Tod einer Siedlung
Mehr als ein Jahrzehnt lang wurden die Mieter der Siedlung Wienerfeld West mit falschen Versprechen und Ankündigungen hingehalten. Doch ihr Protest war vergeblich: Demnächst werden alle Häuser abgerissen.
Lange haben sie sich nicht gesehen. Sicher ein paar Jahre. Jetzt steigt Renate aus ihrem Auto und sieht Erich vor seiner Haustür stehen. ›Du bist also wirklich noch da?‹ – ›Natürlich. So schnell bekommen die mich da nicht raus.‹
Renate Klement, 62, Unternehmensberaterin, fünffache Mutter, zog schon vor ein paar Jahren weg aus der Siedlung ›Wienerfeld West‹ am südlichen Rand des Wiener Arbeiterbezirks Favoriten. Sie wollte das nicht, im Gegenteil: Jahrelang kämpfte sie dafür, dass die Gemeinde Wien die desolaten Häuser endlich sanierte. Sie sammelte Unterschriften, schrieb Petitionen, mobilisierte Medien und die Politik. Aber irgendwann, sagt Klement, ›habe ich aufgeben müssen‹.
Erich Pawelka ist in der Siedlung geblieben. Obwohl er die verwüsteten Gärten und die Sperrholzplatten vor Fenstern und Türen der Nachbarhäuser schon ›ziemlich gruselig‹ findet. Auch kann er den Nachbarn beim Auszug aus ihren Wohnungen zuschauen. ›Die Ilona‹, sagt er zu Renate Klement, sei schon im Pensionistenheim. Seine Nachbarin im ersten Stock warte noch auf die Ersatzwohnung: ›Wenn sie geht, sind meine Frau und ich allein im Haus.‹
Im engen Stiegenhaus vor Pawelkas Wohnung hängt eine Information von ›Wiener Wohnen‹, der für Gemeindewohnungen zuständigen Magistratsabteilung. Aufgrund von ›Vorfällen‹ nach den Absiedlungen müsse man leere Stiegenhäuser ›abplanken‹ und leere Gartenhütten abreißen, wird informiert: ›Damit sich dort keine unbefugten Personen aufhalten können.‹ Daneben hängt ein Werbeplakat für die Klimaoffensive der Stadt Wien. Auf dem Plakat erklärt Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál, wie wichtig es ihr sei, ›in die Wiener*innen zu investieren‹.
In die Häuser von Wienerfeld West aber wird nichts mehr investiert. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte lässt die Gemeinde Wien eine ganze Siedlung abreißen. Insgesamt 25 Häuser in drei Straßenzügen. Jedes Haus hat zwischen acht und zwölf Wohnungen. Jede Wohnung hat einen eigenen Garten. Die Neubauten sollen zwar den alten Grundriss der Siedlung aufnehmen, aber um ein Stockwerk höher und besonders energieeffizient werden. Statt heute etwa 150 soll Wienerfeld West dann 300 Wohnungen zählen. Der Grünraum soll bleiben. Aber die eigenen Gärten für jede Wohnung werden dann Vergangenheit sein. Wie viel der geplante Neubau der Siedlung kosten wird, ist noch nicht klar. Wiener Wohnen antwortet auf die Frage danach, dass zur Zeit ›die Detailplanung‹ laufe. Erst wenn die abgeschlossen sei, könne man die ›zu erwartenden Kosten konkret beziffern‹.
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