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›Vertuschung ist heute nicht mehr möglich‹

Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic spricht über Missbrauch in der Kirche, den Umgang mit Tätern und ›flotte Detschn‹ für ihre Söhne.

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Fotografie:
Florian Rainer
DATUM Ausgabe April 2019

Donnerstag, 21. März. Waltraud Klasnic erwartet uns in einem schmucklosen Besprechungsraum im Ersten Wiener Gemeindebezirk. Es ist der Sitz der ›Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft‹. Seit neun Jahren koordiniert sie von hier aus den Umgang mit den tausenden Opfern des kirchlichen Missbrauchsskandals. Frau Klasnic ist eine freundliche, eine verbindliche Person, die in den vergangenen Jahren viel erfahren hat über jene kirchlichen und gesellschaftlichen Strukturen, die die monströsen Missbrauchsfälle ermöglicht haben. 

Im Februar war ich bei einer Taufe. Es war sehr klassisch, da war der Pfarrer, da waren das Taufkind und viele andere Kinder. Sie sind in der Kirche herumgelaufen. Und als ich den Pfarrer so sah mit den Kindern, da dachte ich nicht an Gott oder den Heiligen Geist, sondern an Missbrauch, an kirchlichen Missbrauch. Können Sie das nachvollziehen?

Ich kann das sehr wohl nachvollziehen. In den vergangenen neun Jahren waren wir oft zu Besuch an Orten, wo besonders viele Fälle gewesen sind. Mir passiert es selbst, dass ich nachdenke, wenn ich Ministranten sehe. Ich habe sehr, sehr viele Gespräche mit Opfern geführt, und aus dem Grund weiß ich, wie die Kinder das empfunden haben, was sie in der Erinnerung haben, was sie erzählt haben. Und wenn man selbst Kinder und Enkelkinder hat, dann denkt man sich automatisch hinein. 

Pfarrer, Kind, Missbrauch. Lässt sich dieser Gedankenzusammenhang je wieder auflösen?

Dass es Missbrauch und Gewalt gibt, das ist weltweit. Dass es Missbrauch in der Kirche gibt, ist besonders traurig, denn dort erwartet man es nicht. Aber die selbe Situation haben Sie in den Heimen und in vielen Bereichen des täglichen Lebens auch. 80 Prozent passieren in der Familie, nur wissen tun wir es nicht. Eine Dame hat mir erzählt, sie weiß nicht, ob sie ihr Kind ministrieren lassen soll. Und ich habe gesagt: Ich bin davon überzeugt, dass Sie das ruhig können. Weil wir haben einen anderen Weg in Österreich. Da gibt es seit neun Jahren eine Opferschutzkommission, da gibt es eine Anlaufstelle, da gibt es seit 1995 Ombudsstellen, da gibt es jetzt Diözesankommissionen. Das finden Sie in dieser Form auf der ganzen Welt nicht. 

Sie selbst haben drei Kinder, fünf Enkelkinder. Haben die ministriert?

Drei meiner Enkelkinder haben ministriert. Und meine Buben eigentlich auch. Aber das war zu einer anderen Zeit. Meine Enkelkinder sind inzwischen auch schon erwachsen. Das muss ich jetzt dazusagen. Da hat es nichts gegeben.

Haben Sie sie danach gefragt, als der Missbrauchs­skandal ans Licht kam?

Nein, nein. Aber mein Sohn hat mich einmal gefragt: Wenn mich ein Journalist fragen würde, ob er je eine Ohrfeige gekriegt hat, was ich antworten würde. Ich würde antworten, dass sie ihn fragen sollen, ob es ihm geschadet hat. Natürlich hat er eine gekriegt, beide haben hin und wieder eine gekriegt.

Ich nehme an, Sie sagen, dass es eine andere Zeit war?

Na ja, es war ja nicht Gewalt. Es war eine flotte Detschn. Sie haben meine Buben nicht gekannt. Sie sind inzwischen 53 und 55 und lachen dazu. Und so viel haben sie auch nicht gekriegt. Wenn Sie mich fragen, ob ich Warnungen ausgesprochen habe: Das war kein Thema in unserer Familie. Und ich glaube auch, dass man heute in Österreich sagen kann: Das, was geschieht an Missbrauch, das merkt ein Dritter. Das geht heute nicht mehr im Verdeckten. Diese geschlossenen Kreise gibt es nicht mehr in der Form. Es ist auch die Aufklärung der Kinder heute eine andere als vor 40 Jahren. 

Sie meinen, Kinder würden heute von sich aus mit ihren Eltern, mit Vertrauenspersonen darüber sprechen?

Die Aufklärung der Kinder ist hundert zu eins. Das war damals halt einfach so, dass die Väter, die Mütter ein bestimmtes Schamgefühl gehabt haben. Die Kinder sind vielleicht einmal mit zehn, 15 Jahren aufgeklärt worden. Wenn heute jemand ein Baby bekommt, erzählt die Mutter dem zweiten Kind: Du, wir werden jetzt ein Baby bekommen. Sie redet darüber. Es ist heute herzlich, gut, offen, und das ist auch richtig so.

Da gibt es eine Zahl, die mir nicht aus dem Kopf geht. Sie haben Sie selbst öffentlich gemacht: 1.974. Das ist die Anzahl jener Menschen, die Ihre Opferschutzanwaltschaft als Opfer kirchlichen Missbrauchs anerkannt hat. 

2.022 inzwischen. Alle drei Monate veröffentlichen wir die aktuellen Zahlen.

›Natürlich hat er eine gekriegt, beide haben hin und wieder eine gekriegt. Es war ja nicht Gewalt. Es war eine flotte Detschn.‹

Mit wie vielen dieser 2.022 Menschen haben Sie persönlichen Kontakt gehabt? 

Mit tausend circa. Aber ich sage Ihnen jetzt: Das ist nur der Teil, den wir Kirche nennen. In Wien habe ich von 3.000 Fällen gehört in nur zwei Pflegeheimen! Es ist so. Es hat Zeiten gegeben, und es hat Situationen gegeben, wo Kinder dem Ganzen ausgesetzt waren. Sie konnten sich ja nicht wehren. Sie sind eingewiesen worden. Es hat kaum jemand nachgeschaut. Sie haben wenig Kontakt nach außen gehabt. Im kirchlichen Heim ist das natürlich umso schlimmer. Aber es ist überall das gleiche gewesen, im öffentlichen Heim, in der Pflegefamilie.

Was haben Sie in diesen 1.000 Gesprächen gelernt?

Zuerst möchte ich sagen: Es ist zu trennen zwischen Gewalt und Missbrauch. In circa zwei Drittel der Fälle ging es um Gewalt. Und Gewalt ist furchtbar für ein Kind, weil es ist hilflos. Und bei den anderen ging es um Missbrauch und Gewalt. Da ist beides zusammengefallen.

Wenn man sich umsieht in der Welt, wenn man all die Fälle zusammenzählt, bei denen Menschen im Schutz der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten Gewalt und Missbrauch angetan wurde, dann kommt man auf zehntausende Menschen. 

Ja. Sie können das, was ich tue, auch nur schaffen, wenn Sie trotzdem Optimismus haben und auch positive Rückmeldung bekommen. Und das war ein Geschenk für mich. Dass wieder jemand kommt, erst vielleicht überhaupt nicht spricht und dann irgendwann aufmacht. Die sagen dann zu mir: Ich habe zu Hause nicht darüber gesprochen, mein ganzes Leben mit niemandem darüber gesprochen.

Sie halten die Arbeit Ihrer Kommission international für vorbildhaft?

Was ich für mich und für uns in Anspruch nehmen kann, ist, dass es ein Vertrauen gibt. Sonst würde man sich nicht an uns wenden. Natürlich gibt es auch Kritik. Das ist selbstverständlich. Aber es überwiegt das Gefühl jener Menschen. Und auch die Rückmeldung sagt uns, dass es richtig ist.

Vor allem seitens Plattformen Betroffener gibt es Kritik an Ihrer Arbeit. Zum Beispiel, was die ausbezahlten Summen an anerkannte Opfer betrifft. Sie erhalten 5.000, 15.000, 25.000 Euro, und nur in speziellen Fällen mehr. In Kalifornien erhielten 500 Opfer insgesamt 500 Millionen Dollar. Irland schüttete insgesamt beinahe eine Milliarde Euro aus.

Die haben andere Gesetze.

Liegt es an Gesetzen, dass im angelsächsischen Raum mehr ausbezahlt wird? Oder liegt es an der Schlauheit der österreichischen Kirche, dass hierzulande weniger bezahlt wird? 

Die Kirche hat hier überhaupt nichts zu sagen. Überhaupt nichts. Die haben zu uns gesagt, bitte macht das.

Und wie haben Sie diese Bewertung vorgenommen?

Die Bewertung ist hier an diesem Tisch festgelegt worden. Wir haben uns das international angesehen. In Deutschland war es bisher so, dass man pro Fall, egal was geschehen ist, maximal 5.000 Euro bekommen hat. Wir haben uns 2010 an der oberen Grenze der zivilgerichtlichen Schmerzensgeld-Skala orientiert. 

Hätten Sie mehr gezahlt, wenn Sie gekonnt hätten?

Diese Richtlinie hat sich die Kommission selbst gegeben. Und noch dazu: Ich habe kein Stimmrecht in der Kommission. Ich leite sie nur. Die Kommission entscheidet ganz autonom. Aber es hat keine einzige Überstimmung gegeben, es war alles einstimmig. Außerdem ist nicht das Geld das Wichtigste, die Therapie ist das Wichtigste. Wenn die Seele gebrochen ist, kannst du Geld auflegen so viel du willst. Es wird nichts besser. Ich bin froh, dass es die von Ihnen erwähnten Plattformen gibt. Aber manchmal denke ich mir: Was, außer sich gegenseitig sagen, was alles nicht geht, ist geschehen?

Liest man deren Aussendungen, dann merkt man eine große Wut. 

Ja, da ist die Wut. Aber es ist die Wut auf die Kirche.

Man tut sich schwer, das nicht zu verstehen. 

Ja, da ist die Wut auf die Kirche. Ich habe aber den Plattformen gesagt: Sagt den Menschen, sie sollen zu uns kommen, da bekommen sie wenigstens finanzielle Hilfe. Ich bin kein Gericht.

Aber die antworten: Da geht es um ein Prinzip. Sie seien Teil der Täterorganisation. 

Ja, das weiß ich schon. Darüber rege ich mich eigentlich nicht mehr so auf. Es hat mich zuerst sehr getroffen. Ich mache das hier aus dem Gefühl heraus: Es gibt Menschen, für die es wichtig ist, dass es jemand macht. Nämlich die 2.022, die an diesem Tisch positiv entschieden worden sind. Und wenn ich die richtige Person bin, dann war das auch gut.

Im Februar sagten Sie zur APA: ›Die Aufarbeitung der Fälle, konsequente Maßnahmen gegenüber Tätern und vor allem die Prävention müssen weiter im Mittelpunkt stehen.‹ Wie soll Prävention, wie soll Täterarbeit aussehen, Frau Klasnic?

Das Wichtigste ist die Prävention. Das zweite ist die Ausbildung für jene, die sich entscheiden, in ein kirchliches Amt zu gehen. Das ist besonders wichtig. Das dritte ist, dass man aufeinander achtet. Und dass man das nicht als Kavaliersdelikt abtut. Das Vierte ist, dass wir in diesem Fall das Beichtgeheimnis nicht als Geheimnis ansehen.

Also den Beichtvater im Fall von Missbrauch vom Beichtgeheimnis entbinden?

Er muss entbunden sein. Bei Missbrauch hat der Priester zu handeln.

Und wie kann Prävention funktionieren?

Ich glaube, die Grundprävention ist Information, ist Offenheit, ist Gespräch. Und anfangen muss es nicht nur im Kindergarten, sondern eigentlich schon im Elternhaus. Man muss den Kindern schon das Gefühl geben, dass es Lebenssituationen gibt, die einfach nicht passieren dürfen. Es ist wichtig, dass die Kinder selbstbewusster sind und dass sie auch aufeinander achten. 

Was war das für ein System, in dem Gewalt und Missbrauch in so monströsem Ausmaß möglich waren?

Es war ein geschlossenes System zum größten Teil. Das Kind war verlassen, das war dem ausgeliefert. Das waren gar nicht immer nur kirchliche Leute. Die haben private Leute gehabt. Aber die Kirche hatte die Hauptverantwortung für jeden, den sie anstellt. 

Nach den Taten kam die Vertuschung. Hält sie bis heute an?

Die Vertuschung war ganz sicher falsch und ist auch heute in dieser Form nicht mehr möglich. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass die Diözese von A nach B jemanden schickt, ohne der Nachbardiözese zu sagen, warum. Das geht nicht mehr. Das traut sich heute niemand mehr.

Ich höre heraus, dass Ihrer Meinung nach kirchlicher Missbrauch, wie er in den 60ern, 70ern, 80ern in monströsem Ausmaß stattgefunden hat, heute schon deshalb nicht mehr möglich ist, weil es gesellschaftlich eine andere Zeit ist?

Genau so ist es. Aber nein, sichergestellt ist dadurch nichts. Der Mensch ist der Mensch.

›Es war ein geschlossenes System zum größten Teil. Das Kind war verlassen, das war dem ausgeliefert.‹

Sie sind der Meinung, dass auch die österreichische Kirche ihre Lektionen gelernt hat?

Schon. Aber, und das sage ich schon dazu, es muss noch jeden Tag daran gearbeitet werden: Was macht jene Person, die beschuldigt ist? Welche Aufgaben hat sie? Hat die noch Kontakt mit Jugendlichen oder hat die Kontakt mit Kindern? 

Wie sollte die Kirche mit Tätern umgehen?

Zuerst muss man schauen, dass er eine Behandlung kriegt. Das ist ganz, ganz wichtig. Das muss er annehmen, oder sie. Ich sage bewusst auch sie. Und zum zweiten muss man dafür sorgen, dass der Kontakt und die Aufgabe, mit Kindern zu arbeiten, auf alle Zeit verboten ist. Und noch etwas anderes: Ich weiß von einem Fall, der mit der Kirche nichts zu tun hat. Da gab es eine Verurteilung ohne Haft. Aber eine Verurteilung. Und der Mann hat sich wieder anstellen lassen und dann das Gleiche wieder gemacht. Weil die Tat gelöscht war. Der Dienstnehmer kann nichts machen. Er weiß es nicht.

Sie meinen, man sollte darüber nachdenken, solche Delikte nicht aus dem Strafregister zu löschen?

Ja. 15 Jahre nach Verbüßung der Haft muss das gelöscht werden. Das müsste man für ganz spezielle Fälle überdenken, dazu gehört der Umgang mit Kindern.

Das Nachrichtenmagazin ›Profil‹, das 1995 die Affäre Groër aufgedeckt hat, schrieb Ende 2018: ›Jetzt kommen wir zu dem Schluss, dass mehr als zwei Jahrzehnte nach der Affäre Groër der wesentliche Akt der Aufklärung noch ausständig ist.‹ Ein vernichtendes Urteil. 

Ich kenne die Ergebnisse nicht. Es gibt die Diözesanenkommissionen, die eingesetzt werden in allen Diözesen und in denen auch die Ordenvertreter sind. Bei denen, die ­leben …

Und es leben noch hunderte Täter.

Mehr als die Hälfte ist gestorben. Und bei denen, die noch leben, da ist es die Aufgabe der Diözesanenkommissionen, erst einmal darauf zu achten, was tut der, was ist gewesen und wo ist es notwendig, dass noch Anzeige erstattet wird? Aber das passiert nicht an diesem Tisch. Sehr wohl passiert an diesem Tisch, dass der Name von hier gemeldet wird. Ich lese schon auch immer wieder in den Zeitungen, dass ein Bischof Priester aus dem Dienst nimmt. Aber das ist die Tätergeschichte. Die muss die Kirche irgendwann einmal selbst beantworten. Und das wird sie auch, glaube ich.

Es ist hoch an der Zeit.

Was wir tun, ist, die Namen von Beschuldigten weiterzugeben. Wir hatten Fälle, da schien ein Name schon 25 Mal auf. Und dann hörte ich, dass der noch irgendwo vorlesen darf.

Ernsthaft?

Nicht mit Kindern.

Aber er ordiniert noch auf die eine oder andere Weise?

Er hat eine Aufgabe gehabt, wo er sozusagen lehrend tätig war, weil er glaubwürdig bestritten hat, dass nichts war. Und das ist ihm durch die sogenannte Arbeit der Kommission nicht mehr möglich gewesen, weil man ihm bestimmte Fälle zuordnen konnte. Die Kirche hat ihn dann als nicht mehr tragbar gesehen. Vorher war das meistens nur ein Gerücht, jetzt haben wir den Fall und den Namen dazu und er wird damit konfrontiert.

Was hat die österreichische Kirche eigentlich zwischen 1995 und 2010 in der Angelegenheit gemacht?

Für manche war nicht vorstellbar, dass es so etwas gibt. Manche konnten sich nicht vorstellen, dass der Mensch, den sie kennen, auch diese zweite Seite in seinem Leben hat. Bei uns war ein Abt zu Gast, der hat gesagt: ›Ich habe ihn im Orden erlebt, er war nett und freundlich. Ich habe es nicht bemerkt.‹ Der Mensch konnte und wollte sich das nicht vorstellen.

›Wir hatten Fälle, da schien ein Name schon 25 Mal auf. Und dann hörte ich, dass der noch irgendwo vorlesen darf.‹

Seit 1995 haben zehntausende Menschen in Österreich der Kirche den Rücken gekehrt. Was sagen Sie denen?

Meine Aufgabe ist es nicht, den Alltag der Kirchenwelt zu verteidigen, aber ich bekenne mich dazu, dass die, die jetzt unterwegs sind, die vielen Priester und Ordensfrauen, ihr Bestes geben. Und sie werden oft von der Seite angeschaut, obwohl sie für die Vorfälle von vor vierzig Jahren nichts können. Wenn ich heute einen Priester anschaue, kann es im Ausnahmefall sein, dass er ein Straftäter ist, aber an sich ist die heute tätige Generation nicht so einzustufen, als seien sie Missbrauchstäter oder gewalttätig. Das geht heute nicht mehr.

Sie haben Ihr Grundvertrauen in die Kirche offensichtlich nicht verloren. 

Ich habe ein Grundvertrauen in Menschen, nach wie vor. Die heute Verantwortlichen bemühen sich mitzuhelfen, eben weil so viel angerichtet wurde. Erstens, damit das nicht mehr vorkommt, und zweitens tut es allen leid, dass das geschehen ist, ohne die Kirche hier zu verteidigen. Der heutige Verantwortungsträger kann nichts dafür, er kann nur helfen, dass ein bisschen gemildert wird, weil gutgemacht wird es nicht. Die Kirche ist strenger zu beurteilen als andere Berufs- und Gesellschaftsgruppen. Aber im Grunde genommen passiert das in allen Gesellschaftsgruppen und es sind auch die Folgen ähnlich. Die, die damit konfrontiert werden, fragen sich, was kann ich dafür, dass das vor 40 Jahren so war. Sie haben dafür zu sorgen, dass so etwas nach Möglichkeit nie mehr passiert.

Als Sie diese Aufgabe angenommen haben, da kannten Sie den Menschen und Sie kannten die Kirche schon. Was haben Sie in diesen neun Jahren gelernt, über die Menschen und über die Kirche?

Gelernt habe ich zwei Dinge. Das erste ist sehr ökonomisch und grauslig. Ich hatte irgendwann die Ansicht, dass jeder Mensch, der arbeiten will, auch arbeiten kann. Diese Meinung ist weg, es gibt Menschen, die können nicht arbeiten. Die können einfach nicht. Dafür hatte ich früher weniger Verständnis. Das zweite ist, dass ich mit einem Urvertrauen auf jeden Menschen zugehe. Jeder kann damit rechnen, dass ich vom Grundsatz ausgehe: Ich möchte Ihnen glauben. Wenn das stimmt, was mir die Person sagt, dann habe ich die Verpflichtung, mich zu entschuldigen. Das haben diese Leute seit Jahrzehnten nicht gehört. Ich bin nicht von der Kirche, sondern ich bin ein Mensch, der das Gefühl hat, man hat für seinen Nächsten eine Verantwortung und das ist ein christlicher Auftrag. 

Verstehen Sie mich nicht falsch: Warum muss da eine Frau Klasnic kommen, damit diese Leute zum ersten Mal nach Jahrzehnten jemanden treffen, der ihnen das sagt? Was sagt denn das über die römisch-katholische Kirche!

Es war das einzig Richtige, jemanden, der nicht mit der Kirche verbandelt ist, von außen hereinzunehmen. Darum verteidige ich die Entscheidung des Kardinals so, nicht weil er mich persönlich beauftragt hat. Es ist besser, jemandem zu sagen: Mach mir das, wenn du das kannst. 

Wir haben in dieser Ausgabe eine Geschichte zum Thema Frauenpriestertum. 

Ich sage Ihnen was. Ich habe geheiratet, ich habe Kinder, ich bin so glücklich, ich wollte nie Pfarrer werden.

Befürworten Sie vor dem Hintergrund Ihrer Arbeit die Priesterweihe von Frauen?

Mein Anliegen ist die starke Einbindung der Frauen in die sogenannten allgemeinen Aufgaben der Kirche. Diese Einbindung ist notwendig. Ich möchte nicht etwas fordern, das in der Weltkirche entschieden werden muss. Bleiben wir da, wo wir Dinge verändern können. In den Diözesankommissionen sind Frauen, in den Ombudsstellen sind Frauen. Außerdem muss man betonen, es gab auch Fälle, bei denen Frauen die Täterinnen waren.

Wie geht es mit der Opferschutzanwaltschaft weiter?

Nächstes Jahr sind es zehn Jahre, da werden wir gemeinsam Bilanz ziehen. Die Kommission und die Arbeit wird weitergemacht. 

Die Kommission wird weiter bestehen, unabhängig von Ihrer Person?

Sie muss weiterbestehen. Und die Arbeit ist gesegnet, weil sie einen Sinn hat, und das gibt meinem Leben einen Sinn.

Außerdem ist nicht davon auszugehen, dass Missbrauch in der Kirche morgen aufhören wird.

Es wird nie aufhören, nirgendwo auf der Welt. So, wie wir wissen, dass es leider auch immer Krieg geben wird. Der Gerichtspsychiater Dr. Haller hat gesagt: Im Grunde genommen ist in jedem Menschen Böses und auch Gutes. Meine Aufgabe ist es, das Gute zu suchen. •

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