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Stadt der Russenschüsseln

Seit seiner Invasion der Ukraine musste Russland seine Spionage-Tätigkeit im Großteil Europas zurückfahren, weil Techniker und Spione ausgewiesen wurden. Nicht so in Österreich, wie unser Autor in minutiöser Recherche nachweisen konnte: Moskau hat Wien zum Zentrum seiner Satellitenspionage ausgebaut.

DATUM Ausgabe Oktober 2023

Alles begann mit einem morgendlichen Alarm bei Betreibern von Windparks in der Nordsee. Bei der deutschen Enercon und anderen liefen tausende Anlagen im Automatikmodus, waren aber nicht mehr erreichbar. Wie sich herausstellte, waren bei ihnen allen die VSAT-Terminals defekt. Über solche Terminals werden nicht nur Windparks, sondern auch Flugzeuge, Schiffe oder Bohrplattformen mit Datenverbindungen via Satellit versorgt. Auch bei internationalen Hilfsorganisationen, den Vereinten Nationen und allen nationalen Streitkräften gehören VSAT-Terminals zur Standardausrüstung. Die Ausfallserie hatte am 24. Februar 2022 um fünf Uhr Früh begonnen, zeitgleich mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Deren Armee hatte zu Kriegsbeginn nicht nur mit den russischen Invasionstruppen zu kämpfen, sondern auch mit einem massiven eigenen Kommunikationsproblem. Die Datenverbindungen zur Front waren großteils gekappt, denn auch dort funktionierten die VSAT-Terminals nicht mehr.  

Bald stellten IT-Sicherheitsfirmen und der Satellitenbetreiber Viasat fest, dass mehr als 30.000 VSAT-Terminals durch eine Schadsoftware lahmgelegt waren, die über ein Rechenzentrum von Viasat verbreitet worden war, das die Terminals steuert. Die Ausfälle in den deutschen Windparks waren Kollateralschäden: Der Angriff hatte auf die Gefechtsfeldzentralen der ukrainischen Armee gezielt. Aber woher kannten die Angreifer die Architektur dieses Netzes so genau, das den Datensatelliten KA-SAT (9° Ost) über acht Bodenstationen von Viasat in Europa mit dem Internet verbindet? Die Datengrundlage für diesen präzise durchgeführten Schlag hatten sie über ein Netz von Satellitenspionagestationen zusammengetragen, die sich auf den Dächern der russischen Botschaften und Konsulate quer durch Europa befinden. Und wo befindet sich die weitaus größte und wichtigste dieser Stationen, die den Datenverkehr über westliche Satelliten ausspionieren? Richtig, in Wien.

Die Indizien dafür sind fotografischer Natur: Auf dem zentralen, kreisrunden Gebäude des russischen Botschaftskomplexes bei den Vereinten Nationen in der Erzherzog-Karl-Straße 182 im 22. Wiener Gemeindebezirk sind insgesamt etwa zwölf Schüsseln zu erkennen, die auf verschiedene Satelliten ausgerichtet sind. Die vier größten dieser Sat-Dishes haben einen Durchmesser von rund vier Metern, sie sind alle nur mit Empfangsmodulen ausgestattet. Womit bereits klar ist, dass es sich bei dieser Anlage nicht um ein Sat-Kommunikationssystem der Botschaft handeln kann. Eine dieser vier Schüsseln ist mit einem motorisierten Getriebe (›skew angle‹) bestückt, mit dem sich der Winkel des Empfangsmoduls an der Schüssel variieren lässt. Über diesen Spiegel können auch Datenströme von Satelliten abgezapft werden, die auf eine ganz andere Region in Europa – etwa auf den Raum Kiew – ausgerichtet sind. Über die Antennen des angegriffenen Datensatelliten KA-SAT 9A lassen sich direkte Verbindungen zwischen beliebigen Regionen in Europa und Nordafrika schalten, in denen die Signale besonders stark und daher einfach zu empfangen sind. In diesen bevorzugt ausgeleuchteten Regionen kommen die VSAT-Terminals am Boden dadurch mit geringen Sendeleistungen und relativ kleinen Schüsseln aus. Solche Services werden praktisch nur von Firmen und institutionellen Kunden genützt, auch Mobilfunkbetreiber in nordafrikanischen Flächenstaaten transportieren große Datenmengen aus regionalen Rechenzentren in ihre Zentralen via Satellit. All diese Daten sind für sämtliche Militärgeheimdienste der Welt naturgemäß von großem Interesse. Die eigenen Botschaften als Träger für Sat-Spionageantennen instrumentalisiert allerdings nur die Russische Föderation.

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