Referendum über die Realität

Zu Beginn des Wahljahres erscheint es realistisch, dass die Amerikaner Donald Trump im Amt bestätigen. Oder kommt es wieder ganz anders ?

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Illustration:
Nicola Ferrarese
DATUM Ausgabe März 2020

Beinahe wäre alles ganz anders gekommen. In Pennsylvania, Michigan und Wisconsin – mit deren insgesamt 46 Wahlmännerstimmen Hillary Clinton heute US-Präsidentin wäre – lag die Demokratin in Summe um weniger als 80.000 Stimmen hinter Donald Trump. Bei mehr als 13 Millionen dort abgegebenen Stimmen eine wahrlich hauchdünne Niederlage. Welche Geschichten würden wir uns wohl heute über die USA erzählen, wenn es in den Meinungsumfragen, auf denen die Strategie von Clintons Kampagnenteams beruhte, keine blinden Flecken gegeben hätte? Wenn die Erzählung von Clintons ›Feuermauer ‹, jenen Bundesstaaten, durch die sie als nahezu unschlagbar galt, etwas kritischer hinterfragt worden wäre? Und wenn die Demokraten daher den oben genannten Bundesstaaten – die Teil jener › Blue Wall ‹ waren, in der von 1992 bis 2012 zwei Jahrzehnte lang ausschließlich demokratische Präsidentschaftskandidaten gewonnen hatten – ein wenig mehr Aufmerksamkeit, Zeit und Geld gewidmet hätten?

Die Geschichte wäre so gut gewesen. Aber auch zu einfach. Dass nach dem ersten Afroamerikaner nun die erste Frau im Oval Office sitzt, so hätten wir es uns erzählt, wäre vor 20 Jahren noch undenkbar ge­­wesen und ist ein klares Zeichen für den Wandel der USA. Bei sechs der sieben letzten Präsidentschaftswahlen konnten die Republikaner keine Stimmenmehrheit mehr erzielen, weil die nicht-weißen Minderheiten, bei denen die Demokraten traditionell besser abschneiden als die Republikaner, immer bedeutender werden und die Jungen weniger religiös sind als früher. Das Land ist daher insgesamt liberaler geworden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass inzwischen Lesben in Louisiana heiraten und College­studenten in Colorado kiffen können. Warum die Republikaner angesichts dessen ausgerechnet einen vulgären Rechtspopulisten wie Donald Trump zu ihrem Kandidaten gemacht hatten? Schwer erklärbar, muss aber wohl ihrer Zerrissenheit zugeschrieben werden. Man könnte das als letztes Aufbäumen von konservativen Reaktionären betrachten, die einfach nicht bereit waren, sich den neuen Reali­täten anzupassen – es wäre nicht die erste politische Gruppierung, die auf Bedeutungsverlust mit Radikalisierung reagierte. Aber zum Glück ist ein selbstverliebter Bully wie Donald Trump in einem Land wie den USA, das mit seinen über 200 Jahren an demokratischer Tradition eine der ältesten ununterbrochen bestehenden De­­mo­­kratien der Welt ist, einfach nicht mehrheitsfähig. Ja, so hätten wir es uns erzählt.

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