandgefahr darstellten‹, sagt er. Im Homeschooling wurde die Schule zur gemeinschaftlichen Ladestation für Tablets und Smartphones und erhielt 2019 von der Privatorganisation Jeepney Club Solarmodule. Die Lehrerschaft nutzt die 1.000-Watt-Leistung des Systems seitdem für ihre Laptops, Ventilatoren und Radios. ›Solarenergie ist für uns jetzt noch wichtiger geworden, seit die Kinder zu Hause lernen müssen‹, sagt Amuin, der Lehrer. 

Solarenergie gibt den Dumagat auch eine Widerstandsfähigkeit, die für von Klimakatastrophen bedrohte Gemeinschaften besonders wichtig ist. Ihre Zukunft ist unsicher: Neben Katastrophen, die sie von der Stadt und damit der Versorgung mit Benzin abschneiden könnten, bedrohen auch die Entwaldung in der Sierra Madre und der bevorstehende Bau des Kaliwa-Staudamms in General Nakar, Quezon, die Dumagat-Lebensräume. ›Wir, die Ältesten, geben zu, dass uns die Voraussicht fehlte und wir die Berge für selbstverständlich hielten. Wir dachten nicht, dass der Tag kommen würde, an dem sie in Gefahr geraten‹, erinnert sich Octavio Pranada. Von nun an wollen sie vorausplanen, ›damit die nächsten Generationen diese Probleme nicht erben.‹ •