Wenn Wähler irren
Über die unberechtigte Enttäuschung der Grün-Sympathisanten.
Auch Wähler können irren. Vor allem jene der Grünen 2019. Sollten Sie Werner Kogler & Friends Ihre Stimme in der Hoffnung auf saubere, ehrliche, glaubwürdige Politik gegeben und eine Regierungsbeteiligung dabei nicht einkalkuliert haben, sind Sie Teil einer verschwindenden Minderheit.
Die Nachwahlbefragung der beiden Meinungsforschungsinstitute Sora und Peter Hajek haben nämlich erhoben, dass Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit nur für vier Prozent der Grün-Wähler das Motiv für ihre Entscheidung war. 62 Prozent trieben die Themen Umweltschutz und Klimawandel für die Grünen in die Wahllokale.
So gesehen ist die Enttäuschung, die sich unter Grün-Sympathisanten seit geraumer Zeit breit macht, nicht berechtigt. Als Koalitionspartner der ÖVP mit wenig Spielraum forcieren die Grünen genau diese beiden Themen. Dort haben sie bisher auch ihre einzigen sichtbaren Erfolge vorzuweisen: das bundesweite Klimaticket und eine ökologische Steuerreform mit Schwächen.
Just deshalb lassen sie sich bei den Reizthemen Straßenbau und Lobau-Tunnel in Wien auch nicht von dem Hinweis irritieren, dass die Verkehrsstadträtin der Grünen, Maria Vassilakou, keinerlei Probleme damit hatte. Die Enttäuschung über die Grünen als Teil der Stadtregierung in Wien galt bis jetzt als konsumiert.
Tatsächlich könnte das Thema demnächst aber im Prozess gegen Ex-Planungssprecher Christoph Chorherr und im Umwidmungsstreit seines Nachfolgers, Peter Kraus, auf die Tagesordnung kommen.
Spätestens dann werden auch im Bund Fragen nach der Glaubwürdigkeit, nach abgegebenen und nicht gehaltenen Versprechen, nach der Serie von ›Sündenfällen‹ wider den grünen Geist diskutiert werden: Transparenz? Reform der Parteienfinanzierung? Schärferes Korruptionsstrafgesetz? Informationsfreiheit? Wollte Werner Kogler Österreich nicht ›in die Champions League in Sachen saubere Politik‹ bringen?
Die Erklärung, die Covid-19-Pandemie habe seit Regierungseintritt alle Kräfte in Anspruch genommen, wird nicht ausreichen. Im Gegenteil. Der größte personalpolitische Sündenfall, die Berufung von Wolfgang Mückstein, ist bei jedem Auftritt des Arztes nicht zu übersehen. Das muss einer Regierungspartei einmal passieren: Mitten in der größten Gesundheitskrise innerhalb von Stunden zielsicher ein überfordertes kommunikatives Anti-Talent an die Spitze eines der nicht nur gesundheitspolitisch wichtigsten Ressorts zu berufen. Culpa in Eligendo, das gilt auch für die Grünen.
Mitten im Chaos des jüngsten Pandemie-Managements wurden dann auch noch die als Sideletter verharmlosten geheimen Nebenabsprachen mit der ÖVP bekannt. Ende der parteipolitischen Postenbesetzungen? Mitnichten. Das Register der grünen Sündenfälle ließe sich fortsetzen. Man denke nur an die Asyl- und Migrationspolitik.
Aber Glaubwürdigkeit war eben kein Wahlmotiv. Mit ausgeprägter Leidensfähigkeit in der Koalition mit der ÖVP will sich die grüne Führung offenbar bis zu einem Wahltermin 2023/24 retten. In der Hoffnung, dass dann Gras über das Register gewachsen sein wird. Grünes, natürlich. •