Schöne heile Gegenwelt
Wie Österreichs Politik aussehen könnte, wenn Anstand eine Kategorie wäre.
Einen aufrichtigen Kerl‹. Das war vor mehr als zehn Jahren die knappe Antwort eines Vorarlbergers bei einer Diskussion über den deplorablen Zustand der österreichischen Politik auf die Frage: ›Welchen Politikertyp wünschen Sie sich denn?‹
Gut, Kerl! Soll sein. Eine weibliche Form von Kerl gibt es nicht. Nicht seinerzeit und schon gar nicht in Vorarlberg.
Wenn der politisch Interessierte von damals heute gen Westen schaut, dann sieht er alle seine Wünsche und Hoffnungen in den letzten Wochen zerstört. Einen ›aufrichtigen‹ Typen wollte er, also einen gradlinigen, einen korrekten, einen wahrhaften, einen zuverlässigen, einen vertrauenswürdigen. Wie würde die kleine österreichische Politik-Welt nach den Iden des März 2023 aussehen, hätte er bekommen, was er sich ersehnt hat?
In Niederösterreich gibt es jetzt einen Landeshauptmann Stephan Pernkopf. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat aus Selbstachtung und Aufrichtigkeit den Pakt mit der radikalen FPÖ eines Udo Landbauer nicht unterschrieben und die Verantwortung an ihren Vize Pernkopf übertragen. Das hat sich der Bauernbund der ÖVP ohnehin gewünscht. Sie lässt wissen: Der aufrechte Gang und die Unterwerfung unter die Forderungen der FPÖ sind nicht vereinbar. Ihr Parteifreund Anton Erber hat erfahren, dass es in der Politik immer eine Alternative gibt, sofern Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit ein höherer Wert sind als Schönreden und Lügen.
Mikl-Leitner ist mit erhobenem Haupt von ihrer Position zurückgetreten und gibt der Jugend ein eindruckvolles Beispiel für Haltung und Prinzipien in der Politik. Sie nimmt sich jetzt Zeit zu überlegen, ob sie den Respekt, den sie sich dadurch verdient, in einer Führungsrolle in der Bundespartei verwerten kann. Eine Spitzenkandidatur bei der nächsten Nationalratswahl statt ihres schwammig agierenden Parteifreundes Karl Nehammer muss sie nicht ausschließen.
Wären Offenheit und Ehrlichkeit eine politische Kategorie in Österreich, würde die Welt auf Bundesebene in der SPÖ so aussehen: Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil ist zur Einsicht gekommen, dass seine Forderung, die Mitglieder mögen das Machtspiel zwischen ihm und Pamela Rendi-Wagner entscheiden, seiner Unkenntnis der Statutenlage geschuldet war; dass er die Reaktion in der Partei, die Situation insgesamt, falsch eingeschätzt und die Konsequenzen unterschätzt hat. Doskozil zieht sich auf den ›normalen‹ Ablauf einer Führungsentscheidung zurück und stellt sich bei einem außerordentlichen Parteitag einer Kampfabstimmung – und wenn notwendig einer Stichwahl. Er unterlässt ab sofort alle Versuche, die amtierende Parteichefin per geheimen Intrigen zu schwächen.
In der Bundesregierung gestehen ÖVP und Grüne sich und der Öffentlichkeit offen ein, dass die Regelung bei der sogenannten Mietpreisbremse eine schlechte Mogelpackung ist; zur Inflationsbekämpfung nichts beiträgt und mit Zuschüssen von 200 Euro pro Jahr bei einer Mietensteigerung von 700 Euro und mehr eine Verhöhnung der Bedürftigen ist. Sie stoppen die entsprechenden Gesetze und gehen zurück zum Ausgangspunkt der Verhandlungen. Sie verzichten darauf, dem Koalitionspartner oder der Klientel anderer Parteien zu schaden.
In allen drei Beispielen haben sich die Verantwortlichen bekanntlich anders entschieden. Zu ihrem und unser aller Schaden. •
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