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›Religion kann nicht nicht politisch sein‹

Wie mir die Philosophin Lisz Hirn einmal Trost gespendet hat

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Fotografie:
Nikolai Friedrich
DATUM Ausgabe Mai 2019

Lisz Hirn sitzt bereits im Café Z in Rudolfsheim-Fünfhaus und wartet auf mich. Es ist ihr Stammcafé, ein freundliches, originelles Lokal mit bunt gemischtem Publikum – hier schreibt sie, liest sie, denkt sie. Ich liebe das Arbeiten im öffentlichen Raum. Unterwegs oder unter Leuten ließen sich Denkfallen leichter vermeiden. Hirn ist keine Denkerin im Elfenbeinturm, sondern eine, die rausgeht zu Menschen, in die Jugend- und Erwachsenenbildung, und versucht, mit angewandten philosophischen Konzepten einen Unterschied zu machen. Dort, wo sie am liebsten arbeitet, zählt ein akademischer Titel genau gar nichts. Da geht es schon manchmal recht rau zu.

Als Obfrau des Vereins für praxisnahe Philosophie arbeitet Hirn viel mit Jugendlichen aus stark religiös geprägten familiärem Hintergrund, sehr oft geht es dabei um Gleichberechtigung der Geschlechter, sehr oft ist diese Arbeit schwierig und zäh. Hirn erzählt von einem zwölfjährigen Mädchen aus sehr schwierigen sozialen Verhältnissen. Bei einem Sozialcamp sei sie die ersten Tage absolut unnahbar und isoliert gewesen. Nach vier Tagen habe sie begonnen, sich an Spielen zu beteiligen, Kontakt und sogar Freunde gefunden, sei aufgeblüht. Dann, wenige Tage vor der Abreise, fiel sie plötzlich in ihre alten Verhaltensmuster zurück. Es waren nämlich auch ihre Überlebensmuster. Was Hirn irgendwie erschreckte, war die Klarheit, mit der das Mädchen das auch ausdrücken konnte: ›Wenn ich wieder zuhause bin, hilft mir das hier alles nichts …‹ Solche Momente frustrieren Hirn, dennoch gelingt es ihr, auf die kleinen Momente der Erfolge, die kleinen Veränderungen zu schauen.

Religion ist in ihrer praktischen Arbeit ein Riesenthema. Da hilft es mir, dass ich als junger Mensch sehr religiös war – gar nicht von meinen Eltern geprägt, das hat sich bei mir von selbst entfaltet. Ich weiß, was es heißt Zuflucht in einer Religion zu finden. Der Katholizismus war es bei ihr, mit zunehmender Beschäftigung mit philosophischen Fragestellungen hat sich das verabschiedet. Wir sprechen über die Frage, wie politisch oder privat Religion sein kann. Aber nur kurz, denn für Hirn gibt es da nicht viel zu diskutieren: Religion kann gar nicht nicht politisch sein. Sie will mit Geboten und Verboten das Leben der Menschen beeinflussen, das ist nun einmal zutiefst politisch. Wir reden noch ein wenig über den Katholizismus und Hirn formuliert seinen Reiz. Das Konzept der Sünde und der Beichte macht diese Religion für mich irgendwie sympathisch – man kann das Leben zumindest zeitweise ­feiern, man muss halt nachher zur Beichte gehen. 

Mich interessiert ihr Blick auf die Klimakrise und unsere offensichtliche Unfähigkeit, ihr gegenzusteuern. Sie zitiert – ich glaube, das muss zumindest einmal im Gespräch mit einer Philosophin passieren – Friedrich Nietzsche wonach den Menschen stets ihre eigene Faulheit und Feigheit im Wege stehen würden. Aber wenn es doch so dringend ist, wo bleibt die radikale Veränderung? Menschen verändern sich nicht radikal. Sie hören auch nicht angesichts schrecklicher Filme aus dem Schlachthaus damit auf, Fleisch zu essen. Sehr wohl aber würden sie ihren Fleischkonsum graduell verändern, Fleisch mit gewissen Produk­tionsarten vermeiden. Wir dürfen einfach nicht zu hohe Erwartungen an Menschen haben. Es hilft, solche Fragen mit einem realistischen Menschenbild zu behandeln, dann ist man weniger enttäuscht. Auch ein Trost, irgendwie.  •

 

 

 

Lisz Hirn, Jahrgang 1984, studierte Gesang und Philosophie in Graz, Wien, Paris und Kathmandu. Sie ist Obfrau des Vereins für praxisnahe Philosophie, zuletzt erschien ihr Buch ›Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist.‹ im Molden Verlag.

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